Optimismus in Gas aufgelöst
09.06.2023 Boswil, Region OberfreiamtÖlbohrungen vor fast 60 Jahren: Wenn man in Boswil Öl gefunden hätte – Teil 2
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde in der Schweiz nach Erdöl gesucht. Im Freiamt waren entlang der Reuss Untersuchungsstandorte vorgesehen. Effektiv ...
Ölbohrungen vor fast 60 Jahren: Wenn man in Boswil Öl gefunden hätte – Teil 2
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde in der Schweiz nach Erdöl gesucht. Im Freiamt waren entlang der Reuss Untersuchungsstandorte vorgesehen. Effektiv gesucht wurde in Boswil: Die zehnte Aufschlussbohrung wurde in den Oberen Bergmatten vorgenommen, wo tatsächlich nach Öl gebohrt wurde.
Richard Gähwiler
Rund dreissig mit der Erdölbohrung vertraute Arbeiter der Gewerkschaft Elwerath Erdölwerke Hannover betrieben während vier Monaten den Bohrplatz auf der Ebene unterhalb vom Brandholz auf den Oberen Bergmatten. Das ist einem Film der «SRF-Antenne» von 1965 zu entnehmen. Damit für die schweren Bohrgeräte überhaupt eine stabile Grundlage geschaffen werden konnte, musste vorgängig grossflächig Humus abgetragen und mit Schwellen ein «Fundament» gelegt werden.
Von Anfang an mit dabei war der heute 92-jährige Franz Huber aus Boswil. Damals Alleinunternehmer mit einem neuen MAN-Allrad-LKW und beim Bauunternehmen Werner Abt im Einsatz als Trax-Fahrer. «Es war ein heisser Sommer», erinnert er sich noch heute, «zum ersten Mal habe ich zum Arbeiten kurze Hosen getragen – und hatte am Abend prompt einen zünftigen Sonnenbrand an den Beinen», erzählt er lachend. Es wurde September, bis alle Wellblech-Container, die grosse Halle mit Bohrturm und die Bohr-Aggregate erstellt und betriebsbereit waren.
Ausgeträumt – der Reichtum blieb aus
Ab September 1965 wurde gebohrt, über 50 Tage. Wie es scheint, nicht immer nach Plan. Auch hierzu erinnert sich Franz Huber genau: «Während einer Messe am Sonntag in der Kirche – plötzlich ein Knall wie von einer Bombe. Wir sahen einander an und ich dachte sofort an die Bohrstelle auf den Oberen Bergmatten, so seine Schilderung, «aber genau erfahren haben wir nie, was damals geschehen war.»
Man bohrte jedenfalls bis auf eine Tiefe von 1836 m. Aber wie schon bei den Bohrungen zuvor die ernüchternde Erkenntnis: keine wirtschaftlich nutzbaren Rohstoffvorkommen. Auf dem Boden der Realität gelandet, wurde die SEAG im selben Jahr (1965) in eine reine Forschungsgesellschaft umgewandelt.
Die Landwirtschaft ist zurück
Der Bohrplatz in den Oberen Bergmatten wurde für die landwirtschaftliche Nutzung rekultiviert. Es war Kaspar Hummel aus Weissenbach, welcher dieses Land später in Pacht übernehmen konnte. «Die Erde war anfänglich kaum zu bearbeiten, verdichtet durch das Gewicht der Anlage und die Nässe vom Bohren», erzählt Hummel heute. «Vom Kanton erhielten wir daher eine Art ‹Untergrundlockerer›, den wir mit einem starken Traktor durch die Erde zogen. Nur so war der Boden wieder einigermassen zu bearbeiten.» Kleiner Trost: «Immerhin erhielt ich von der Bohrfirma Elwerath eine vertraglich zugesicherte Entschädigung für Ertragsausfälle», ergänzt Hummel im Gespräch.
Weiter gebohrt hingegen wurde durch die Luzerner LEAG – sie begannen 1979 mit einer Bohrung in Finsterwald (Entlebuch). Dort fanden sie zwar kein Erdöl, jedoch ein Erdgasvorkommen in wirtschaftlich nutzbaren Mengen.
Ab April 1985 bis Juli 1994 strömte dann Gas durch eine Pipeline in das Anschlusswerk an die bestehende Transitgasleitung Holland–Italien. Immerhin war damit ein Teil der Bohrkosten gedeckt. Heute gehört das Gebiet wieder den Wanderern und Langläufern. Oder auch Besuchern, welche das «Industriedenkmal» Bohrplattform und Bohrkopf als Zeitzeuge eines schweizweit einmaligen Fundes besichtigen wollen.
Über eine Million in Boswil
Ab den 1990er-Jahren lag das Schwergewicht der Explorationsarbeiten in der Schweiz auf der weiter entwickelten Vibroseismik. Bei dieser Technologie wird die Erdoberfläche in Vibration versetzt, das ref lektierte Signal durch Geophone empfangen und die Bodenstrukturen so ausgewertet. Aber auch ein letzter Versuch, in den Jahren 1988/89 bohrte man in Thun bis auf 5945 Meter, machte die Hoffnung auf einen kommerziellen Erfolg zunichte. Daher wurde die Swisspetrol Holding AG im Jahr 1994 liquidiert. Einzig die SEAG existierte weiterhin, primär zur Erhaltung der vorhandenen Resultate und Erkenntnisse. So basieren rund 80 Prozent der Daten im «Geologischen Atlas der Schweiz» auf Zahlen und Unterlagen von SEAG-Bohrungen.
Nach gesamthaft über 30 Bohrungen in der Schweiz mit Kosten von mehr als 300 Millionen Franken, dies die Antwort der Regierung auf eine parlamentarische Interpellation im Februar 2007, war der Traum vom «schwarzen Gold» fürs Erste ausgeträumt. Allein die finanziellen Aufwendungen für Seismik und Tiefenbohrung in Boswil hätten damals über eine Million Franken betragen, ist in einem später verfassten Arbeitsbericht der Nagra (NAB 12-32) nachzulesen.
Dann vielleicht eine Deponie?
Weitere Bohrungen erfolgten ab 1995 im Zusammenhang mit der «Deponieplanung AG-Ost», der Standortsuche für eine Deponie zur Lagerung von Inertstoffen (Aushub- und Baustellenmaterial). Diese Arbeiten, Beurteilungen und das Schlussresultat erfolgten in einer sogenannten «Bürgerbeteiligung». Aus neun Gemeinden waren rund 100 Bürgerinnen und Bürger über ein halbes Jahr bei Untersuchungen, Diskussionen und weiteren Entscheidungen mit dabei, um eine Standortempfehlung zu erarbeiten. Bis kurz vor Abschluss standen Standorte in den Gemeinden Boswil, Abtwil, Dietwil, Auw und Uez wil/Kallern zur Diskussion. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.