Die Stahlwelt von Hermetschwil
07.10.2022 Hermetschwil-StaffelnWie die fantastischen Skulpturen den Weg in den Bremgarter Ortsteil fanden
In Hermetschwil-Staffeln findet derzeit der Recycle-Art-Apéro mit Peter Lötscher und seinen einzigartigen Kunstwerken statt.
Marco ...
Wie die fantastischen Skulpturen den Weg in den Bremgarter Ortsteil fanden
In Hermetschwil-Staffeln findet derzeit der Recycle-Art-Apéro mit Peter Lötscher und seinen einzigartigen Kunstwerken statt.
Marco Huwyler
Peter Lötscher hat seine teilweise bis zu fünf Meter hohen Stahl-Skulpturen schon in der ganzen Schweiz ausgestellt. Seine fantasievollen Gebilde, gefertigt aus alten Auto- und Motorradteilen, in Handarbeit zusammengeschweisste Schrauben, Zahnräder und vieles mehr, finden sich mittlerweile auf Kreiseln, Gotthardraststätten, in Parks, Autosalons und vielen Privatgrundstücken quer durchs ganze Land. Die Homebase der in Asien gefertigten Produkte ist jedoch seit vielen Jahren in Hermetschwil-Staffeln. Nun lädt der 48-jährige Kunsthandwerker zu einer seiner grossen Ausstellungen.
Faszinierende Geschichte
Im Rahmen des Recycle-Art-Apéros, der noch bis zu diesem Sonntag dauert, hat der gelernte Automechaniker mit dieser Zeitung über sein Lebenswerk gesprochen, erzählt, welche Menschen dahinter stehen, wie er sich ihnen und einer fremden Kultur verbunden fühlt, wie das Fabrizieren von Kunst aus Altmetall einst aus Zufall auf einem Touristenmarkt seinen Anfang nahm und warum er seinen genauen Produktionsstandort in all den Jahren niemals preisgegeben hat.
«Fantasie kennt keine Grenzen»
Die Geschichte hinter den faszinierenden Stahl-Skulpturen von Recycle Art
Noch bis am Sonntag sind die neusten und imponierendsten Kunstwerke aus recycelten Schrottteilen am Recycle-Art-Apéro in Hermetschwil-Staffeln ausgestellt. Sie alle sind Teil der Geschichte von Peter Lötscher und seiner einzigartigen Geschäftsidee.
Marco Huwyler
Eigentlich hat Peter Lötscher alles seinen Klimavorlieben zu verdanken. «Ich mag den Winter nicht und habe ihn noch nie gemocht», erzählt der 48-Jährige lachend. Deshalb beschloss der gelernte Automechaniker eines Tages, dass er auf die kalte Jahreszeit auch verzichten kann. Er kratzte sein Erspartes zusammen und begab sich zu Beginn dieses Jahrtausends ein erstes Mal auf eine grosse Reise nach Südostasien. Und dort, auf einem Touristenmarkt, traf er auf das, was sich schliesslich als Vorläufer jener Kunstwerke erweisen sollte, die heute von Hermetschwil aus in ganz Europa verkauft werden.
«Auf dem Touristenmarkt gab es einen Stand, der kleine Figürchen aus zusammengeschweissten Metallteilchen verkaufte», erzählt Lötscher. Als Automechaniker habe er sofort erkannt, dass diese aus verschiedenen Fahrzeugmotorteilchen zusammengeschweisst sein mussten. «Und trotzdem waren sie detailgetreu und optisch sehr anspruchsvoll. Das hat mich fasziniert.» Mithilfe eines Dolmetschers suchte er das Gespräch mit den Standbetreibern. Liess sich in den kommenden Tagen das Handwerk zeigen. Erfuhr, dass das ganze Rohmaterial von Schrottplätzen stammt, von denen es dort reichlich gibt. Lötscher war alsbald Feuer und Flamme für die Kombination aus Mechanik und Kunst, die er so noch nirgends gesehen hatte. Er arbeitete begeistert mit. «Vorerst ohne jeglichen geschäftlichen Hintergedanken.» Bis es ihm eines Tages dämmerte, dass das hier so Produzierte auch in der westlichen Heimat gefragt sein könnte. «Ich sagte mir, wenn es mich so begeistert, dann wird es zu Hause wohl noch andere geben», lächelt er. «Ich beschloss deshalb, es darauf ankommen zu lassen.» Und damit war die Geburtsstunde von «Recycle Art» besiegelt.
Dank Geschäftspartner nach Hermetschwil
Bis aus der Idee, das Trödelmarktprodukt aus dem fernen Asien nach Europa zu bringen, ein florierendes Unternehmen mit eigener Ausstellungsfläche und internationaler Ausstrahlung wurde, waren jedoch einige Hürden zu bewältigen. «Es fing schon damit an, die ersten Produkte überhaupt in die Schweiz einzufliegen», lacht Lötscher. Nachdem er eineinhalb Jahre an der Produktionsstätte mitgearbeitet und investiert hatte («auf meine Initiative hin begannen die Einheimischen nun auch, grössere und unterschiedlichere Figuren anzufertigen»), wagte er 2006 eine erste Fracht-Einfuhr in die Schweiz. Angekommen ist indes danach monatelang erst mal nichts. «Auf Nachfrage sagte man mir, das Frachtunternehmen gebe es nicht mehr. Da war nichts zu machen. Erst als ich die Hoffnung schon aufgegeben hatte, rief mich eines Tages meine Mutter an, es seien ein paar riesige Pakete für mich angekommen. Alles war ziemlich beschädigt, aber letztlich komplett.» So konnte der einstige Automech nach ein paar Reparaturen an der Swiss Moto in Zürich seine ersten Modelle ausstellen. Und wie beabsichtigt stiessen sie in der schweizerischen Heimat auf Anklang. Lötscher verkaufte die ersten Skulpturen. Und lernte dabei Eric Pauli kennen, der in Hermetschwil damals ein Töffgeschäft führte. «Ich hatte ein Schild aufgestellt, mit «Ausstellungsf läche gesucht»», erinnert sich Lötscher. Pauli zeigte sich interessiert. «Dann ging alles ziemlich schnell. Zuerst stellte ich in seinem Töffgeschäft aus. Dann wurden wir Geschäftspartner. Und schon bald war aus dem Töffgeschäft in Hermetschwil ganz das ‹Recycle Art› geworden.»
Heimat in der Südsee
Zwölf Jahre lang führten die beiden gleichberechtigt das Geschäft im Spilhof 3. Gemeinsam besuchten sie Messen, Festivals, Autosalons, Open Airs und Feste aller Art in der ganzen Schweiz, um die beeindruckenden Stahlskulpturen zu promoten. «Es war eine strenge Zeit. Wir besuchten pro Jahr sicher 20 Veranstaltungen und transportierten die Figuren jeweils durchs ganze Land.» Der Blickfang durch die immer spektakulärer und eindrücklicher werdenden Kunstmonumente war den beiden allenthalben gewiss. Und so erwuchs «Recycle Art» ein immer grösserer Kundenstamm. Während Pauli das ganze Jahr durch in der Schweiz blieb und sich um die Homebase in Hermetschwil kümmerte, reiste Lötscher jeweils im Winter zur Produktionsstätte und sah dort nach dem Rechten. «Ich habe begonnen, auch dort alles zu professionalisieren. Gemeinsam mit den Gründungsmitgliedern eine Firma gegründet. Die Leute mit fixen Arbeitsverträgen ausgestattet. Und Strukturen etabliert, damit es auch ohne mich funktioniert.»
Von Jahr zu Jahr ist das Business auch dort gewachsen und umfasst heute 15 Mitarbeiter, die auf Schrottplätzen das geeignete Material suchen («Der Vorrat an Auto- und Motorradschrott ist dort schier unermesslich.»), dieses bearbeiten und gemäss den Kundenwünschen aus der Schweiz zusammenschweissen. Wo genau die Produktionsstätte in Südostasien liegt, will Lötscher bis heute aber nicht verraten. «Das ist Geschäftsgeheimnis», sagt er. Als zu gross erachtet er das Risiko, dass bei Bekanntwerden jemand dorthin reist und ihm seine fähigen Mitarbeiter ausspannt und das Business klaut. «Bei aller Freundschaft zu den Leuten dort und den überdurchschnittlichen Löhnen, die wir bezahlen, weiss man eben doch nie, was passiert, wenn jemand kommt und mit den grossen Scheinen wedelt.»
Lötscher selbst hat sich im Produktionsland längst ein eigenes soziales Umfeld aufgebaut. Er besitzt ein Haus am Meer, hat seinen Freundeskreis dort, und seine zwei Hunde («meine Babys»), die er von der Strasse aufgelesen hat. Sie werden während seiner Abwesenheit von einer Nanny gehütet. «Ich vermisse alles davon, wenn ich in der Schweiz bin», sagt er. «Eigentlich wäre ich am liebsten nur noch dort.»
Wieder alleine
In letzter Zeit war allerdings eher das Gegenteil der Fall. Lötschers Geschäftspartner Eric Pauli ging nämlich 2020 in Pension. «Er hat mir seine Anteile und den Standort in Hermetschwil verkauft und ist ausgewandert», erzählt Lötscher. Danach haben die beiden noch regelmässig miteinander telefoniert. Bis Pauli dann vor ein paar Monaten verstorben ist. Von den beiden Recycle-Art-Eigentümern ist deshalb nur noch Lötscher übrig geblieben. Was auch bedeutet, dass er sich um alles kümmern muss. «Längere Abstecher nach Südostasien liegen momentan leider nicht mehr drin», erzählt er.
Da man während Corona gelernt hat, digital zu kommunizieren, funktioniere das Business mittlerweile aber auch ziemlich gut auch ohne Schweizer vor Ort. Rund 12 Tonnen Stahl und Eisen werden pro Jahr mittlerweile zu rund 150 Figuren verarbeitet. Löwen, Elefanten, Drachen, Adler, Steinböcke, Insekten, Haie, Ritter und vieles mehr. «Wir können eigentlich alles machen», erzählt Lötscher. «Die Fantasie kennt keine Grenzen.» Rund 15 Prozent der Skulpturen werden nach Aufträgen massangefertigt. Und ähnlich gross wie die Vielfalt ist bei Recycle Art auch die Kostenspanne. Von 29 bis 74 000 Franken kosten die Skulpturen, die derzeit in Hermetschwil ausgestellt sind. Die Ausstellung ist Teil des neuen Konzepts von Lötscher. «Weil ich nun alleine bin, liegt es nicht mehr drin, in der ganzen Schweiz herumzutingeln», erklärt er. Deshalb hat der 48-Jährige in einen grossen Grundstock an Skulpturen investiert, die er das ganze Jahr durch in Hermetschwil ausstellt. «Die Leute sollen hierher kommen und hier einen spektakulären Anblick erhalten.» Um seine Ausstellung noch bekannter zu machen und seinen Kunden die Neuheiten des Jahres zu präsentieren, hält Lötscher nun Recycle-Art-Apéros ab. Rund 5000 Gäste lädt er dazu jeweils ein.
Einer dieser Apéros findet gerade statt. Noch bis am Sonntag kann man die neusten Skulpturen bei einem Glas Wein, Snacks und den fachkundigen Auskünften des Ausstellers bewundern. «Aber eigentlich kann man dies auch das ganze Jahr über gerne tun, wenn ich hier bin», lacht Lötscher. «Die Leute sind jederzeit herzlich willkommen.»
Lebensabend in der Ferne
Während der Ausstellungszeit kommt es schon mal vor, dass der Unternehmer in seiner Werkstatt in Hermetschwil schläft. «Eine richtige Heimat in der Schweiz habe ich ohnehin nicht mehr», sagt Lötscher, der sonst in einer kleinen Wohnung in Zug nächtigt. In Gedanken ist er allerdings auch dann meist in Südostasien. «Dort bin ich zu Hause», sagt er. Weil dem so ist, kann Lötscher derzeit auch noch nicht sagen, wie es mit Recycle Art weitergeht. «Ich würde gerne früher als später permanent nach Asien ziehen. Sicher vor meinem richtigen Pensionsalter.» Die Freundschaften, seine Hunde und ein winterloses Dasein sind ihm langfristig wichtiger als das Business. Wie und ob die spektakulären Stahlskulpturen dereinst ohne Lötscher in Hermetschwil vertrieben werden, steht momentan noch in den Sternen. Lötscher selbst wird in seinem Ruhestand wohl eine davon in seinem Garten stehen haben. «Wohl ein freundlicher Drache. Einer, der mich erinnert, woher alles kommt und welches Glück ich hatte.»