Der Kampf um Transparenz
25.10.2022 WohlenBeschwerde-Entscheid aus Aarau: Motion betreffend Gemeinderatswahlen ist zulässig
Eine leidige Geschichte nimmt wohl jetzt ihr Ende. Der Einsatz von Mitte-Präsident Harry Lütolf war nötig, damit die Politik in Wohlen nicht von der Verwaltung bestimmt ...
Beschwerde-Entscheid aus Aarau: Motion betreffend Gemeinderatswahlen ist zulässig
Eine leidige Geschichte nimmt wohl jetzt ihr Ende. Der Einsatz von Mitte-Präsident Harry Lütolf war nötig, damit die Politik in Wohlen nicht von der Verwaltung bestimmt wird. Eine massgebende Beschwerde wurde nun in Aarau gutgeheissen. Die Politik darf diskutieren und bestimmen, was Sache ist bei der Deklarierung der Stimmen bei den Gemeinderatswahlen.
Daniel Marti
Transparenz ist in einer Demokratie eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Dass sich die Verwaltung, notabene mit Unterstützung des Einwohnerratspräsidenten Cyrille Meier, weigerte, eine Motion der Mitte zu akzeptieren, hat fast nur zu Unverständnis geführt. Nun wurde in Aarau beim Departement Volkswirtschaft und Inneres des Kantons Aargau Klarheit geschaffen. Die Motion ist – selbstverständlich – zulässig.
Der Ursprung liegt bei den Gemeinderatswahlen im September 2021. «Vereinzelt gültige Stimmen» wurden damals nicht den Personen zugewiesen, also nicht deklariert. Ein solches Vorgehen ist zwar gestattet, aber es ist unüblich und entspricht überhaupt nicht der Wohler Tradition. Kommt hinzu, dass bei der Gemeindeammannwahl 1001 Stimmen nicht deklariert wurden, bei der Wahl des Vizeammanns waren es 483Stimmen. Das waren Rekordwerte im gesamten Kanton.
Kanzlei und Ratsbüro weigerten sich
Diese (neu eingeführte) Haltung führte zu Unstimmigkeiten. Die Politvertreter reagierten mit Vorstössen. Am 3.Oktober 2021 wollte dann Die Mitte ihre Motion «betreffend Behebung der unbefriedigenden Protokollierung der Gemeindewahlen an der Urne» im Einwohnerrat einreichen. Sie forderte, dass bei künftigen Gemeindewahlen für alle betroffenen Ämter alle Personen mit mindestens zehn gültigen Stimmen separat auszuweisen sind.
Die Überraschung folgte postwendend. Die Gemeindekanzlei und später auch das Büro des Einwohnerrates waren der Meinung, dass diese Motion gegen Recht verstosse. Man weigerte sich, die Motion den Mitgliedern des Einwohnerrates zuzustellen. Dagegen erhob Die Mitte Wohlen Beschwerde beim Regierungsrat.
Damit begann der Zwist, der in Aarau entschieden werden sollte, erst recht. Die Beschwerde der Mitte wurde am 1. März 2022 gutgeheissen. «Im Wesentlichen mit der Begründung, dass die Gemeindeschreiberin-Stv., die als Aktuarin das Ratsbüro des Einwohnerrates administrativ unterstützt, rechtswidrig an der Abstimmung über die Ungültigerklärung der Motion der Mitte teilgenommen hat», fasst die Partei in einer Medienmitteilung rückblickend zusammen.
Einwohnerratspräsident mit Stichentscheid
Und dann wurde es ein Stück weit noch grotesker: Am 6.April beschloss das Ratsbüro des Einwohnerrates erneut – diesmal ohne Beteiligung der Aktuarin, aber mit Stichentscheid des Präsidenten des Einwohnerrates –, dass die Motion der Mitte nicht zulässig sei. Die Motion wurde demzufolge wieder nicht den Mitgliedern des Einwohnerrates zur späteren Beratung und Beschlussfassung zugestellt. Dagegen erhob Die Mitte Wohlen am 14. April erneut Beschwerde beim Regierungsrat.
Parteipräsident Harry Lütolf liess also nicht locker. Und nun bekam er zum zweiten Mal Recht. Nun siegte er gegen die Einwohnerratsspitze und gegen die Haltung der Verwaltung. Mit Entscheid vom 18.Oktober wurde die Beschwerde der Mitte Wohlen erneut gutgeheissen. «Diesmal werden die zuständigen Organe der Gemeinde jedoch ausdrücklich angewiesen, die Motion der Mitte Wohlen vom 3. Oktober 2021 dem Einwohnerrat für die weitere Beschlussfassung im ordentlichen Verfahren zuzuweisen», hält die Partei fest.
Die Mitte Wohlen ist über diesen Ausgang natürlich sehr erfreut. Sie war sich «ihrer Sache immer sicher, zumal es der Partei nur um eine Selbstverständlichkeit gegangen ist: eine grösstmögliche Transparenz gegenüber der Stimmbürgerschaft bei Volkswahlen durch Bekanntgabe auch der Namen jener Personen, die bei einer Wahl eine gewisse Anzahl gültige Stimmen erhalten haben», schreibt die Partei. Diese Transparenz wurde bei der letzten lokalen Volkswahl entgegen den bisherigen Gepf logenheiten unterlassen. Und weiter: «Die Mitte Wohlen freut sich zudem, dass unsere Motion nach über einem Jahr seit der durch das Ratsbüro und der Gemeindekanzlei verhinderten Einreichung nun endlich an alle Einwohnerrätinnen und Einwohnerräte zugestellt, im Parlament traktandiert und beraten werden muss.» Einwohnerratspräsident Cyrille Meier will das Urteil aus Aarau erst studieren. Erst danach möchte er sich dazu äussern.
«Lehren ziehen und solche Spielchen vermeiden»
Die Partei um Präsident Lütolf kann sich in ihrer Medienmitteilung einen Seitenhieb nicht verkneifen: «Voraussichtlich nimmt damit eine leidige, langwierige und geradezu groteske Geschichte endlich ein Ende», so die Partei. Die Mitte Wohlen hofft zudem, «dass die betroffenen Akteure in unserer Gemeinde daraus ihre Lehren ziehen werden, damit solche zeitaufwendigen und auch kostspieligen Spielchen in Zukunft vermieden werden können».
Nicht statthaft
Das Departement Volkswirtschaft und Inneres fasst das Urteil insgesamt auf neun Seiten ab. Der Generalsekretär kommt zum Schluss, die Gemeindebeschwerde von Der Mitte gutzuheissen. Und die besagte Motion sei für die weitere Beschlussfassung im ordentlichen Verfahren zuzuweisen.
In der Abhandlung wird die Frage aufgeworfen, ob dem Büro des Einwohnerrates die Kompetenz zusteht, eine eingereichte Motion ohne Antragsstellung durch den Gemeinderat und ohne Traktandierung sowie Diskussion im Einwohnerrat wegen Verstoss gegen Formvorschriften als unzulässig zu erklären. Innerhalb des Normgefüges der Gemeinde Wohlen bestehe zwar ein «gewisser Widerspruch», heisst es in der Begründung. Ein Vergleich ist jedoch interessant: «Würde sich das Verfahren, wie in der Gemeindeordnung festgehalten, nach kantonalem Recht richten, wäre eine formelle Überprüfungsbefugnis durch das Ratsbüro nicht statthaft.»
Und abschliessend heisst es im Urteil. «Nachdem feststeht, dass die Motionsfähigkeit des vorliegend zu überprüfenden Vorstosses ohnehin gegeben ist und der parlamentarische Vorstoss nicht gegen übergeordnetes kantonales Recht verstösst, ist der Entscheid des Büros des Einwohnerrates vom 6. April ohnehin aufzuheben. Und die Motion Der Mitte ist für die Behandlung im Rat zuzulassen.» --dm
«Nicht Aufgabe der öffentlichen Hand»
Gemeinderat sieht Motion betreffend Ladestationen als erfüllt
Mittels Motion verlangt Mitte-Präsident Harry Lütolf die Bereitstellung von Parkplätzen mit Ladestation auf öffentlichem Grund. Der Gemeinderat sieht dagegen keinen Handlungsbedarf.
Alle im Eigentum der Gemeinde befindlichen oder von der Gemeinde betriebenen öffentlich zugänglichen Tiefgaragen sollen mit Ladestationen für elektrische Fahrzeuge versehen werden. Pro Tiefgarage sollen mindestens fünf Prozent aller Parkplätze für solche elektrischen Fahrzeuge vorgesehen sein. Dies fordert Motionär Harry Lütolf. Der Gemeinderat sieht das dagegen anders. Er beantragt Nichtüberweisung des Vorstosses. Für Lütolf ist es eine Tatsache, dass der motorisierte Individualverkehr zunehmend mit alternativen Antriebsformen abgewickelt wird. «Derzeit stehen elektrisch betriebene Fahrzeuge im Vordergrund.» Gleichzeitig seien in Wohlen Parkplätze mit Ladestationen auf öffentlichem Grund rar. «Sogar die neue Tiefgarage beim Bahnhof Wohlen mit mehr als 100Parkplätzen verfügt über keine einzige Ladestation für Elektrofahrzeuge», kritisiert der Mitte-Präsident. «Daran muss sich rasch etwas ändern.»
Die Gemeinde Wohlen ist im Besitz von zwei unterirdischen öffentlich zugänglichen Parkierungsanlagen. Die neue P&R-Anlage unterhalb des neuen Bushofs umfasst 107Parkplätze, die Einstellhalle Turnhalle Hofmatten umfasst im Endausbau 147 Parkplätze. Die Motion fordert, dass fünf Prozent der Plätze mit Ladestationen ausgerüstet werden sollen (Hofmatten 7 Plätze, Bushof 5 Parkplätze). «Ladesäulen sind bei Parkierungsanlagen sinnvoll, wo E-Fahrzeuge lange stehen», schreibt der Gemeinderat. Dies ist bei den beiden öffentlich nutzbaren Tiefgaragen der Fall. In beiden Anlagen ist zudem die Installation von Langsamladestationen vorgesehen. Die notwendigen Vorinstallationen wurden laut Gemeinderat vorgenommen, damit sind Leerrohre und die Erschliessung gemeint. Und der in der Motion geforderte Anteil von fünf Prozent an Ladestationen könne in beiden Fällen «bei Weitem erfüllt werden». Der Gemeinderat unterstützt die Absicht der Motion, die Elektromobilität zu fördern. «Der Gemeinderat erachtet es aber nicht als Aufgabe der öffentlichen Hand, E-Ladestationen selber zu betreiben und damit in den liberalisierten Energiemarkt einzugreifen.» Der Betrieb von E-Ladestationen müsse «wirtschaftlich sein und soll durch Energieunternehmungen selber erfolgen. Dementsprechend ist nicht die öffentliche Hand Eigentümerin und auch nicht für Installationen, Unterhalt oder Abrechnung verantwortlich», legt der Gemeinderat seine Haltung dar. Zudem sei die Forderung der Motion erfüllt. Die Vorinstallationen sind in den beiden betroffenen Bauprojekten vorgesehen. «Zusätzliche finanzielle Mittel werden nicht benötigt.» --dm
NACHGEFRAGT
«Bitterer Nachge schmack bleibt»
Er hat einen grossen Aufwand auf sich genommen. Und gleich zweimal Beschwerde in Aarau eingereicht. Der grosse Aufwand hat sich für Harry Lütolf also gelohnt. Die Motion betreffend Behebung der unbefriedigenden Protokollierung der Gemeindewahlen an der Urne kommt nun in den Einwohnerrat. Das Dorfparlament darf über die Protokollierung der Gemeinderatswahlen tatsächlich diskutieren und debattieren. Und Lütolf fordert nichts anderes als Transparenz und die Rückkehr zur Tradition: Bei künftigen Gemeindewahlen an der Urne sind für alle betroffenen Ämter alle Personen mit mindestens zehn gültigen Stimmen separat auszuweisen.
Sie als Beschwerdeführer und Ihre Partei Die Mitte haben gewonnen. Was überwiegt nun mehr, die Freude über den Erfolg oder eben die Genugtuung, dass Sie sich gegen diverse Widerstände durchgesetzt haben?
Harry Lütolf: Die Genugtuung überwiegt. Meine Partei war sich ihrer Sache immer sicher, nun wird dem Recht endlich zum Durchbruch verholfen. Es bleibt ein bitterer Nachgeschmack, weil wir für eine Selbstverständlichkeit einen enormen Aufwand betreiben und in Aarau Personal beschäftigen mussten. Auch bleibt es das Geheimnis der Gegenspieler, warum man gegen unser Anliegen, bei Volkswahlen grösstmögliche Transparenz gegenüber der Stimmbürgerschaft zu schaffen, derart verbissen vorgegangen ist.
Das Urteil zeigt etwas Wesentliches: Die Politik steht eben doch über der Verwaltung – und nicht umgekehrt. Ist dieses Urteil auch deshalb so wichtig?
Die Hierarchie wäre eigentlich klar. Die Volksvertretung darf sich die Beschneidung ihrer Rechte durch die Verwaltung nie gefallen lassen. In dieser Geschichte gab es ja zwei Urteile, die über diesen Fall hinaus zur Rechtssicherheit beitragen. Erstens ist nun klar, wer im Büro des Einwohnerrates seine Stimme abgeben darf und wer nicht. Und zweitens ist klar, dass solche Motionen von Fraktionen oder Mitgliedern des Parlaments selbst dann zulässig sind, wenn diese nach Lesart der Verwaltung angeblich in die Kompetenz des Gemeinderates oder anderer Gemeindeorgane eingreifen.
Der Einwohnerratspräsident hat sich zweimal gegen die Behandlung der Motion im Einwohnerrat entschieden. Werten Sie das Urteil auch als ein Zeichen an den Einwohnerratspräsidenten, dass er für das Parlament und alle Parteien da ist oder handeln sollte?
Der aktuelle Einwohnerratspräsident hat in dieser Geschichte keine gute Falle gemacht. Er hätte tatsächlich für die Fraktionen und Mitglieder des Dorfparlaments einstehen müssen. Die Diskussionen über die Zulässigkeit unserer Motion hätten im Einwohnerrat und in aller Öffentlichkeit stattfinden müssen. Den Gang nach Aarau hätte man sich so höchstwahrscheinlich sparen können. Dazu hätte der Einwohnerratspräsident zweimal die Chance gehabt, die er aber vertan hat.
Und was erwarten Sie jetzt bei der Behandlung der besagten Motion vom Einwohnerrat?
Mit einem Jahr Verzögerung muss die Motion nun endlich an die Mitglieder des Einwohnerrates zugestellt werden. Ich gehe davon aus, dass das Anliegen meiner Partei im Parlament auf grosses Verständnis stossen wird. Nach einer Überweisung kann dann wieder die Verwaltung darüber brüten, wie der Vorstoss umzusetzen ist. Bis zur nächsten Volkswahl in Wohlen bleibt genug Zeit. --dm