Wille im Wandel
08.04.2022 Region UnterfreiamtSeit rund zwei Jahren ist die Villmergerin Susanne Wille SRF-Kulturchefin
20 Jahre lang war sie im TV zu sehen und moderierte Politsendungen. Seit Juni 2020 ist Susanne Wille SRF-Kulturchefin und führt über 200 Leute. Die 47-jährige Villmergerin spricht über eine spannende Zeit des Wandels.
Stefan Sprenger
Sie ist von der TV-Bildf läche verschwunden. Seit 1. Juni 2020 ist Susanne Wille SRF-Kulturchefin und nahm Einsitz in der Geschäftsleitung von SRF. Zuvor war sie zwei Jahrzehnte lang eine der bekanntesten Schweizer Fernseh-Journalistinnen und moderierte Sendungen wie «10vor10» oder die «Rundschau». Vom Rampenlicht in den Hintergrund. Wie hat sie dies «verkraftet»? Susanne Wille lacht. «Es war nie ein Thema. Als Politmoderatorin und Reporterin durfte ich so viel Interessantes machen. Doch jetzt ist eine neue Etappe und meine neue Aufgabe ist seit dem ersten Tag enorm spannend. Ich kam in eine neue und prall gefüllte Welt.» Sie vermisst es nicht, dass ihr Gesicht nicht mehr über die Schweizer Fernsehapparate f limmert. «Schon in den letzten Jahren als Politmoderatorin nahm ich Führungsaufgaben wahr. Und merkte, ich habe Lust und bin bereit, noch mehr Verantwortung und Managementaufgaben zu übernehmen. Es war der richtige Schritt zum richtigen Zeitpunkt.»
«Aufbruch in ein neues Zeitalter»
Umbau, Abbau, Wandel. Ihr neuer Job birgt viele Herausforderungen. In Zeiten des Coronavirus und einer gelähmten Kulturszene war ihr Job umso herausfordernder. Als «intensiv» bezeichnet sie die letzten knapp zwei Jahre als Kulturchefin. «Einschneidende Sparmassnahmen umsetzen. Die digitale Transformation vorantreiben. Neue Angebote schaffen. Das bestehende Angebot pflegen und weiter ausbauen. Das war alles anspruchsvoll, für alle. Mich beeindruckt, was die Teams in dieser Zeit gestemmt und an Kulturangeboten entwickelt haben», sagt die Villmergerin, die auch heute noch mit ihrem Mann Franz Fischlin (der die Tagesschau moderiert) und ihren Kindern in der Region lebt.
Wille macht auch konkrete Beispiele, was sie mit ihrem Team von über 200 Leuten bereits angepackt hat. Insgesamt über ein Dutzend neue Angebote oder Weiterentwicklung wurden umgesetzt. Ein neues, digitales Reportage-Format «rec.». Das Konzept der Sendung «Kulturplatz» wurde verändert. Neue Literaturangebote oder Hörspiele als Podcasts wurden geschaffen. In der Kulturabteilung wurden grosse Veränderungen umgesetzt, die Wille als «Aufbruch in ein neues Zeitalter» beschreibt. Dies, weil die Medienwelt sich ständig verändert. «Man kann nicht mehr einfach in Sendeplätzen denken, sondern viel mehr in Themenfeldern.» Fernsehen, Online, Radio, Audio – die Geschichten müssen in der heutigen digitalen Welt auf vielen Ebenen funktionieren.
Viel zu tun für die Freiämterin. Hinzu kommt ihre Arbeit in der Geschäftsleitung von SRF. Dazu zählt auch der Einsitz in der Geschäftsleitung von 3Sat, also die Zusammenarbeit mit ARD, ZDF und ORF. «Die gemeinsame Arbeit mit den ausländischen Sendern war eine grosse Horizonterweiterung», so Wille. Hinzu kommen nationale Projekte mit den Sendern «RTS», «RSI» und «RTR».
Und die Konkurrenz schläft nicht. Streamingdienste sind enorm beliebt. Wie schätzt Wille diese Konkurrenz ein? «Die anderen Streamingdienste spornen uns an. Wir fokussieren mit unseren Serien auf Geschichten aus der Schweiz und freuen uns, dass wir mit ‹Tschugger› und Co. das Publikum auf Play Suisse und im TV überzeugen können. Übrigens arbeiten wir ja auch mit den Streaminganbietern zusammen: ‹Neumatt›, unsere Stadt-Land-Serie, wird in Kürze in 30 Sprachen und weltweit in 190 Ländern auf Netflix zu sehen sein. Das freut mich auch für das Schweizer Filmschaffen.»
Corona hat Kultur hart getroffen
Prägend war für Wille auch das Coronavirus. «Ein unglaublicher Einschnitt» sei es gewesen. «Die Pandemie hat die Kultur hart getroffen.» Als sie am 1. Juni 2020 ihre neue Stelle antrat, war vieles noch immer eingeschränkt. Kinos, Theater, Konzerte. Es galt, Unterstützungsprogramme für die Kulturschaffenden zu realisieren – von Schreibwettbewerben bis hin zu einem offenen Mikrofon samt Carte Blanche. Zur «Kultur» zählt beim Schweizer Fernsehen auch die Wissenschaft. Und die war in dieser Zeit stark gefordert. Einordnungen der Pandemiesituation durch die SRF-Experten waren an der Tagesordnung.
Wille, ein stets positiv eingestellter Mensch, beobachtet aber auch Veränderungen, die bis heute nachwirken – zumindest was ihre Arbeit betrifft. «Die Kreativität wurde gefördert. Man musste umdenken. Wir mussten uns neu aufstellen und haben eine Selbstverständlichkeit entwickelt, die Dinge anders anzugehen. Auch in Sachen Digitalisierung konnten wir in dieser Zeit viel lernen.» Der Austausch mit dem Publikum wurde intensiviert, hauptsächlich über die Onlinekanäle.
Die bereichs- und auch kanalübergreifende Zusammenarbeit ist Wille wichtig. Philosophie, Religion, Dok, Reportagen, Hörspiele, Wissenschaft, Musik – die Bandbreite des SRF-Kulturprogramms ist gross. «Die Zusammenarbeit ist daher umso wichtiger», erklärt Wille. Und: «In einer immer komplexeren Welt braucht es Orientierung, deshalb haben wir beim Wissen investiert.» Die Wissensthemen sprechen auch viele junge Leute an. Doch die konsumieren nur wenig lineares TV. Deshalb produziert man neue Wissens-Formate wie zum Beispiel «SRF Co2ntrol» für die digitalen Plattformen, die dann auch im Fernsehen gezeigt werden. «Ineinander verschmelzen», nennt Wille das. Was konsumiert sie persönlich eigentlich im TV? Was sieht sich Susanne Wille für Sendungen an? «Es ist mir wichtig, zu wissen, was unsere Teams erarbeiten. Und zwar auf allen Kanälen», sagt sie und macht Beispiele: Eine «Dok»-Sendung auf «Play SRF», ein Wissenschaftsmagazin auf «Radio SRF 2 Kultur», ein Reel aus der Kulturberichterstattung auf Instagram, eine «Sternstunde» im TV oder unsere Serien auf «Play Suisse». Es darf aber auch gern mal ein Familienfilm mit der ganzen Family sein. «Pizza inklusive», lacht Wille.
«Freue mich auf die Gesichter von damals»
Susanne Wille ist es als Kulturchefin wichtig, dass auch Hintergründe zu Aktuellem realisiert werden, zum Beispiel den Krieg in der Ukraine zu thematisieren. Beispielsweise wurden die Geldspuren der russischen Oligarchen in der Schweizer Kulturszene aufgezeigt. Wird denn auch am Familientisch mit ihren Kindern und ihrem Mann Franz Fischlin über solche Themen diskutiert? «Ja», sagt Wille. «Über die journalistischen Themen reden wir oft beim gemeinsamen Essen.» Auch wenn diese seltener geworden sind, weil ihr Mann nach wie vor in Zürich arbeitet und sie hauptsächlich in Basel tätig ist. «Mein Mann und ich brennen beide für den Journalismus. Er ist in den News. Ich bin jetzt eher im strategischen und Management-Bereich. Aber unserem Publikum starken Journalismus zu bieten, ist nach wie vor unser gemeinsames Ziel», so Wille.
Angesprochen auf die Zukunft, benutzt Wille schnell die Worte «digitale Transformation». Der Medienwandel schreitet voran. Das neue, jüngere Publikum müsse man auch vermehrt durch andere Kanäle ansprechen und darf dabei das «klassische Publikum» nicht verlieren. Diese Digitalisierung wird sie als Kulturchefin und auch als Teil der Geschäftsleitung weiterhin stark beschäftigen. Denn die Veränderung wird nicht aufhören. «Wir müssen in der Veränderung zu Hause sein», sagt die studierte Historikerin und Anglistin, die seit 2001 bei SRF arbeitet. Man müsse wachsam sein, weil die Mediennutzung sich laufend verändert, ständig neue Kanäle entstehen. Die Freiämterin weiss, wovon sie spricht. Sie war bis zu ihrer Wahl als Kulturchefin Mitglied im operativen Projektteam von «SRF 2024», einem zentralen Transformationsprojekt von SRF. Wille hat Erfahrung aus 20 Jahren Journalismus. Und sie hat sich auch neues Know-how angeeignet. An der Harvard Business School und am Massachusetts Institute of Technology (MIT) hat sie sich in Digitalstrategien und Change Management weitergebildet. Sie ist also die richtige Person in dieser sich wandelnden Zeit.
Apropos Zeit. Die vergeht wie im Flug. Im Gespräch mit Susanne Wille und genauso in einem Menschenleben. «Ich bin heute 47. Es naht.» Damit meint sie als Villmergerin das Jahrgänger-Treffen und das Güüggen an der Fasnacht. Vor ein paar Tagen hat sie den Jahresbeitrag eingezahlt. Beim Güüggen wird sie «unbedingt dabei sein». Aus ihrem Jahrgang 1974 kennt sie «praktisch alle», wie sie erzählt. «Ich hatte eine wunderbare Kindheit und Jugendzeit in Villmergen. Ich bin nach wie vor stark verwurzelt im Freiamt. Und ich freue mich sehr, die Gesichter von damals wiederzusehen.»
Wäre das «Güüggen» nicht mal ein Thema für einen SRF-Beitrag im Fernsehen – ist ja schliesslich auch Kulturgut. «Schön wäre es», sagt sie lachend. «Aber das ist kein Wunschkonzert der Chefin. Die Redaktionen und die Planung entscheiden das nach publizistischen Kriterien. Wir berichten aber regelmässig über Kulturanlässe aus allen Regionen der Deutschschweiz. Das gehört zum Service Public und unserem Kulturförderungsauftrag, der uns durch die Konzession vorgegeben ist.» Susanne Wille – sie scheint ein enormes Wissen zu haben – verweist aber auf einen Radio-Beitrag des Regionaljournals Aargau-Solothurn, der vor einigen Jahren produziert wurde. Das Thema der Sondersendung: Güüggen in Villmergen.