Besondere Momente im Redaktionsalltag: Schwester Gaudentia erzählt «zu Hause» aus ihrem Leben (23. November)
Annemarie Keusch
Es sind Geschichten, die haften bleiben. Bei der Geburt von 5000 Kindern hat Schwester Gaudentia im ...
Besondere Momente im Redaktionsalltag: Schwester Gaudentia erzählt «zu Hause» aus ihrem Leben (23. November)
Annemarie Keusch
Es sind Geschichten, die haften bleiben. Bei der Geburt von 5000 Kindern hat Schwester Gaudentia im südlichen Hochland Papua-Neuguineas mitgeholfen. Keine Frau ist mehr bei der Entbindung gestorben. «Es war oft ein Wunder», sagt sie an diesem Abend in der Bannegg-Halle in Waltenschwil, im Dorf, in dem sie aufwuchs und das sie vor über 50 Jahren hinter sich liess. Schwester Gaudentia erzählt solche Geschichten nicht, um damit anzugeben. Auch jene nicht, als sie sich alleine gegen einen Mob stellte, als eine Frau als Hexe gequält und verbrannt werden sollte. Die über 80-Jährige erzählt es mit ruhiger Stimme, mit Demut und völlig pragmatisch. Das, was sie während den über 50 Jahren in Papua-Neuguinea erlebt hat, ist für sie nichts Spezielles. Sie hat einfach versucht zu helfen.
Es ist nicht meine erste Begegnung mit Schwester Gaudentia. Fast neun Jahre ist es her, dass wir uns während eines ihrer Heimaturlaube im Kloster Baldegg getroffen haben. Damals stand die Hexenverbrennung im Zentrum des Artikels, der in der Folge dieses Treffens erschien. Schwester Gaudentia macht Eindruck. Und das will sie nicht. Bescheidenheit strahlt sie aus, sie reagiert verlegen, wenn sie in Texten als eine Art Heldin dargestellt wird. Die gleiche Erfahrung machte auch Helene Arnet. Sie schrieb ein Buch über Schwester Gaudentia: «Mit Gottvertrauen im Gepäck». Wegen der Pandemie musste die Vernissage dieses Buches in Gaudentias Heimat Waltenschwil um ein Jahr verschoben werden und fand erst diesen November statt.
Auf eine Reise in eine ganz andere Welt
Schwester Gaudentia steht im Eingangsbereich der Bannegg-Halle. Etwas abseits lächelt sie allen zu, die hereinkommen. Dass alle vor allem auch wegen ihr da sind, ist ihr vermutlich unangenehm. «Wie gehts?», fragt sie, als ich auf sie zugehe. Sie sei ganz zufrieden. Nervös? «Ich erzähle einfach. Das wird schon gut gehen.» Es ist jene positive Haltung, die auch ihren Erzählungen über ihr Wirken im südlichen Hochland Papua-Neuguineas entnommen werden kann. Sie bastelte und zeichnete Plakate, um die Aids-Prävention und die Auf klärung voranzubringen. Die Nonne sprach mit den Leuten über Verhütung, während die katholische Kirche sich nach wie vor scheut, solche Themen auf den Tisch zu bringen. «Ja, ich habe mit ihnen über Sex gesprochen», sagt Schwester Gaudentia auch an diesem Abend in der Bannegg-Halle.
An diesem Anlass stand sie im Zentrum, viel mehr, als es ihr eigentlich lieb ist. In ihrem Heimatort berichtete sie aus ihrem Leben am anderen Ende der Welt. Erzählte, dass die Namen ihrer Verwandten auch dort von Kindern und mittlerweile Erwachsenen getragen werden. «Für sie sind halt unsere Schweizer Namen exotisch», sagt Gaudentia und lacht. Sie nimmt die Besucherinnen und Besucher mit in eine Welt, die in vielerlei Dingen so ganz anders ist als jene im Freiamt. Sie tut dies pragmatisch, glorifiziert nicht, nennt die schlimmen Dinge genauso wie die schönen. Auch Schwester Gaudentia fiel es nicht immer leicht, den Spagat zu schaffen.
Für sie wäre es nicht der Rede wert
Sämtliche rund hundert Besucherinnen und Besucher hängen Schwester Gaudentia und Schwester Lukas, die mit ihr fast fünf Jahrzehnte in Papua-Neuguinea war, an den Lippen. Die beiden Nonnen sind die Stars, sitzen aber ganz bescheiden auf dem Sofa und beantworten Fragen, erzählen. Dass die ganze Aufmerksamkeit auf sie gerichtet ist, scheint beiden Frauen unangenehm zu sein. Ungläubig lacht Schwester Gaudentia, als sie nach der Buchpräsentation nach einer Unterschrift in einem Exemplar gefragt wird. Für sie ist es ganz normal, was sie von 1969 bis 2018 im südlichen Hochland von Papua-Neuguinea geleistet hat, nicht der Rede wert, nicht speziell.
Eine Frau mit so viel Demut, Respekt gegenüber anderen Kulturen, Durchsetzungsvermögen und Selbstlosigkeit hinterlässt bei jeder Begegnung ganz viel Eindruck. Auch wenn ihr das unangenehm zu sein scheint.