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27.07.2021 KelleramtSerie «Auf einen Kaffee mit …»
Hans-Peter Nussbaum ist als Leiter Fachbereich Gewässer des Kantons zurzeit stark gefordert. In der Serie «Auf einen Kaffee mit …» erzählt er, wie er die Gemeinden in den letzten Wochen ...
Serie «Auf einen Kaffee mit …»
Hans-Peter Nussbaum ist als Leiter Fachbereich Gewässer des Kantons zurzeit stark gefordert. In der Serie «Auf einen Kaffee mit …» erzählt er, wie er die Gemeinden in den letzten Wochen unterstützen konnte.
Während der Hochwasser kümmerte sich Hans-Peter Nussbaum vor allem um die Brücken und Reussdämme. Bei Letzteren beobachtete er, ob sich deren Zustände veränderten. Bei den Bächen beriet er die Gemeinden und liess mögliche Sofortmassnahmen direkt durch die Gemeinde- und Forstämter ausführen.
Grosse Arbeit beginnt jetzt
Nussbaums grösste Arbeit beginnt erst jetzt, nachdem das Wasser wieder tiefer fliesst und die Veränderungen an den Bächen richtig sichtbar werden. Bedrohen neue Uferanrisse bestehende Infrastrukturen, leitet er rasch die nötigen Sanierungen ein. Denn eines ist gewiss: Grosse Hochwasser werden künftig wohl häufiger auftreten. --rwi
«Es gibt unbekannte Faktoren»
«Auf einen Kaffee mit …»: Hans-Peter Nussbaum, Leiter Fachbereich Gewässer des Kantons
Starke Regenfälle und Hochwasser waren in den letzten Wochen immer wieder in den Schlagzeilen. Nun erst werden die Auswirkungen langsam wirklich sichtbar. Hans-Peter Nussbaum ist als Leiter Fachbereich Gewässerunterhalt des Kantons Aargau an vorderster Front betroffen.
Roger Wetli
Der ausgebildete Förster Hans-Peter Nussbaum leitete über Jahre einen Forstbetrieb im Aargauer Jura. Seit 2013 arbeitet er im Gewässerunterhalt des Kantons und wechselte 2018 in den kantonalen Werkhof in Rottenschwil. Als Fachbereichsleiter ist Nussbaum für den ganzen Aargau zuständig. Sein eigenes Schwerpunktgebiet umfasst aber alle ostkantonalen Gemeinden zwischen Koblenz im Norden, Hägglingen und Dietwil im Süden des Kantons.
Die Reuss und die Bäche führten in den letzten Wochen sehr viel Wasser. Wie oft konnten Sie in dieser Zeit schlafen?
Hans-Peter Nussbaum: Gleich oft wie sonst. Zusätzliche Arbeit hatte ich an den Wochenenden. Ich fühlte mich aber nie überfordert oder überlastet. Dies, weil das Vorgehen bei solchen Hochwassern klar definiert und niedergeschrieben ist. Führt die Reuss zum Beispiel 500 Kubikmeter Wasser pro Sekunde, werde ich informiert, dass allenfalls mit Zusatzarbeiten zu rechnen ist. Sind es dann 600 Kubikmeter in der Sekunde, müssen wir die Dämme regelmässig auf undichte Stellen prüfen und die Werdbrücke schliessen. Letzteres geschah vorletzte Woche zwischen Mittwoch und Samstagnachmittag.
Wurde auch die Sperrung der Rottenschwiler Brücke in Erwägung gezogen?
Nein. Denn bevor diese überspült wird, läuft das Wasser über die Dämme in die umliegenden Felder. Diese Brücke ist also nicht gefährdet.
Als Leiter Fachbereich Gewässer sind Sie nicht nur für die Reuss, sondern auch für die kleinen Bäche zuständig. Wie sah da die Situation aus?
Die Informationen zu den Bächen gelangen verzögert zu mir. Wenn es regnet, bin ich nicht vor Ort. Da schaut in der Regel das örtliche Bauoder Forstamt oder die Feuerwehr nach dem Rechten. Selber werden wir erst aktiv, wenn das Wasser wieder tiefer fliesst und die Veränderungen wirklich sichtbar werden. Sind zum Beispiel die Kiessammler gefüllt, müssen diese schnell wieder geleert werden, damit sie ihre Funktion bei einem nächsten Hochwasser wieder erfüllen können. Das geschah zum Beispiel bereits in Unterlunkhofen. Ebenfalls rasch eingreifen tun wir, wenn durch einen Uferanriss Infrastruktur gefährdet wird. Während der Hochwasser konzentrieren wir uns aber auf die Reuss und deren Pumpwerke und erst danach auf die Bäche.
Wie stark sind Sie während eines Hochwassers mit den Gemeinden in Kontakt?
Sehr stark. Wir beraten die Behörden, was vor Ort zu tun ist. Dabei sollen dringende Probleme möglichst auf der tiefsten Ebene und mit maximaler Effizienz gelöst werden. Zum Beispiel wurden wir vor zwei Wochen neben dem Hochwasser zusätzlich durch einen starken Sturm gefordert, der in einer Schneise zwischen Oberlunkhofen und Aristau viele Bäume knickte oder entwurzelte. Das Holz fiel teilweise in die Bäche und Kanäle und staute damit das Wasser zusätzlich auf. Wir legten deshalb grosse Priorität darauf, diese Bäume möglichst rasch aus den Gewässern zu entfernen.
Was passiert, wenn ein Bagger auf einen Schadenplatz bestellt wird? Erledigt er dann nur die Arbeiten am Gewässer oder auch an den umliegenden Liegenschaften?
An beidem. Zu Diskussionen führen manchmal anschliessend die Kosten. Diese müssen aufgeteilt werden. Nur weil die Hoheit der Bäche beim Kanton liegt, zahlt er nicht die Schäden, die durch überlaufendes Wasser an den danebenliegenden Infrastrukturen entstehen. Dies ist Sache der jeweiligen Grundeigentümer.
Die Pegel der Flüsse und Bäche sinken zurzeit. Ab wann wird man eine Übersicht über die Auswirkungen der aktuellen Hochwasser haben?
Das wird wohl in 1,5 bis 2 Wochen der Fall sein. Die Schäden werden uns jetzt laufend gemeldet.
Gibt es viele Diskussionen, wie schnell und was gemacht werden soll, um künftig Schäden zu vermeiden?
Die gibt es. Meist möchten die Liegenschaftsbesitzer rasch dauerhafte Lösungen. Hochwasserschutz ist aber ein komplexes Thema mit vielen Zusammenhängen. Erhöhe ich da einen Damm, kann das am nächsten Ort neue Probleme verursachen. Das müssen wir den Geschädigten erklären. Zudem braucht es für neue Massnahmen Baubewilligungen. Es ist deshalb Geduld gefragt. Wobei wir ein offenes Ohr und Verständnis haben. Wir nehmen die Betroffenen sehr ernst. Es bringt zum Beispiel nichts, wenn man einen Schuldigen sucht.
Wieso nicht?
Weil wir schauen müssen, dass wir gemeinsam eine Lösung finden, damit zum Beispiel ein Bach nicht mehr aus seinem Korsett fliesst. Beim Pflanzerbach in Eggenwil riss das Wasser tonnenschwere Steinblöcke aus der Böschung und deponierte sie im Bachbett. Dort werden wir wohl einen Bauunternehmer auf bieten, der die Steine heraushievt und wieder am alten Ort deponiert.
Rechnen Sie künftig mit mehr oder weniger Hochwasser?
Aufgrund der Prognosen müssen wir davon ausgehen, dass solche Ereignisse wohl zunehmen werden. Das aktuelle Hochwasser zeigt aber, dass die Anpassungen der letzten 15 Jahre Früchte tragen.
Bei all der Zusatzarbeit der letzten Wochen: Gibt es etwas, das Sie besonders gefreut hat?
Ja. Zum Beispiel, dass das Hochwasserrückhaltebecken Greuel in Muri zweimal seine Funktion erfüllt hat und dank diesem das Dorf verschont blieb. Das war eine grosse Freude. Trotzdem, man kann Hochwasser und Schutzmassnahmen noch so genau berechnen und Modelle erstellen: In der Natur gibt es immer noch zusätzliche Unbekannte, die man nicht unbedingt voraussagen kann. Das hat uns zum Beispiel auch wieder der Sturm zwischen Oberlunkhofen und Arni gezeigt.