Abschied vom Dorfbeizer
11.06.2021 Kelleramt«Central»-Wirt kündigt Pacht
Über zwei Jahrzehnte lang führte Beat Wirth das Restaurant Central in Oberlunkhofen. Jetzt ist Schluss. Die Pandemie zwingt den Gastronomen in die Knie.
In der ganzen Schweiz dürfen die Restaurants ...
«Central»-Wirt kündigt Pacht
Über zwei Jahrzehnte lang führte Beat Wirth das Restaurant Central in Oberlunkhofen. Jetzt ist Schluss. Die Pandemie zwingt den Gastronomen in die Knie.
In der ganzen Schweiz dürfen die Restaurants ihre Gäste wieder in den Innenräumen bedienen. Im «Central» bleiben die Lichter dagegen abgeschaltet – zumindest vorerst. Nach der Kündigung von Pächter Beat Wirth weiss Liegenschaftsbesitzerin Raiffeisenbank Kelleramt noch nicht, ob die Räumlichkeiten künftig als Dorfbeiz genutzt werden.
Beat Wirth macht die Coronapandemie und die Versicherung verantwortlich für die Aufgabe seines Betriebs. «Ich hatte zwar extra über Jahrzehnte in eine Versicherung einbezahlt, die mich vor einer Betriebsschliessung bewahrt. Jetzt fand ich aber heraus, dass sie zwar bei einer Epidemie zahlt, nicht aber bei einer Pandemie», erklärt er. Selbst wenn er dagegen vor Gericht gehen würde, käme ein möglicher positiver Entscheid wohl viel zu spät. Darum gibt er zu einer Zeit auf, in der er finanziell noch einen sauberen Schnitt ziehen kann. --rwi
Aufgabe wegen Pandemie
«Central»-Wirt Beat Wirth öffnet die Dorf beiz nicht mehr
Im Oktober 2019 feierte Beat Wirth noch das 30-jährige Bestehen des «neuen» Restaurants «Central». Zwei Jahre später gibt er seine Wirtetätigkeit auf. Eigentlich wollte er bis zur Pension bleiben.
Roger Wetli
«Die Pandemie und die Versicherung haben mir das Genick gebrochen», ist Beat Wirth verbittert. In einer Zeit, in der die Restaurants wieder drinnen Gäste bedienen dürfen, bleibt das «Central» geschlossen. Gewirtet wird an diesem Standort seit 1875. Zwischen 1988 und 1989 baute die Raiffeisenbank das heutige Gebäude. Die Pacht erhielt der damals 22-jährige Beat Wirth zusammen mit seiner Frau Bernadette Wirth. Sie blieben bis 1997. Neun Jahre später kam Wirth mit seiner heutigen Ehefrau Marlene nach Oberlunkhofen zurück. «Ich wollte bis zur Pension bleiben. Dass wir jetzt aufgeben müssen, schmerzt.»
Pandemie statt Epidemie
Dabei hatte der Gastronom eigentlich gemeint, alles richtig zu machen. «Ich habe bereits früh eine Versicherung gegen Betriebsschliessung abgeschlossen und diese alle fünf Jahre durch eine andere Versicherung auf Lücken prüfen und jeweils anpassen lassen. Niemandem ist dabei der fehlende Paragraf aufgefallen, der mich jetzt zur Schliessung zwingt», erklärt er. Beat Wirth stolperte über den Unterschied zwischen Epidemie und Pandemie. Bezeichnet man als Epidemie den Ausbruch einer schweren Krankheit, die sich in einer Region ausbreitet, wütet eine Pandemie weltweit. «Im Kleingedruckten fand ich den Hinweis, dass ich nur gegen Epidemie versichert bin. Das Geld, das ich aus Kulanz erhielt, reicht nirgends hin», gibt der Restaurantbetreiber Einblick. Er betont: «Es geht hier um viel Geld. Und selbst wenn ich jetzt den Rechtsweg einschlagen und Erfolg haben würde, käme die Unterstützung wohl viel zu spät.»
Anders als bei vielen Ausflugsrestaurants kehrten im «Central» die Gäste nach dem ersten Lockdown im letzten Juni nur zögerlich zurück. «Viele kamen nur bei schönem Wetter, weil sie nicht drinnen sitzen wollten. Zudem fehlten mir die Vereine, da sich diese nicht treffen durften», blickt Wirth zurück. Sein Betrieb sei aber auch extrem Partyservice-lastig. Diese Engagements fehlten im 2020. «Es wurden rund 1550 Mahlzeiten abgesagt», erklärt er. Als der Bundesrat dann am 22. Dezember die Restaurants schloss, lief im «Central» gar nichts mehr. Das blieb bis heute. Die Gartenwirtschaft öffnete er nicht, weil diese im «Central» sehr schattig gelegen ist und der Mai sehr kalt war. Die Optionen als «Büezerbeiz» oder Takeaway habe er überprüft. «Es hätte sich aber mit den zusätzlichen Kosten nicht gerechnet», weiss er. Beat Wirth schliesst jetzt in einer Situation, in der er finanziell noch einen sauberen Schnitt ziehen kann.
Schade für das Dorf
Das Modell «Dorfrestaurant», wo man sich zum Beispiel nach der Arbeit trifft, funktioniere nicht mehr überall. Zudem sei die Zukunft für ein solches Restaurant sehr ungewiss, beteuert der Beizer. «Die Gewohnheiten der Gäste haben sich während der Pandemie schwer verändert. Viele haben sich auch neu orientiert, weil sie sich anders verpflegen mussten», so Wirth. «Das wird wohl noch lange andauern. Ebenfalls haben die Vereine sich jetzt selber mit Verpf legungsmöglichkeiten nach ihren Aktivitäten ausgestattet», so Wirth. Das habe den Nachteil, dass sie so unter sich bleiben und es zu keinem Austausch mehr zwischen den Gruppen im Dorfrestaurant kommt.
Zukunft noch ungewiss
Er fände die Schliessung schade für das Dorf. Einer möglichen Nachfolge wünsche er gutes Gelingen und viel Herzblut. Wie es mit dem «Central» weitergeht, ist ungewiss. Raiffeisen-Kelleramt Albis-Geschäftsführer André Bächinger: «Wir haben die Kündigung mit grossem Bedauern zur Kenntnis genommen und schauen jetzt, wie es weitergeht.»
Trotz einer gewissen Verbitterung spüren Marlene und Beat Wirth vor allem eine grosse Dankbarkeit für die langjährige grosse Unterstützung ihrer treuen Gäste, der Vereine, Gemeinde und Mitarbeiter. «Wir fühlten uns immer getragen vom Dorf.» Was Beat Wirth in Zukunft machen wird, ist ebenfalls noch offen. «Es wird aber wohl wieder etwas im Gastgewerbe sein», mutmasst er und lässt doch noch ein Zeichen der Hoffnung aufflackern.
30 Prozent werden Probleme haben
GastroAargau-Präsident sieht das «Central» als Härtefall
«Mir sind im Aargau keine weiteren Restaurants bekannt, denen trotz Betriebsschliessungsversicherung kein Geld ausbezahlt wurde und die deshalb ihre Tätigkeit beenden mussten», erklärt Bruno Lustenberger, Präsident von GastroAargau. Er beteuert, dass Beat Wirth sein Geld gegen die Versicherung auf dem Rechtsweg einklagen müsste. «Dies haben bereits einige Betriebe getan, und die ersten Erfolge stellen sich ein, und es gibt bereits für die Wirte positive Gerichtsurteile.» GastroAargau rechne damit, dass im Kanton in nächster Zeit zirka 30 Prozent aller Betriebe entweder geschlossen werden oder einen neuen Wirt bekommen. «Dies scheint sehr viel zu sein, aber wir haben auch im Normalfall eine natürliche Fluktuation», so der Präsident, der selber das Hotel Krone in Aarburg führt. Dank der Aargauer Regierung, welche die Wirte unterstützt hat, sei das Problem nicht so gross wie in anderen Kantonen. «Insbesondere die Fixkostenbeiträge haben den Wirten geholfen, ihren Verpflichtungen nachzukommen», erläutert Bruno Lustenberger. «Leider gibt es aber schon Härtefälle, welche durch alle Netze fallen. Das ist aber wohl in jeder Krise so.» --rwi