«Ein Bier mit Dir»
08.01.2021 Wohlen«Dreimal Drei» mit Alt-Oberrichter Ruedi Bürgi
Nach über 30 Jahren am Obergericht ging Ruedi Bürgi 2019 in Pension. Letztes Jahr wollte er das Leben geniessen – es kam anders. Dafür gibt es vieles, auf das er sich jetzt freuen ...
«Dreimal Drei» mit Alt-Oberrichter Ruedi Bürgi
Nach über 30 Jahren am Obergericht ging Ruedi Bürgi 2019 in Pension. Letztes Jahr wollte er das Leben geniessen – es kam anders. Dafür gibt es vieles, auf das er sich jetzt freuen kann.
An welchen drei Dingen im Leben erfreuen Sie sich als pensionierter Oberrichter?
1. Ein SMS am Nachmittag von Anzgy: «Du, Gaston, die Sonne scheint. Lust auf ein Pétanque?» Dieses Beispiel steht für die gewonnene Freiheit, auf vielfältige Art spontan etwas unternehmen zu können, und hebt sich markant vom Eingebundensein in die Verpflichtungen des Arbeitslebens ab. Ein kleines Aber begleitet mich allerdings, denn wegen verschiedener ebenfalls wertvoller Ämter und Betätigungen gilt für die Möglichkeit, spontan zu sein: nicht immer, aber immer mehr …
2. Was fühlt sich denn so leicht an? Die Last ist weg: In meinem Berufsleben war nie die Arbeit als Richter eine Last, sondern belastend war immer wieder die Masse der eingehenden und zu behandelnden Fälle. Der Wegfall dieses Druckes war in der Zeit «danach» schon fast physisch entlastend spürbar. Nach den Ferien war mein Besprechungstisch beispielsweise vor lauter neuen Beigen jeweils fast nicht mehr zu sehen und es brauchte für mich jeweils zirka die gleiche Zeit, wie die Ferien gedauert hatten, um wieder «normal» weiterarbeiten zu können. Das nicht mehr zu haben, fühlt sich grossartig an.
3. Auf zu neuen Horizonten: Viele entdecken ganz Neues, andere vertiefen oder intensivieren Bestehendes und Glück braucht es, wenn die Gesundheit ein treuer Begleiter bleibt. Die Vorzeichen bei mir standen gut und ich freute mich darauf, mich und natürlich auch meine Gegner im Tennis noch etwas zu fordern … bis eine simple Überbelastung des Knies die schönen Aussichten zumindest vorläufig trübte und dazu Corona den Spielbetrieb zeitweise lahmlegte. So schnell geht das, gehört aber halt auch zum Leben. Aufgeschoben ist hoffentlich nicht aufgehoben.
Welche Ereignisse des laufenden Jahres haben Sie am meisten beeindruckt, positiv oder negativ?
1. Die gespenstische Stille über dem ganzen Land. Bedrückend und erdrückend war während des Lockdowns das Verstummen von allem, was das pulsierende Leben sonst ausmacht: kein Restaurant, kein Laden, kein Markt, kein Betrieb, kein Theater, kein Museum, kein Fussballmatch, kein Flugzeug am Himmel, kein Treffen mit Freunden. Nicht wenig, sondern nichts, von einem Tag auf den andern einfach nichts. Nur die Sonne lachte. Nie haben wir dies so sehr genossen.
2. Grosse Solidarität, Unterstützung überall und Apéros über den Gartenzaun. Alle helfen allen. Jeder trägt etwas bei dazu. Wir erleben in der Pandemie ein unerwartetes Zusammenrücken in echter gegenseitiger Fürsorge. Und dann und wann gibts einen Apéro am Drosselweg über die Gasse oder an vielen anderen Orten über den Gartenzaun, Aufmerksamkeiten, die Gold wert sind in «Zeiten der Cholera». Auch der Staat ist von einem Tag auf den anderen kein abstraktes Gebilde mehr, sondern wir spüren ihn, gewinnen Vertrauen in ihn, dass er da ist für das Volk und wie er uns im Frühling durch die Bedrohung führt. Wir spüren (endlich) auch, wie viel an der Kultur hängt, ob sie nun den Gütesiegel der «Systemrelevanz» tragen soll oder aus sich heraus eine tiefe Bedeutung für uns alle hat.
3. Ungeahnte Zeitreisen in die Vergangenheit: Meine Mutter ist in hohem Alter verstorben. Es ist absolut erstaunlich, wie die Beschäftigung mit einem so nahen Menschen ungeahnte Einblicke in vergangene Zeiten auslöst und Jahrzehnte zurückliegende Begegnungen lebendig werden lassen. Das Rad der Zeit wird nicht zurückgedreht, aber die Zeitreise im Kopf ist so intensiv wie selten etwas.
Worauf freuen Sie sich im kommenden Jahr am meisten, wenn die Pandemie abgeklungen ist?
1. Das Ende der Ausgrenzung oder ein Bier mit Dir: Wir sind jetzt angehalten, abweisend zu sein, misstrauisch selbst den Nächsten gegenüber, wir weichen einander aus, wenden die Augen automatisch ab, wie wenn das die Sache besser machen würde. Was ist das für ein Leben? Schluss damit nach dem Ende der Pandemie mit der Demaskierung der schöneren Art: endlich wieder Zuwendung statt Ausgrenzung, spüren von Nähe statt verordnete Distanz, etwas zusammen unternehmen statt alleine verweilen. Lust auf ein Bier? Ja, klar. Zusammen ins Kino? Aber sicher. Eine Umarmung? Unbedingt.
2. Freiheit, auch wenn sie nicht grenzenlos sein wird: Wenn uns etwas nachhaltig durchdrungen hat im vergangenen Jahr, dann ist es das Bewusstsein der Zerbrechlichkeit von Grundfesten, die wir für unzerstörbar hielten, und die Verunsicherung, die uns ein gutes Stück weit begleiten wird, die Nachdenklichkeit auch über den Lebensraum, den wir erhalten wollen. Die Zuversicht darf aber da sein, dass wir die Coronapandemie irgendwann hinter uns lassen und damit die Freiheiten unseres Lebens wieder geniessen dürfen. Das wäre nach der Erhaltung der Gesundheit wohl für uns alle das schönste Geschenk des Jahres.
3. Und worauf freue ich mich sonst noch? En Jass i de Beiz. «GusGus» im KIFF. Verreisen im Camper. Tennis mit em Sprengi vom WA (und e paar andere …). Theater im Stärnesaal. Metzgete mit em Wohle Drü. Übernachte i de SAC-Hütte. Jazz im Pflegidach. Risotto con funghi z’Caslano. Chochoobe mit Schurz, aber ohni Maske. Derby(sieg) vo Wohle gege M. (chönnt z. B. Muri si …). Moschte bim Pius. Apéro im Drosselwäg nid über, sondern uf de Gass und und … Wenn das keine guten Argumente für das Ende der Coronazeit sind. --chh