Die zwölf letzten Jahre der Mutter
30.10.2020 Kelleramt«Doppelt geschenkte Zeit» heisst ein Buch von Rita Brügger aus Arni, das in diesen Tagen erscheint. Die Autorin blickt darin auf das Dutzend Jahre zurück, in denen sie und ihr Mann ihre Mutter bei sich aufgenommen und bis zu ihrem Tod gepflegt hatten. «Es ist eine ...
«Doppelt geschenkte Zeit» heisst ein Buch von Rita Brügger aus Arni, das in diesen Tagen erscheint. Die Autorin blickt darin auf das Dutzend Jahre zurück, in denen sie und ihr Mann ihre Mutter bei sich aufgenommen und bis zu ihrem Tod gepflegt hatten. «Es ist eine intensive und sehr schöne Zeit gewesen», erinnert sich Brügger. In ihrem Buch beschreibt sie, wie sie nach und nach immer mehr Verständnis für das Verhalten ihrer Mutter aufbringen konnte und wie sie sich näherkamen.
Mit ihrem Werk möchte Rita Brügger anderen Personen helfen, die ebenfalls ihre pflegebedürftigen Eltern zu Hause aufnehmen oder ihnen für diesen Schritt Mut machen. Die damals gemachten Erfahrungen seien für sie sehr wertvoll gewesen und bis heute äusserst bereichernd. --rwi
Die Mutter zwölf Jahre lang gepflegt
Rita Brügger hat ein Buch über eine intensive Zeit geschrieben
Ein Dutzend Jahre kümmerten sich Rita Brügger und ihr Ehemann um ihre Mutter bei sich zu Hause. Sie erlebte deren letzte Atemzüge. Jetzt hat sie ihre Erlebnisse im Buch «Doppelt geschenkte Zeit» veröffentlicht. Es soll Menschen in ähnlichen Situationen Mut machen.
Roger Wetli
«Vor Kurzem hat sie uns gesagt, die letzten Jahre sind die Schönsten gewesen» – diese Stelle gehörte zu den eindrücklichsten Momenten im Buch «Doppelt geschenkte Zeit» von Rita Brügger. Auch für die Autorin sind diese Worte von grosser Bedeutung. Sie, die einst immer ein angespanntes Verhältnis zu ihrer Mutter hatte. «Ich hatte mich immer dagegen gewehrt, dass ich ihr ähnlich bin», so Brügger. «In den zwölf Jahren, in denen mein Mann und ich sie bei uns zu Hause gepflegt haben, bin ich ihr immer näher gekommen. Ich begann diesen Teil meiner Geschichte zu akzeptieren. Das führte zu einer grossen Zufriedenheit.»
In die Situation hineingerutscht
Wenn man früher Rita Brügger gefragt hätte, ob sie sich vorstellen könnte, ihre Mutter zu Hause zu pflegen, hätte sie verneint. Kurz nach dem 80. Geburtstag der Mutter, erlitt diese eine Streifung. Die selbstständige und agile Frau wurde plötzlich pflegebedürftig. Ein Verbleiben in ihrem Haus war nicht mehr realistisch. Die Alterszentren hatten aber gerade keinen Platz, also beschlossen Rita Brügger und ihr Mann, das Experiment «Pflege zu Hause» zu starten. Dies allerdings nur so lange, bis ein Platz in einem Pflegeheim frei würde. «Sie blieb schliesslich zwölf Jahre – zwölf sehr schöne Jahre», betont Brügger.
Ihre Mutter starb 2007. Die Idee, über ihre Erfahrungen ein Buch zu schreiben, geisterte bei Rita Brügger viele Jahre herum. «Ich engagierte mich nach dem Ableben meiner Mutter wieder beruflich und privat stärker. Erst nach meiner Pensionierung packte ich dieses Projekt ernsthaft an.» Die 130 Seiten sind in zwei Jahren entstanden. «Ich wusste dann auch, wie ich das Buch genau schreiben möchte. Ich hatte zum Beispiel eine konkrete Idee für einen stimmigen Schluss.» Es sei ihr dabei nicht darum gegangen, die zwölf intensiven Jahre mit ihrer Mutter zu verarbeiten. «Ich hatte vielmehr den Eindruck, dass meine Geschichte anderen Menschen Mut machen könnte. Als wir Mutter aufgenommen hatten, wäre ich um ein solches Buch froh gewesen. Es hätte mich auf vieles vorbereitet.»
Spezielle Beziehung
Rita Brügger beschreibt in «Doppelt geschenkte Zeit» den Prozess, wie ihre Mutter körperlich und geistig laufend abbaute. Bereits kleinere Unfälle konnten den eingespielten Alltag wieder zu einer Neuorganisation zwingen. Die Autorin erzählt auch, wie ihre Mutter plötzlich im Dorf und im Kollegenkreis zu ihr und ihrem Ehemann gehörte. «Sie war immer eine gesellige Person, die die Gesellschaft mochte. Wir wurden immer zu dritt eingeladen», erinnert sich Brügger. Gleichzeitig ist «Doppelt geschenkte Zeit» auch ein Entdecken der Familiengeschichte der Autorin. «Mutter war immer sehr zurückhaltend, was ihre eigene Vergangenheit betrifft. Sie hat nur selten was erzählt.» Nach und nach erfuhr Rita Brügger immer mehr. Verstand plötzlich, wieso ihre Mutter sich an ihre Tochter klammerte. Dies, weil eine jüngere Schwester einst «verkauft» wurde, wie es ihre Mutter ausdrückte. «Man bleibt immer die Tochter seiner Mutter. Dieses Verhältnis kann sehr speziell sein», weiss Rita Brügger. «Als erwachsene Person fühlt man sich von der Mutter immer wieder wie ein Kind behandelt. Zum Glück haben mir mein Mann und Freunde jeweils geholfen, die Situation aus einer anderen Perspektive zu sehen.»
Die letzten zwölf Jahre waren für die Autorin ein natürlicher Prozess. «Ein Arzt hatte uns zu Beginn erklärt, dass es wie die Entwicklung eines Kleinkindes zum Erwachsenen sei – einfach umgekehrt. Und das stimmt.» In den letzten Monaten vor dem Ableben ihrer Mutter rechnete Rita Brügger jeden Morgen damit, ihre Mutter tot im Bett aufzufinden. «Ich hatte mich immer gefragt, wie es ist, wenn jemand stirbt. Es war jetzt ganz normal.» Eines morgens hörte Brügger von der Küche aus, wie ihre Mutter im Zimmer nebenan einen lauten Atemzug nahm. Beim zweiten war sie bei ihr. Der dritte sollte der Letzte ihrer Mutter sein. «In diesem Moment bei ihr zu sein, war ein grosses Geschenk», erklärt die Autorin.
Negatives überwinden
Für sie waren die letzten Jahre mit ihrer Mutter in allen Belangen sehr herausfordernd. «Ich möchte diese Zeit nicht missen. Im Buchtitel ‹Doppelt geschenkte Zeit› steckt eine tiefe Wahrheit.» Wichtig ist Rita Brügger die positive Botschaft. «Das Negative kann überwunden werden», ist sie überzeugt. «Ich hoffe, mit meinen Zeilen möglichst vielen Menschen helfen zu können.»
Erhältlich ist «Doppelt geschenkte Zeit» direkt bei der Autorin per E-Mail an bruegger.rita@bluewin.ch / www. bruegger-rita.ch oder im Buchhandel: ISBN 978-3-033-08011-9.