Fenster in vergangene Zeiten
22.05.2020 Region OberfreiamtAm 23. Mai wäre der Schweizer Mühlentag – ein Blick in die historische Sägerei in Weissenbach
Die «Wyssebacher Sagi» ist ein kleines Juwel der Region. Sie bezeugt Traditionen und ermöglicht einen Einblick in vergangene Zeiten. Auch heute ...
Am 23. Mai wäre der Schweizer Mühlentag – ein Blick in die historische Sägerei in Weissenbach
Die «Wyssebacher Sagi» ist ein kleines Juwel der Region. Sie bezeugt Traditionen und ermöglicht einen Einblick in vergangene Zeiten. Auch heute noch ist sie in Betrieb. Säger Martin Köchli verarbeitet wöchentlich Holz.
Celeste Blanc
Die wassergetriebene Mühle mit Sägewerk im Weiler Weissenbach bei Boswil hat eine lange Geschichte. 1433 zum ersten Mal urkundlich erwähnt, war sie für das Kloster Muri sowie die Region eine wichtige Institution, die Land und Leute mit Holz und Mühleprodukten versorgte. Mit dieser Geschichte ist Martin Köchli hautnah aufgewachsen. Er hat in den 70er-Jahren den Gutsbetrieb, der seit 1918 in den Händen der Familie Köchli ist, von seinem Vater übernommen. «Über die Jahrhunderte war der Gutsbetrieb stets vielfältig ausgerichtet: Neben der Landwirtschaft und der Säge wurde bis 1902 immer auch eine Mühle und bis in die 50er-Jahre noch eine Bäckerei betrieben», erzählt Köchli, der in seiner Kindheit das Sägen beim Zuschauen erlernte. Sein Vater hat bis in die 1980er-Jahre für die lokale Kundschaft regelmässig Holz gesägt.
Eine Herzensangelegenheit, auch wenn der Anfang schwer war
Für Köchli war und ist die Erhaltung der Sagi eine Herzensangelegenheit: «Dieser Wunsch geht auch mit meiner persönlichen Ansicht einher, das Leben und die Kultur des ländlichen Raumes lebendig zu erhalten.» Zu Beginn schien das Unterfangen aber zum Scheitern verurteilt. «Die ersten Reaktionen der Gemeinden auf meine Bitte um Unterstützung waren, dass man nicht jede alte Hütte aufpäppeln könne», erinnert er sich lachend zurück. Ihm wurde angeraten, die Betriebsgebäude inklusive Sagi einem zahlungskräftigen Liebhaber zu verkaufen und auszusiedeln. Unter anderem dank seiner Frau kam es nicht zu diesem Schritt.
Von Anfang an war klar, dass diese Aufgabe mit viel Aufwand verbunden sein würde. «Wir wollten unbedingt, dass die Sagi als Zeitfenster in die Vergangenheit bestehen bleibt.»
Man setzte sich dafür ein, dass die Sagi unter Denkmalschutz fällt. «Nicht nur Burgen und Schlösser bringen Einblicke in vergangene Zeiten, sondern auch die kleinen lokalen Betriebe geben Aufschluss über frühere Arbeitswelten», erzählt der Säger.
Auf dieser Grundhaltung fanden sich interessierte und engagierte Persönlichkeiten aus der Region, die im Jahr 1996 den Verein «Wyssebacher Sagi» gründeten. Mit dem Abschluss eines Baurechtsvertrages ging die Säge ins Eigentum des Vereins über, der Verein verpflichtete sich im Gegenzug, die Säge fachgerecht und auf eigene Rechnung zu restaurieren und sie gleichzeitig als Denkmal von nationaler Bedeutung unter Schutz zu stellen. «Ein wichtiger Aspekt der Renovierung war, dass die Sagi nicht nur einen musealen Charakter hat, sondern auch weiterhin regelmässig ihren Dienst tun kann», erzählt Robert Häfner, der seit fünf Jahren den Verein präsidiert.
Eine verbreitete Geschichte
Früher prägten rund 10 000 solcher vielseitigen Betriebe mit ihren Bauten das Landschaftsbild der Schweiz. Die Kleinwasserkraft war ein wichtiger Energielieferant. Die Wichtigkeit sieht man entlang des Weissenbachs. «Allein von hier bis nach Boswil waren mit der Ober- und Untermühle insgesamt fünf Wasserräder im Einsatz, um das Wasser zu nutzen», erzählt Häfner. Daher ist die Sagi und ihre Geschichte nicht unbedingt einzigartig. Dass der Betrieb aber heute noch Bestand hat – darin sehen die beiden ihre Einmaligkeit. Denn von der ehemaligen Vielfalt gibt es heute nur noch etwas über hundert historische Stätten, die schweizweit in Betrieb sind.
So nimmt Säger Martin Köchli heute jährlich 20 bis 30 Aufträge entgegen, für die er zwischen 20 und 40 Kubik Holz im Lohnschnitt verarbeitet. «Diese Aufträge kommen vor allem von Bauern, die uns ihr von Käfern befallenes Holz bringen», so Köchli. Doch auch das Holz von Privatpersonen findet den Weg nach Weissenbach: «Meist sind das Bäume, die in den Gärten gefällt werden mussten. Die Besitzer wollen daraus etwas drechseln oder ein Möbel zimmern lassen.» Ein emotionaler Wert also, in dem Vereinspräsident Häfner eine grosse Bedeutung für die Region sieht. «Oft haben die Personen, die zu uns kommen, eine Geschichte oder einen emotionalen Bezug zu ihren Bäumen und hier bei uns, wo sie mit Wasserkraft nach alter Väter Sitte gesägt werden, verstärkt sich dieser emotionale Wert noch.»
Eine kleine Entdeckung
Die Sagi ist ein kleiner Zeitzeuge der Region, der die Menschen nach wie vor fasziniert. «Viele sind von der damaligen Technik beeindruckt», weiss Köchli. Zusammen mit Häfner macht er im Sommerhalbjahr zwischen 15 und 20 Führungen, an denen sie für Betriebsausflüge, Vereinsreisen oder Schulklassen das riesige Rad mit dem Wasser aus dem Weiler zum Drehen bringen. Doch nicht nur an Führungen, auch in der Freizeit halten immer wieder Wanderer, Spaziergänger oder Velofahrer inne, um den Bau zu begutachten.
Das breite Interesse überraschte Säger Köchli in diesem Frühling: «Vor ein paar Wochen machte sogar eine Gruppe Motorradfahrer extra halt. Die waren ganz angetan davon, dass es so etwas noch gibt.» Auch am Schweizer Mühlentag, der heuer nicht stattfinden wird, fasziniert die Sagi die Besucherinnen und Besucher immer wieder aufs Neue. «Während dem Mühlentag haben auch Einzelpersonen die Möglichkeit einer Besichtigung», so Köchli. Auf die nächste Durchführung des Schweizer Mühlentags bei guter Gesellschaft und neugierigen Blicken freuen sich Köchli und Häfner bereits jetzt. Bis dahin gilt es für den Säger von Weissenbach, die bei ihm eingehenden privaten Aufträge zu erledigen, die den Menschen heute noch Freude bringen.