Die Bühne fehlt schon ein wenig
22.05.2020 MuriPhilipp Galizias Blick auf die Auswirkungen der Coronapandemie zeigt nicht nur Negatives
Er ist Erzähler, Schauspieler und Musiker. Er ist aber auch Lehrer und Gartenbauer. In ein Schema passt Philipp Galizia nicht. Weil sämtliche Auftritte wegfallen, arbeitet er ...
Philipp Galizias Blick auf die Auswirkungen der Coronapandemie zeigt nicht nur Negatives
Er ist Erzähler, Schauspieler und Musiker. Er ist aber auch Lehrer und Gartenbauer. In ein Schema passt Philipp Galizia nicht. Weil sämtliche Auftritte wegfallen, arbeitet er daran, seine Programme zum «Hörgenuss» zu machen. «Kater» ist mittlerweile im Studio aufgenommen, «Gratis zum Mitnehmen» folgt.
Annemarie Keusch
«Ein Älterwerdender.» Philipp Galizia grinst nach seiner Antwort auf die Frage, welche Berufsbezeichnung am besten auf ihn zutreffe. «Keine Ahnung.» Es sei die Mischung der verschiedenen Standbeine, die den Alltag für ihn bunt machen. «Das ist doch bei allen Leuten so. Die einen suchen sich die Abwechslung am Wochenende und bei mir herrscht sie die ganze Woche hindurch.»
In einem kleinen Pensum, vier Lektionen pro Woche, unterrichtet der Murianer an der Wohler Privatschule «Lern mit» das Fach «Grüsch und Lärm». Seit zweieinhalb Jahren ist er dort tätig. Erfahrungen als Lehrer sammelte er davor schon im Kanton Solothurn – und das ohne eine pädagogische Ausbildung. Philipp Galizia lacht. Es ist nicht der einzige Beruf, den er aktuell ausübt, ohne darin zertifiziert zu sein. «Eigentlich bin ich gelernter Fotograf», sagt er.
Das Beste aus den Möglichkeiten machen
Als Musiklehrer, bei «Lern mit» heisst das Fach «Grüsch und Lärm», will Galizia nicht Theoretisches vermitteln. «Musik hat ganz viel zu tun mit Sozialkompetenz. Nicht umsonst spricht man bei schönen Melodien von Harmonie. Das ist völlig simpel.» Genau diese Sozialkompetenz will er fördern, mit Vorträgen, mit Vorsingen. «Dabei benote ich nicht nur die Vortragenden, sondern auch das Publikum.» Wer negativ auffällt, nicht zuhört oder lacht, muss mit Abzügen rechnen. Das Ziel dabei: den Schülern Selbstvertrauen mitgeben. «Sie sollen lernen, aus ihren eigenen Möglichkeiten das Beste zu machen, ohne sich stets an den Besten zu messen.»
Während der Coronakrise wurden die Schüler an der Privatschule in Vierergruppen betreut. Philipp Galizia übernahm einen Teil dieser Betreuung. «Sonst fiel mit dem Lockdown einiges aus meinem Alltag weg.» Etwa die Auftritte in der ganzen Schweiz.
Weder Hörspiel noch Hörbuch
Die Künstler, sie hat das Coronavirus sehr hart getroffen. Philipp Galizia spricht bestimmt. «Wir müssen endlich auf hören durchschnittlich zu denken.» Ihn treffe die Krise nicht besonders hart, «ich kann das handeln». Keine Mieten, keine Angestellten. «Als Kleinstunternehmen bin ich es gewohnt, flexibel zu sein. Darum mag ich dieses Gejammer schlicht nicht mehr hören.» Dabei wolle er aber nicht in Abrede stellen, dass es tragische Einzelschicksale infolge der Pandemie gibt. «Aber Durchschnitte regen mich tierisch auf.»
Denn Durchschnitt ist Galizia nicht, ganz und gar nicht. Aber trotzdem, auch er musste sich in der Krise etwas einfallen lassen. «Endlich konnten wir ein Projekt umsetzen, wovon wir schon sehr lange sprechen.» Mit «wir» meint er sich und seinen Bühnenpartner, den Pianisten Christian Roffler. Entstanden sei «hoffentlich ein Hörgenuss». Hörbuch wäre die falsche Bezeichnung, Hörspiel auch. Es ist die im Studio aufgenommene Version seines aktuellen Programms «Kater – sieben Leben».
Auf null herunterfahren
Fünf Tage waren die beiden bisher im Studio, viel Vorbereitungsarbeit kam vorher schon auf Philipp Galizia zu. «Mit der Coronakrise bekamen wir Zeit, dieses Projekt umzusetzen.» Und die beiden hegen dabei grosse Ansprüche an sich selbst. Auch musikalisch sollten die Aufnahmen von höchster Qualität sein. «Ich habe mir das Stück schon zigmal angeschaut und immer höre ich etwas, das wir anders machen könnten.» «Kater» ist schon zum «Hörgenuss» geworden und soll verkauft werden, wenn wieder Auftritte möglich sind. «Ideal wäre es natürlich, wenn eine Radiostation die Geschichte übernehmen würde», sagt Galizia. Für ihn im Vordergrund stand aber vor allem, das Programm mit solchen Aufnahmen festhalten zu können.
Es ist bei Weitem nicht das einzige Positive, das Philipp Galizia in der gegenwärtigen Situation sieht. «Endlich können alle einmal herunterfahren und sich ausruhen.» Zudem finde seine Mutter die Coronakrise super. «Sie sieht mich viel mehr als sonst.»
Bewertungssystem des Lebens
Aber Galizia gibt auch zu, die Bühne zu vermissen. «Ein Gefühl wie bei Auftritten bekomme ich nirgendwo sonst.» Auch als Lehrer nicht, wenn er vor der Klasse steht und diese zu begeistern versucht. «In der Schule habe ich einen klaren Auftrag.» Auf der Bühne zieht er sein Ding durch. Galizia spricht von magischen Momenten, wenn alle Zuschauerinnen und Zuschauer auf verschiedenen Ebenen in der Geschichte versinken und wegschweben. «Das gibt es im Unterricht natürlich nicht.»
Und das gibt es auch bei seiner Tätigkeit als Gartenbauer nicht. Philipp Galizia spricht vom «Notnagel». Aber er betont auch, wie gerne er als Trockenmaurer unterwegs ist – auch das ohne entsprechenden Berufsabschluss. «Mein Vater, meine Onkel, mein Grossvater, alle waren sie Steinhauer. Dieses Material liegt mir einfach und ich kann gut damit umgehen.» Der Murianer lacht. «Was heisst überhaupt gelernt? Ich habe einfach keinen Zettel, wo geschrieben steht, dass ich das kann, und wo nach irgendwelchen Bewertungssystemen gehandelt wurde.» Viel wichtiger sei doch die eigene Bewertung des Lebens. «Will ich viel Geld verdienen? Oder will ich am Ende des Tages glücklich sein?» Philipp Galizia lächelt, schelmisch und zufrieden. «Das Leben endet sowieso irgendwann, auch für Nichtraucher.»