Flucht aus New York
28.04.2020 FussballDer Meisterschwander Noah Lüscher erzählt, wie er die Situation um das Coronavirus in den USA erlebt hat
Seit Sommer 2017 studiert Noah Lüscher an der Binghamton University. Er spielt Fussball für das Universitätsteam und hat die Aufmerksamkeit ...
Der Meisterschwander Noah Lüscher erzählt, wie er die Situation um das Coronavirus in den USA erlebt hat
Seit Sommer 2017 studiert Noah Lüscher an der Binghamton University. Er spielt Fussball für das Universitätsteam und hat die Aufmerksamkeit amerikanischer Profi vereine geweckt. Das Coronavirus erschwert seine Zukunftspläne.
«Wird Zeit, dass die Coiffeure öffnen», sagt Noah Lüscher lachend. «Ich durfte meinem Vater und meiner Schwester die Haare schneiden. In unserem Fussballteam bin ich der Mannschaftsfriseur. Ich kann es einigermassen, aber nicht so gut wie ein gelernter Coiffeur.» Der 22-Jährige kann wieder Witze reissen. Lüscher ist zu Hause bei seinen Eltern in Meisterschwanden. «Ich hatte in den USA keine Angst, aber ein sehr ungutes Gefühl», erzählt er. «Ich bin froh, dass ich zurückgekommen bin.»
Lüscher lebt seit drei Jahren in Binghamton im US-Bundesstaat New York. Die Stadt liegt rund drei Stunden Autofahrt von New York City entfernt. Er studiert an der dortigen Universität Business Administration und spielt Fussball für das Uni-Team, die Binghamton Bearcats. Dass er zurück in die Schweiz kam, liegt an der Coronakrise. Die USA haben mittlerweile fast eine Million bestätigter Coronafälle. Davon rund 300 000 im Bundesstaat New York. Zum Vergleich: Die Schweiz hat rund 30 000 Fälle. Lüschers Eltern haben sich Sorgen um den Fussballer gemacht. «Sie wollten nicht, dass ich in dieser Situation allein am anderen Ende der Welt bin.»
Nie da gewesene Bilder
«Ich war mit meiner Familie ständig in Kontakt», erzählt der Student. «Deshalb hatte ich einen Informationsvorsprung.» Er berichtet, dass er und seine Kommilitonen in den USA lange keine Ahnung hatten, wie kritisch die Situation rund um das Virus ist. «Die Kommunikation war absolut mangelhaft», sagt Lüscher. Selbst als die Universität mitteilt, dass die Vorlesungen nur noch online stattfinden, wird den Studenten der Ernst der Lage nicht bewusst. «Viele haben sich gefreut, Partys feiern zu können, ohne sich Gedanken machen zu müssen, am nächsten Tag im Unterricht zu sein.»
Als die Schweiz den Lockdown erklärt und der erste bestätigte Coronafall in New York City auftaucht, wird dem Fussballer endgültig mulmig. Die Saison ist zu Ende. Die Vorlesungen sind online verfügbar. «Ich kann problemlos in Meisterschwanden lernen», sagt er. Er fliegt in die Schweiz. Der Sportler hat Kontakt zu seinen Freunden in den USA. In seinem Umfeld gibt es keine Coronainfektionen. «Im Umfeld einiger meiner Freunde sind aber Menschen erkrankt. Das macht nachdenklich.» Seine Kontakte in den USA berichten ihm von Bildern, die weder sie noch ihre Eltern oder Grosseltern je erlebt haben. «Eine Stadt wie New York ... völlig leergefegt. Der Times Square ... menschenleer. Das kann man sich kaum vorstellen.» Noch weiss der Fussballer nicht, wann er in die USA zurückkehren kann. «Aktuell sieht es aus, als würde die Saison im August losgehen. Das Teamtraining würde im Juli starten. Ich weiss aber nicht, ob dann interkontinentale Flüge möglich sind.»
Dabei wäre es für ihn wichtig, bald zurückzukehren. Lüscher studiert nicht nur an der Binghamton University und spielt für die Binghamton Bearcats. Er ist in beidem sehr gut. In den drei Jahren in den USA gewann der Meisterschwander sowohl auf sportlicher als auch auf akademischer Ebene über 30 individuelle Auszeichnungen.
Der Traum von der MLS
Wer so herausragt, fällt auch amerikanischen Profi-Clubs auf. DC United, einer der stärksten Vereine aus der Major League Soccer, hat ein zweibis dreiwöchiges Probetraining mit dem offensiven Mittelfeldspieler vereinbart. Mit drei weiteren Clubs liefen Gespräche. Die Möglichkeit besteht, dass ein Team den Meisterschwander im Januar zu sich holt. Noch ist unklar, ob die Trainings stattfinden. Lüscher hält sich zur Sicherheit in einem Kraftraum zu Hause fit. Auch für den Fall, dass die Saison im Herbst wieder losgeht.
Der Fussballer bleibt optimistisch. «Es gibt im Winter und im nächsten Sommer weitere Gelegenheiten für Trainings bei Profiteams», sagt der Sportler. «Die Binghamton University gilt ausserdem als eine der besten im Bereich Business Administration. Mit einem Masterabschluss dort bin ich nicht vom Fussball abhängig.» Lüscher wurde garantiert, dass er sein Studium beenden kann. Das gilt auch, wenn er für längere Zeit nicht in die USA zurückkehren und alle Kurse nur online ablegen könnte. Das gibt ihm Sicherheit. Aktuell ist er in erster Linie froh, dass er zu Hause und gesund ist. --jl