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04.02.2020 JonenWeltkrebstag: Das Leiden von Susi Schildknecht
2009 spürte Susi Schildknecht-Gut zum ersten Mal Symptome von Krebs in ihrer Nase. Zwei Jahre später hatte sie Gewissheit. Ihre Leidensgeschichte dauert bis heute an. Sie erzählt sie zum heutigen ...
Weltkrebstag: Das Leiden von Susi Schildknecht
2009 spürte Susi Schildknecht-Gut zum ersten Mal Symptome von Krebs in ihrer Nase. Zwei Jahre später hatte sie Gewissheit. Ihre Leidensgeschichte dauert bis heute an. Sie erzählt sie zum heutigen Weltkrebstag.
Seit 2010 wohnt die ehemalige Stadtzürcher Gemeinderätin in Jonen. Ein Jahr zuvor fing eines ihrer Nasenlöcher an zu bluten. Zwei Jahre und 21 Ärzte später stellte sie sich selbst die Diagnose Krebs, die anschliessend fachlich bestätigt wurde. Seither durchlief sie einen Marathon an Bestrahlungen und Diagnosen. Trotzdem engagierte sie sich eine Weile zusammen mit ihrem Ehemann René im Karate-Club Wohlen.
Seit zwei Jahren ist Susi Schildknecht dank einer Behandlung im Universitätsspital Basel krebsfrei. Frühere Bestrahlungen kosteten sie ihr rechtes Auge und ihre Nase. Läuft alles nach Plan, wird ihr Gesicht Ende Jahr wiederhergestellt sein. Mit der Webseite www.krebsgesicht.ch möchte sie Personen mit ähnlichen Schicksalen Hoffnung spenden, sie ermutigen, sich nicht unterkriegen zu lassen und sich in der Öffentlichkeit zu zeigen. --rwi
Anderen Mut machen
Susi Schildknecht-Gut hat bereits 41 Krebs-Operationen hinter sich – am heutigen Weltkrebstag erzählt sie ihre Geschichte
Heute ist Weltkrebstag. Die ehemalige Stadtzürcher Politikerin Susi Schildknecht hat durch eine Art dieser Krankheit ihr halbes Gesicht verloren. Schritt für Schritt erhält sie jetzt wieder ein neues. Mit einer Webseite möchte sie Personen in ähnlichen Situationen Mut spenden.
Roger Wetli
«Es gibt Tage, an denen ich sehr oft weine und mit dem Gedanken spiele, aufzugeben», gesteht Susi Schildknecht. Die rechte Gesichtshilfe ist abgedeckt. Das dortige Auge hat sie durch den Krebs verloren. Ihre Stimme wirkt im Gespräch klar und gefasst. «Kraft geben mir mein Mann und die Hoffnung, dass alles doch noch gut kommt.» Sie sei von Natur aus eine Rebellin. Die Gesellschaft würde erwarten, dass man in einer solchen Situation unterwürfig und geknickt durchs Leben geht. «Dem beuge ich mich nicht. Ich kleide mich auch mal schön und gehe nach draussen.»
Neue Nase auf Unterarm
Susi Schildknecht ist seit zwei Jahren krebsfrei. «Er kann aber jederzeit wieder auftauchen. Alle vier Monate werde ich mittels Magnetresonanztomografie (MRI) untersucht. Ich habe vor dem Ergebnis immer Angst und bin vor der Untersuchung sehr nervös», erklärt sie. «Der Arzt ruft mich sofort an, wenn die Ergebnisse bekannt sind, auch am Wochenende. Dafür bin ich sehr dankbar.»
Bis Ende Jahr sollte ihr Gesicht wieder normal aussehen. Für das verlorene Auge wird sie eine Epithese erhalten. Zuerst wird sie aber am 12. Februar am rechten Unterarm operiert. Auf diesem wächst anschliessend innert fünf Wochen mittels Eigengewebe eine Nase, die anschliessend in ihr Gesicht verpflanzt wird. Wie sich das anfühlen wird, kann sie sich nicht vorstellen. «Ich bin zum Glück Linkshänderin», lächelt Susi Schildknecht.
Diagnose selber gestellt
Die Probleme der heute 59-Jährigen begannen vor elf Jahren im Wahlkampf um ein Amt als Gemeinderätin der Stadt Zürich. «Ich blutete aus einem Nasenloch und hatte eine trockene Nase. Zudem verlor ich Gewicht und hatte Schweissausbrüche», erinnert sich Schildknecht. Sie war bei 21 Ärzten, bis sie selber über Google ihre Symptome recherchierte und dabei auf die mögliche Diagnose Krebs stiess. «Erst dann untersuchten mich die Ärzte in diese Richtung und bestätigten meinen Verdacht», sagt sie verärgert.
Was folgte, war ein Marathon mit Operationen und Bestrahlungen. «Letztere machte man, obwohl man wusste, dass diese bei Krebs im Gesicht nichts bewirkt. Mein Nasengewebe wurde dadurch aber spröde.» 2014 war das Gesicht der ab 2010 in Jonen wohnhaften Frau total entstellt. Ein Professor sagt ihr, dass der Krebs jetzt entfernt sei. «Ich spürte allerdings, dass das nicht der Fall war.» Bezüglich ihres entstellten Gesichtes habe derselbe Professor bemerkt: «In Ihrem Alter ist das Aussehen ja nicht mehr so wichtig.»
Susi Schildknecht arbeitete in der Pflege mit Dementen. «Meine Arbeitgeber hatten sehr viel Geduld. Irgendwann fehlte mir dafür aber die körperliche Kraft.» Ein MRI wurde bis dahin noch nie bei ihr gemacht. Da der Krebs besiegt schien, wollte sie ihr Gesicht wiederherstellen lassen. «Bei der Voruntersuchung für die Operation wurde er aber wieder neu entdeckt.» Sie habe immer wieder von Neuem den Fachleuten vertraut und sei enttäuscht worden.
Erlösung in Basel
Es folgte ein Hin und Her mit immer wieder neu aufflammender Hoffnung auf Fortschritte. 2017 wechselte sie schliesslich ins Universitätsspital nach Basel. Man war der Meinung, dass kein Krebs mehr vorhanden ist, und wollte ihr Gesicht endlich rekonstruieren. «Der dortige Arzt bestand endlich auf ein MRI. Man stellte fest, dass der Krebs nicht nur vorhanden war, sondern sich mit Ausnahme meines Gehirns überall im Kopf ausgebreitet hatte», erinnert sie sich. Eine Ausstrahlung auf den restlichen Körper war nicht festzustellen. «Ich wurde vor die Wahl gestellt: 1. Noch drei bis vier Monate zu leben. 2. Eine riskante 19-stündige radikale Operation.» Sie entschied sich für Letzteres, auch wenn sie dabei hätte sterben können.
«Ein guter Arzt zeigt sich darin, dass er bei Problemen den Patienten nicht aufgibt, sondern Lösungen sucht, bis er sie gefunden hat», ist Susi Schildknecht überzeugt. «Diejenigen in Basel waren die ersten, die mich nicht aufgegeben haben», ist sie gleichzeitig dankbar und verärgert. «Der dort zuständige Professor Kunz ist ein Engel. Er hat mein Leben gerettet. Hätten die früheren Ärzte ehrlich reagiert und nicht einfach an mir rumgeschnitten, wäre ich wohl nach zwei bis drei Jahren geheilt gewesen.»
Gesellschaft reagiert irritiert
Susi Schildknecht trägt ihr Schicksal mit Würde. Sie ist Mitglied im Rhetorik-Club der Stadt Zürich. Dort hielt sie trotz entstelltem Gesicht bereits Reden. «Als ehemalige Politikerin rede ich gerne», schmunzelt sie. «Ich werde dort voll akzeptiert.» Zudem betreibt sie Krafttraining in einem Fitnesscenter. «In der Stadt wird man mit meinem Gesicht weniger schräg angeschaut als auf dem Land», hat sie festgestellt. Sie besucht gerne das Kino, weil es dort dunkel ist. Restaurants und grössere Menschenansammlungen meidet sie dagegen. «Ich bin heute viel öfter zu Hause als früher, weil ich mich hier sicherer fühle», so Schildknecht. «Die Gesellschaft reagiert zum Teil irritiert, wenn sie mich sieht. Das Schlimmste sind die gaffenden Leute. Bei diesen gaffe ich einfach zurück», gibt sie sich rebellisch. «Manchmal frage ich mich aber, ob es nicht besser gewesen wäre, aufzugeben. Eine operierte Brust zum Beispiel kann man verstecken, ein Gesicht nicht.»
Heute Dienstag wird zum 20. Mal der Weltkrebstag begangen. Mit ihrer Webseite möchte sie andere Menschen mit Krebs und entstellten Gesichtern Mut machen, sich nicht unterkriegen zu lassen und sich weiterhin öffentlich zu zeigen. «Ich hoffe, dass die nächsten vier bis fünf Operationen alle nach Plan verlaufen. Ich bin am Ende meiner Kräfte.» Ihr Gesicht würde danach zwar anders als ursprünglich aussehen. «Aber wenigstens werde ich kein Blickfang mehr sein.»
Der Blog von Susi Schildknecht ist auf www.krebsgesicht.ch zu finden.