«Wollen die Sonne besser verstehen»
21.02.2020 WohlenCrispino Bergamaschi aus Wohlen, Direktionspräsident Fachhochschule Nordwestschweiz, zur Sonnenmission
Ein Röntgenteleskop befindet sich zurzeit auf einer Forschungsreise Richtung Sonne. Als Passagier der Mission «Solar Orbiter». Die Fachhochschule ...
Crispino Bergamaschi aus Wohlen, Direktionspräsident Fachhochschule Nordwestschweiz, zur Sonnenmission
Ein Röntgenteleskop befindet sich zurzeit auf einer Forschungsreise Richtung Sonne. Als Passagier der Mission «Solar Orbiter». Die Fachhochschule Nordwestschweiz hat das Gerät entwickelt. Diese Leistung macht den Direktionspräsidenten, den Wohler Crispino Bergamaschi, stolz.
Daniel Marti
Das klingt nicht nur spannend, das ist tatsächlich eine heisse Story. Die Sonde Solar Orbiter ist seit rund zehn Tagen unterwegs in die Nähe der Sonne. Sie soll die nähere Umgebung der Sonne vor Ort erforschen. Eines von zehn Messgeräten an Bord der Solar Orbiter nennt sich STIX (Spectrometer/Telescope for Imaging Xrays). Dieses Röntgenteleskop wird Bilder und Spektren von Sonnenexplosionen, sogenannten Flares, aufnehmen. Diese Explosionen können die Auslöser von Massenauswürfen sein, bei denen riesige Mengen an Materie und geladener Teilchen in den Weltraum geschleudert werden.
Mit dem Röntgenteleskop fliegt auch ein Stück Aargau zur Sonne. Und ein Wohler beobachtet diese Mission mit einem speziellen Interesse: Crispino Bergamaschi, Direktionspräsident Fachhochschule Nordwestschweiz, denn die FHNW hat das Röntgenteleskop entwickelt.
Mit dem Röntgenteleskop, das von der Fachhochschule Nordwestschweiz entwickelt wurde, reist die FHNW also zur Sonne. Das ist etwas Besonderes – auch für Sie?
Crispino Bergamaschi: Das ist in der Tat etwas ganz Besonderes. Ich bin stolz, dass die Fachhochschule Nordwestschweiz als erste Fachhochschule der Schweiz ein Instrument für eine Weltraummission dieser Grösse entwickelt hat.
Wie kommt die FHNW überhaupt zu einem solchen Auftrag?
Für ein ESA-Projekt wie STIX bewirbt man sich als Institution über das ESA-Prodex-Programm. Unser Heliophysiker Sam Krucker und unser Astroinformatiker André Csillaghy haben die Idee des Röntgenteleskops in Zusammenarbeit mit internationalen Partnern entwickelt und konnten die ESA-Fachleute vor zehn Jahren von der Machbarkeit überzeugen. Die Fachhochschule Nordwestschweiz ist ein idealer Ort für die Entwicklung des Röntgenteleskops. An der Hochschule für Technik FHNW haben wir eine Forschungsgruppe, die sich mit Heliophysik auseinandersetzt, ein grosses Know-how im Bereich der Softwareund Hardware-Entwicklung und eine enge Verbindung zur Schweizer Industrie hat. Alle diese drei Komponenten sind notwendig, um ein Projekt wie STIX erfolgreich durchzuführen.
Mit dieser Weltraummission werden Sonneneruptionen und das Weltraumwetter erforscht. Können Sie erklären, wie wichtig das für uns Menschen ist?
Die Sonnenaktivität beeinflusst die Erde und damit auch die Menschen. Damit sind nicht nur die Polarlichter gemeint, die durch den sogenannten Sonnenwind und Sonneneruptionen ausgelöst werden. Sonnenstürme, also wenn die Sonne riesige Mengen an Materie und geladener Teilchen explosionsartig in den Weltraum schleudert, können Störungen an Satelliten, Flugzeugen und Stromnetzen erzeugen.
Gibt es noch ein weiteres Ziel?
Bei der Mission Solar Orbiter geht es auch grundsätzlich darum, unsere Sonne besser zu verstehen. Schliesslich ist sie die Quelle allen Lebens auf der Erde. Wir wissen zum Beispiel nicht, warum es an der Oberfläche der Sonne «nur» 6000 °C heiss ist, in der Atmosphäre aber eine Million °C.
Der Start von Solar Orbiter war letzte Woche in Florida. Hat man bei der FHNW dieses Ereignis verfolgt?
Die Forschenden der FHNW haben den Start vor Ort in Florida und auf unserem Campus Brugg-Windisch via Livestream mitverfolgt. Beim Start könnten die Früchte von rund zehn Jahren Arbeit in Flammen aufgehen, darum waren die beteiligten Forscherinnen und Forscher auch entsprechend nervös.
Und wie eng verfolgt man den gegenwärtigen Flug?
Selbstverständlich warten die Forscherinnen und Forscher neugierig auf jede Nachricht, die uns von der Flugsonde erreicht. Eines können sie bis jetzt sagen: so weit, so gut! Für sie kommt der wichtigste Termin aber erst noch: Am 24. März wird STIX eingeschaltet. Erst dann sieht man, ob alles wie vorgesehen funktioniert.
Organisator ist die Europäische Weltraumorganisation ESA. Gibt es da spezielle Kontakte, musste man sich in dieses Grossprojekt allenfalls einkaufen?
Man kann sich nicht einkaufen – es ist eher das Gegenteil. Für die ESA ist in erster Linie wichtig, dass die Institution die erforderliche Qualität für ein Weltraumprojekt bringen kann. Um erfolgreich mit der ESA zusammenarbeiten zu können, ist es deshalb wichtig, erfahrene Mitarbeitende zu haben, die verstehen, was die ESA erwartet. Durch Erfahrung kann man auch die Zusammenarbeit wesentlich optimieren und somit den Arbeitsaufwand begrenzen. Die FHNW kann auf solche Mitarbeitende zurückgreifen. Durch das STIX-Projekt ist unsere Erfahrung weitergewachsen.
Gab es denn weitere Unterstützung?
Die Schweiz ist Gründungsmitglied der ESA und finanziert die Organisation mit. Somit ist STIX eine Art «return of investment», das sich für beteiligte Unternehmen in Arbeitsaufträge übersetzt. Für den Bau von STIX hat uns neben der ESA auch das Swiss Space Office des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation finanziell unterstützt.
Welche Hitze erträgt das Röntgenteleskop?
Das Gerät selber operiert bei Raumtemperatur. Damit das so nahe an der Sonne möglich ist, schützt ein massiver Hitzeschild aus Titan, Karbon und Aluminium die Instrumente vor der Sonne. Auf der Sonnenseite von Solar Orbiter wird es nämlich über 500 °C heiss, auf der Schattenseite hingegen bis zu –100 °C kalt.
Wie lange ist dieses Röntgenteleskop im Einsatz, wird es irgendwann vor der Sonne verglühen?
Nach dem Start der Sonde im Februar werden im März die Instrumente ein erstes Mal gestartet und getestet. Danach geht es eineinhalb Jahre, bis die Sonde nahe genug bei der Sonne ist. Danach wird das Teleskop voraussichtlich bis Dezember 2025 regelmässig Daten auch an die FHNW liefern. Solang der Hitzeschild auf die Sonne zeigt, kann Solar Orbiter auch nach 2026 weiter betrieben werden. Falls der Hitzeschild nicht mehr auf die Sonne zeigt, werden die Instrumente relativ schnell zu heiss und gehen kaputt. Verglühen wird Solar Orbiter aber nicht, dafür wird es nicht heiss genug.
Bild des Sonnenausbruchs
Ein Röntgenteleskop, das der Sonne entgegensteuert. Was soll man sich darunter vorstellen? STIX ist rund 75 Zentimeter lang und 22 Zentimeter hoch. Es macht Bilder der Röntgenstrahlen, die bei einem Sonnenausbruch in den Weltraum gelangen. Dabei nutzt es keine Linsen, sondern zwei Wolframgitter, die hintereinander leicht verschoben montiert sind. Die Gitter haben sehr feine Öffnungen in der Breite von 0,038 bis 1 Millimeter. Der eintreffende Photonenfluss dringt durch diese Öffnungen. Die Photonen werden dabei räumlich moduliert, um ein sogenanntes Moiré-Muster zu erzeugen. Das Moiré-Muster gibt Hinweise auf die Position und Grösse der Röntgenquelle und es kann somit ein Bild des Sonnenausbruchs rekonstruiert werden.
«Das Teleskop kann also feststellen, wo auf der Sonne ein Ausbruch stattfindet und messen, welche Temperatur im Kern des Ausbruchs herrscht», sagt FHNW-Direktionspräsident Crispino Berga maschi. --dm



