Berufung zum Beruf geworden
31.12.2019 KelleramtMein Jahr: Alexandra Abbt, ehemalige Frau Gemeindeammann von Islisberg
«Siehe, nun mache ich etwas Neues. Schon spriesst es, merkt ihr es nicht?» Am Weihnachtsmorgen sitze ich in der Pfarrkirche Bruder Klaus in Oberwil ZG und lausche den wunderbaren Klängen des ...
Mein Jahr: Alexandra Abbt, ehemalige Frau Gemeindeammann von Islisberg
«Siehe, nun mache ich etwas Neues. Schon spriesst es, merkt ihr es nicht?» Am Weihnachtsmorgen sitze ich in der Pfarrkirche Bruder Klaus in Oberwil ZG und lausche den wunderbaren Klängen des «Gloria» von Otto Nicolai, vorgetragen von Chor und Streicherorchester. Bald folgt meine Predigt. Zwar habe ich schon oft in meiner neuen Funktion als Pfarreiseelsorgerin gepredigt, aber die Weihnachtspredigt ist etwas Besonderes und die Kirche ist voll – allerdings wohl weniger aus froher Erwartung meines Predigtwortes als vielmehr wegen der herrlichen Orchestermesse.
Trotzdem fühle ich mich ruhig und erfüllt von all den lichtvollen Feiern während der Adventszeit und von Heiligabend. Dieser begann mit einem Familiengottesdienst und einem Krippenspiel, das ich mit 15 spielfreudigen Kindern einstudiert hatte. Die Heilige Nacht war kurz: Nach der besinnlichen Mitternachtsmesse kehrte ich mit meiner Familie heim nach Islisberg, um schon wenige Stunden später wieder nach Oberwil zu fahren.
Weihnachten 2019 – was für ein Unterschied zu den letzten Jahren, als ich jeweils völlig erschöpft von einem weiteren Studiensemester Weihnachten feierte, um unmittelbar danach für meine Prüfungen Mitte Januar zu lernen.
«Siehe, nun mache ich etwas Neues. Schon spriesst es, merkt ihr es nicht?» Dieses Gotteswort, das uns durch den Propheten Jesaja überliefert ist, begleitete uns in der Pfarrei durch den Advent. Es ist aber auch Leitmotiv meines persönlichen Jahresrückblicks:
Im Januar 2019 befand ich mich vor dem letzten Semester meines Theologiestudiums, meine Masterwar schon gedruckt. Mein Rücktritt aus dem Gemeinderat auf Sommer 2019 war bereits angekündigt. Wie würde es sich anfühlen, mein Amt als Gemeindeammann abzugeben, nachdem ich über 18 Jahre lang Mitglied des Gemeinderates war? Und wie würde ich mich beruflich in die römisch-katholische Kirche, eine Institution, an der ich mich immer wieder gerieben habe, einfügen? Halte ich es aus, mich nach fünf Jahren Studium nochmals zwei weitere Jahre in eine Ausbildungssituation zu begeben?
Politikerinnen und Politiker ziehen nach 100 Tagen im neuen Amt eine erste Bilanz. Bei mir sind es nun 150 Tage in meiner Pfarrei. Ja, es ist tatsächlich schon «meine» Pfarrei geworden. Ich bin von allen sehr herzlich aufgenommen worden, ich habe die erste der zwei kirchlichen «Hauptsaisons» mitgestaltet und die macht mir grosse Freude. Gewiss, es gibt Aufgaben, die mich herausfordern. Andererseits bergen solche Herausforderungen immer auch Wachstumspotenziale, und wer weiss, was daraus noch wächst und «spriesst»? In vielem profitiere ich von meinen Erfahrungen in der Politik und besonders als Gemeindeammann. In gewisser Weise funktioniert eine Pfarrei ähnlich wie eine politische Gemeinde. Allerdings beschränken sich die Reaktionen der Leute im Gottesdienst im Unterschied zu einer Gemeindeversammlung eher auf nonverbale Äusserungen wie Gähnen, Husten und Unruhig-auf-den-Bänken-Rutschen.
Nun, Ende 2019, fällt die Antwort auf die Fragen vom Jahresanfang ganz klar positiv aus: Es ist ein Geschenk, wenn die Berufung zum Beruf wird, getragen von den Menschen, mit denen ich unterwegs bin – da verlieren gewisse institutionelle Reibungspunkte ihre Relevanz. Das Wesentliche ist, dass ich diesen Weg weitergehen darf, voll Vertrauen darauf, dass Gott jeden meiner Schritte begleitet, im neuen Jahr und alle Zeit meines Lebens.
Nun ist dieser Text doch noch zur Predigt geworden. So schliesse ich einen Segen an und wünsche Ihnen für das neue Jahr den Mut, Neues zu wagen, und das Vertrauen auf die Kraft und den Schutz Gottes.
Alexandra Abbt trat im September 2000 in den Islisberger Gemeinderat.
Von 2010 bis Sommer 2019 amtete sie als Gemeindeammann.