Schultz, der Ehrenmann
10.05.2019 FussballBald ist Schluss, Kultfigur Alain Schultz beendet die Karriere – Am Samstag Heimspiel gegen Bellinzona (15 Uhr)
Mit 36 Jahren, da hört der «Bomber» auf. Er kam 2003 als scheuer «Bub» nach Wohlen, war dann 15 Jahre lang (fast immer) treu und kennt mittlerweile das ganze Dorf: ...
Bald ist Schluss, Kultfigur Alain Schultz beendet die Karriere – Am Samstag Heimspiel gegen Bellinzona (15 Uhr)
Mit 36 Jahren, da hört der «Bomber» auf. Er kam 2003 als scheuer «Bub» nach Wohlen, war dann 15 Jahre lang (fast immer) treu und kennt mittlerweile das ganze Dorf: Alain Schultz. Ein hervorragender Fussballer, ein herrlicher Mensch, eine Kultfigur. Noch drei Spiele, dann geht eine Ära zu Ende.
Stefan Sprenger
«Schultz. Wumms. Ab damit ins Tor». Was für ein Gewalts-Hammer. Alain Schultz trifft im April 2009 für die Grasshoppers Zürich in der Super League. Aus 20 Metern, mit gefühlten 200 Stundenkilometern ballert er die Kugel ins Netz. Es ist wohl sein schönstes Tor – und einer der Karriere-Höhepunkte. Doch die Realität von Alain Schultz, sie spielte sich nicht auf der grossen Bühne bei den Grasshoppers in der Super League ab. Sie war und ist in Wohlen. Hier ist er ein Star und wird geschätzt, geachtet und verehrt.
«Der letzte Mohikaner»
Februar 2003. Auf dem Platz der Paul-Walser-Stiftung in Wohlen kommt ein junger Fussballer aus Basel zum ersten Mal im Dress des FC Wohlen zum Einsatz. Schon damals erkannte man: Dieser Alain Schultz mit den blonden Haaren und dem verschmitzten Lächeln, der hat eine grandiose Technik. Andy Wyder, Ex-Präsident des FC Wohlen, er hat ihn damals gemeinsam mit dem damaligen Sportchef Emilio Munera zum FCW geholt. «Im Nachhinein war das ein enorm nachhaltiger Entscheid», sagt Wyder und muss lachen. «De Präsi», er bezeichnet Alain Schultz als «letzten Mohikaner der Challenge-League-Ära». Denn die Nummer 10 war fast während den gesamten 16 Jahren des Wohler Fussballmärchens der NLB mit dabei. «Solche Spieler gibt es leider viel zu selten», meint Wyder, der auch den Menschen hinter dem Fussballer enorm schätzt. «Ich mag ihn sehr, er ist ein flotter Kamerad.»
Die Sprüche von Schultz schlagen genauso ein wie seine Hammer-Tore. «Und von diesen Gewalts-Toren gab es viele», sagt Wyder. «Ich habe nicht gezählt, wie viel Mal ich dank ihm jubeln durfte, aber es war oft», meint Wyder. Es waren mindestens 87 Mal. So viele Tore erzielte Schultz in seinen 354 Pflichtspielen für den FC Wohlen. «Unglaublich, was er leistete. Er war in den letzten zwei Jahrzehnten der prägendste Spieler des FC Wohlen», meint Wyder. Er rennt (heute noch) in jedem Spiel mehr als alle anderen. Er ist Kreativkopf, Standard-Spezialist, Leistungsträger, Captain, Vorbild – und so weiter. Oder «unersetzbar», wie Wyder sagt.
Alain Schultz, das ist aber nicht nur Fussballer. Das ist auch ein Stimmen-Imitator, ein Spassvogel und ein Typ, mit dem man immer gerne ein Bier trinkt. Er selbst sagt, dass einer der grössten Erfolge seiner Karriere die Menschen sind, die er über all die Jahre als Freunde «sammelte». Einer davon ist Michael Winsauer. Die beiden spielten gemeinsam beim FC Wohlen. Und sie verstanden sich hervorragend. Sie erlebten unvergessene Geschichten. Beispielsweise als Winsauer während des Trainings riesigen Hunger bekam und unbedingt etwas zu essen brauchte. Er hat dann aus Versehen Hunde-Guetzli gegessen, die er in der Niedermatten-Kabine fand. Die ganze Packung, ohne es zu merken. «Als wir das gemerkt haben, konnten wir uns vor Lachen nicht mehr bewegen», sagt Schultz.
Die Eckfahne in der Bar
Auf dem Platz verhinderte Winsauer die Tore als Abwehrchef, Schultz schoss die Buden als Torjäger – und nach den Spielen war das dynamische Duo auf der Jagd nach der besten Bar und kreierte reihenweise erzählenswerte Geschichten. In der «Zanzibar», der «Flora», dem «Picadilly», der «Kulturbeiz» oder im «Marco Polo» (früher «Ibarus») hörte man sie bis kurz vor der Sperrstunde lachen. Unvergessen sei die Anekdote, als Schultz nach dem letzten Spiel der Challenge-League-Geschichte den ganzen Abend lang die Eckfahne der Niedermatten in die Bars mitschleppte.
Für Winsauer ist «Franzl», wie er Schutz nennt, ein guter Freund geworden. «Er ist witzig, feinfühlig, gerne unter Leuten, hilfsbereit, hoffentlich nicht mehr lang Single, für jeden Blödsinn zu haben. Und wenn er hinter etwas steht, gibt er dafür 100 Prozent», sagt der Österreicher.
Jetzt Tenniskarriere lancieren
Im Fussball ist es bald vorbei mit den 100 Prozent. Schultz, der Göttibub von FC-Basel-Legende Karl Odermatt, beendet seine Karriere. Und braucht auch sonst eine Fussball-Pause. «Ich gehe nicht zu den Senioren des FC Wohlen. Vorerst. Ich mag nicht mehr und brauche Abstand.» Er will dafür seine Tennis-Karriere so richtig lancieren. Als Mitglied beim TC Niedermatten will er «mindestens dreimal pro Woche trainieren». Zudem ist er kürzlich der Kammergesellschaft Wohlen beigetreten und wird in der Fasnacht offensiv antreten. Und auch im Job hat er Fuss gefasst. Seit rund einem Jahr arbeitet er bei der Kasimir Meyer AG in Wohlen als Chauffeur. Nach fast 20 Jahren als Profifussballer war der Schritt in die Arbeitswelt nicht ganz einfach. Schultz hat es gepackt, ohne Probleme. Einer, der Schultz fast seit 15 Jahren kennt, ist Piu. Er war sein Mitspieler, sein Trainer, «aber vor allem sind wir Freunde. Und ich bin sehr froh, dass er in meinem Leben ist», sagt Piu. Er schwärmt vom Menschen Schultz, der ihn immer wieder zum Lachen bringt. Und er ist fasziniert vom Fussballer Schultz. «Für mich ist es ein Rätsel, dass er nicht weiter oben gespielt hat», meint Piu. Denn er hat alles, was es zum Super-League-Spieler braucht. «Er ist beidfüssig, er ist laufstark, er hat die Technik und den Willen.» Den Willen des Alain Schultz. Piu meint: «So etwas habe ich in meiner Karriere nie erlebt. Er ging in jedem Training und in jedem Spiel immer 100 Prozent rein. Ich muss es wissen, die GPS-Daten haben es mir bewiesen, er war praktisch immer derjenige, der am meisten gelaufen ist», meint Piu weiter.
Zweimal wurde er «untreu»
Schultz schaffte den ganz grossen Durchbruch nicht. Aber: «Ich konnte 16 Jahre lang mein Hobby zum Beruf machen.» Und nebst seinen unglaublichen 354 Spielen beim FC Wohlen, die ihn zum Rekordspieler machen, wurde er zweimal «untreu». Für den FC Aarau machte er 115 Pflichtspiele (20 Tore) und für die Grasshoppers Zürich 35 Pflichtspiele (fünf Tore). In der Super League kam er mit beiden Teams auf total 80 Spiele. Auch wenn er den Aufstieg 2013 mit dem FC Aarau in die höchste Spielklasse als grosses Highlight nennt, das grösste Husarenstück ist das fussballerische Lebenswerk von Alain Schultz beim FC Wohlen. Eine ganz besondere Saison war 2007/08. Der Trainer hiess Martin Rueda. Die Mannschaft spielte lange oben mit. Der Zusammenhalt in der Mannschaft war unglaublich. Auch dabei war damals Sergio Colacino, heutiger Trainer des FC Mutschellen. Auch er ist ein guter Freund von Schultz. Er sagt über ihn: «So einen wie Schultz wünscht man sich als Freund im Leben und als Flügelspieler auf dem Feld.» Colacino erzählt dann eine Geschichte, die er zusammen mit ihm erlebt hat. Sie handelt von Pfeffermühlen, Ananassaft und von Alain Schultz, dem es auf der Rückbank im Auto des damaligen Torhüters Reto Felder schlecht wurde. Die ganze Geschichte bleibt aber geheim.
Schultz: «Als hätte mich ein Lastwagen überfahren»
Alain Schultz, ein Spieler, wie es ihn nur alle paar Jahrzehnte gibt beim FC Wohlen. Emilio Munera, der frühere Sportchef, der von Beginn an vom Talent des jungen Baslers überzeugt war, meint: «Er hat die Farben des FC Wohlen immer mit Stolz und als positiver Sportsmann verteidigt. So ein Spieler ist eine Ausnahmeerscheinung.»
Nun endet diese Ära. Wobei viele in den Niedermatten dachten, Schultz werde der erste Fussballer sein, der die Karriere bis ins Pensionsalter durchzieht. Auch ohne dass er Wochenende für Wochenende für den FC Wohlen seine Knochen hinhält, wird er beliebt bleiben. Schultz wurde in Wohlen heimisch. Er wohnt seit 2004 hier in seiner neuen Heimat. Und er wird auch nicht weggehen. «Wieso auch, hier sind alle meine Freunde», sagt er.
Jetzt, wo er nicht mehr Profi ist, wurde es immer härter für ihn, sich zu motivieren. «Der Horror», sei es, wenn man arbeiten muss und gleichzeitig nahe am Spitzenfussball ist. «Zu Beginn dieser Saison hatten wir ein Spiel in Nyon. Ich bin um 2 Uhr nach Hause gekommen. Um 7 Uhr war ich an der Arbeit. Ich dachte, mich hätte ein Lastwagen überfahren», meint Schultz. Deshalb ist nun fertig. Karriereende. Schultz wird dem Fussball erhalten bleiben. Er macht bald die Prüfung für das B-Trainerdiplom und wird dann wohl ein Juniorenteam an der Seitenlinie coachen. «In den Niedermatten werde ich sowieso immer wieder mal sein. Ich kann mir nicht vorstellen, ohne diesen Ort und die Menschen dort zu leben. Unmöglich.» Denn hier ist er ein Star und hier wird er verehrt. Noch lange nach seiner Karriere werden sich die Fussballer im Freiamt an die Nummer 10 mit dem Hammer-Schuss erinnern. «Der Bomber» sagt Tschüss. Er hat ausgeschossen. Seine Einstellung in den letzten drei Spielen der Karriere (wo er unbedingt noch ein Tor schiessen will): «Ich bin noch nie abgestiegen in meinem Leben. Und das soll auch so bleiben.»
FCW gegen Bellinzona
Am Samstag (15 Uhr) empfängt der FC Wohlen Bellinzona auf den Niedermatten. Gegen die Tessiner, die auf dem 3. Rang stehen und erst vier Niederlagen kassierten, wäre ein Punktgewinn enorm wichtig. Der FCW steht nur zwei Punkte vor YF Juventus und dem Abstiegsplatz. Die Zürcher spielen zu Hause gegen Bavois. Bei einem FCW-Sieg und gleichzeitig einer Niederlage von Juventus wäre der Klassenerhalt nahe. Bei einer Pleite und einem Sieg der Zürcher würde man auf den Abstiegsplatz rutschen. Eine brisante Ausgangslage. --spr




