Als 17-Jähriger in der Ortswehr
18.04.2019 WohlenAdolf Fuchs, Priester in Luzern, bald 95-jährig, und seine Erinnerung an seine Jugendjahre in Wohlen
Am 23. Mai feiert der in Wohlen aufgewachsene ehemalige Stadtschreiber von Mellingen und heutige Priester Adolf Fuchs in Luzern seinen 95. Geburtstag. ...
Adolf Fuchs, Priester in Luzern, bald 95-jährig, und seine Erinnerung an seine Jugendjahre in Wohlen
Am 23. Mai feiert der in Wohlen aufgewachsene ehemalige Stadtschreiber von Mellingen und heutige Priester Adolf Fuchs in Luzern seinen 95. Geburtstag. Nun blickt er auf seine Wohler Zeit zurück. «Die Weltwirtschaftskrise und der Zweite Weltkrieg prägten meine Jugendzeit in Wohlen», sagt er.
In Wohlen, dem aufstrebenden «Klein Paris», erreichte in den 1920er-Jahren die Beschäftigung in der Strohgeflechtindustrie ihren Zenit. Die Wirtschaft brummte und doch zogen bereits die ersten Wolken der kommenden Weltwirtschaftskrise auf, die zu einem tiefgreifenden Strukturwandel mit grosser Arbeitslosigkeit führte.
Mitten in dieser Zeit erblickte am 23. Mai 1924 Adolf Fuchs, das dritte Kind von Josef und Maria Fuchs-Gerster, bei einer Hausgeburt in Muri das Licht der Welt. 1927 gesellte sich noch ein Zwillingspaar dazu und zur grossen Freude konnten die Eltern nun mit ihren fünf Knaben ein kleines Eigenheim am Hubweg 2 in Wohlen erwerben. Fast mitten in der Natur, wo Obstgärten und Felder die wenigen Nachbarhäuser umgaben, und neben dem Trassee der Wohlen-Meisterschwanden-Bahn gab es nur noch das Gaswerk.
Holzsammeln in den Wäldern von Wohlen und Villmergen
Vater Fuchs war Agent bei der Basler Versicherung und musste sich in seinem Rayon von Hägglingen bis Wohlen oft in Geduld üben, bis die anstehenden Prämien von den Kunden bezahlt werden konnten. «Oft schickte der Vater uns Kinder zusätzlich bei den Leuten vorbei, um die Versicherungsprämien einzukassieren. Wir mussten oft mehrmals an die Türen klopfen, denn die Leute hatten bescheidene Einkünfte und wussten manchmal nicht, woher sie zwei bis fünf Franken pro Woche beschaffen sollten», erinnert sich Adolf Fuchs.
Mithelfen war sowieso, sobald man zur Schule ging, immer angesagt, sei es beim Holzsammeln mit dem Leiterwagen im Villmerger und Wohler Wald bis zum Bremgarter Rank oder im eigenen Garten. Zudem galt es die eigenen Hühner zu versorgen, wenn die Mutter auswärts putzte, um mit ihrem Nebenerwerb ein paar Franken zu verdienen. Dass dabei einmal der Älteste des Bubenquintetts in arge Not geriet, als er mit einem Besen bewaffnet den angreifenden Hahn abwehrte und ihn anschliessend trotz stützenden Massnahmen nicht mehr lebendig auf die Beine stellen konnte, machte schnell auf dem vierzigminütigen Schulweg die Runde.
Vom Gaswerkquartier ennet dem Bahnhof durchs ganze Dorf bis zum Gemeindeschulhaus mit vielen Nachbarkindern unterwegs zu sein, liess den Geschichten freien Lauf und verhalf auch den Fuchsen-Buben zu neuem Schabernack.
Das strenge Regime von Lehrer Bürli
Umso gesitteter musste es dann in der Schulstube zu und her gehen. Die 1. und 2. Klasse führte die Lehrerin Fräulein Müller und die 3. bis 5. der legendäre Lehrer Bürli. «Als bekannter Solist der Wohler Operette übte er jeweils während dem Schulunterricht im Klassenzimmer seine Rolle, machte seine Faxen und spuckte zwischendurch, nach einem kurzen Blick auf die Strasse, durchs offene Fenster.» Dass dabei die Augen der rund fünfzigköpfigen Knabenschar, Knaben und Mädchen waren in der Primarschule getrennt, alles andere als bei ihren Aufgaben waren, versteht sich von selbst.
«Lehrer Bürli führte aber ein strenges Regime und Körperstrafen mit dem Riemen waren oft im Zimmer oder auf dem Estrich angesagt», fügt Adolf Fuchs stirnrunzelnd bei. Dafür musste dann beim Examen alles glänzen und Fehler in den Reinheften wurden vorgängig mit Rasierklingen weggeputzt und verbessert und alle Zeichnungen von talentierteren Schülern aufgefrischt.
Lehre auf der Kanzlei in Sarmenstorf
Nach der bestandenen Aufnahmeprüfung in die Bezirksschule öffnete sich für Adolf Fuchs eine spannendere Welt. Die Klassen waren auch nicht mehr nach Geschlechtern getrennt. Nicht nur der interessante Schulstoff der Lehrer Achermann, Müller und Suter, sondern auch das Kadettenwesen folgte. «Immer am Donnerstagnachmittag zogen wir Knaben mit Trommelklang auf den Fussballplatz, um dort Marsch- und Gefechtsübungen mit blinder Munition durchzuführen.» Jeder hatte eine Uniform mit kurzer Hose, Kittel und Mütze. Eine «regelrechte Rekrutenschule», die anfangs von zwei Lehrern und dann von einem Hauptmann im Dienst durchgeführt wurde. Fuchs stieg dann in der Abschlussklasse zum Oberleutnant der Kadetten auf.
Neben dem Kadettenwesen spielte für den Heranwachsenden die Jungwacht Wohlen eine grosse Rolle. Die Gruppenstunden fanden abends, die monatlichen Scharanlässe an Samstagnachmittagen statt. Zuletzt wurde er sogar Scharführer von rund 100 Knaben. Er erinnert sich vor allem an Pfarrhelfer Hofer. «Er war sehr sozial und hat uns Jungs in der Jungwacht sehr gefördert und unsere Talente energisch geweckt.»
Als Fuchs fünfzehn Jahre alt war, brach der Zweite Weltkrieg aus und er begann seine Lehre als Verwaltungsbeamter in der Gemeindekanzlei Sarmenstorf. Als Lehrling bekam er alle drei Monate einen Lehrlingslohn von 50 Franken im ersten Jahr, den er zu Hause abgeben musste, «wovon ich ein Sackgeld von fünf Franken für mich behalten durfte». Während der dreijährigen Lehre musste er an zwei Werktagen von 17 bis 21 Uhr die kaufmännische Berufsschule in Wohlen besuchen.
Jüdische Flüchtlinge auf dem Hasenberg bewacht
Die Lebensmittelrationierung, die Verdunklung und all die schlimmen Nachrichten des Landessenders Beromünster prägten nun den Alltag. «Selbst Ersatzteile fürs Velo aufzutreiben, das ich für meinen Arbeitsweg nach Sarmenstorf brauchte, war sehr schwierig.» Als 17-Jähriger musste er gar in der obligatorischen Ortswehr von Wohlen jüdische Flüchtlinge auf dem Hasenberg zwischen Bremgarten und Dietikon bewachen, «derweil wir immer gespannt am Samstag der aussenpolitischen Berichterstattung von Jean Rudolf von Salis am Radiogerät zuhörten».
Die Dienstzeit betrug bei jedem aktiven Einsatz ein bis zwei Wochen und wurde in alten Militäruniformen und mit scharfer Munition geleistet. «Dass es in Wohlen Leute gab, die mit den Nazis liebäugelten und in der Nationalen Front mitmachten, erfuhr ich aber erst nach Kriegsende.»
Fuchs hatte trotz der Weltwirtschaftskrise und des Krieges eine glückliche und strenge Kinder- und Jugendzeit mit vielen unvergesslichen Erinnerungen. «Meinen Eltern, die sich für uns fünf Buben mit grossem Familiensinn und manchen Entbehrungen eingesetzt haben, und all den Menschen, die mich in jungen Jahren gefördert, gefordert und begleitet haben, bin ich sehr dankbar», blickt Adolf Fuchs vor seinem 95. Geburtstag sichtlich zufrieden und erfüllt zurück.
René Fuchs




