Schwingen wie Zlatan
08.01.2019 SchwingenSchwingerjahr 2019: Stefan Strebel, technischer Leiter des NWS-Verbandes, blickt voraus
2018 war turbulent. Und das neue Jahr verspricht ebenfalls Spannung. Stefan Strebel, der technische Leiter des Nordwestschweizer Schwingverbandes, macht den Freiämter Schwingern vor dem ...
Schwingerjahr 2019: Stefan Strebel, technischer Leiter des NWS-Verbandes, blickt voraus
2018 war turbulent. Und das neue Jahr verspricht ebenfalls Spannung. Stefan Strebel, der technische Leiter des Nordwestschweizer Schwingverbandes, macht den Freiämter Schwingern vor dem «Eidgenössischen» Dampf. «Sie sollen endlich heraus aus der Komfortzone.» Er spricht über Morddrohungen und warum er Fussball mag.
Stefan Sprenger
Wenn er kommt, wird es dunkel. Erstens, wegen seinem Erscheinungsbild. 110 kg schwer, fast 1,90 m gross. Stefan Strebel wirft aber auch sonst einen langen Schatten. Zu seiner Aktivzeit als Schwinger war er gefürchtet, ja fast schon berüchtigt, für seine mutigen Auftritte. Der Villmerger, der heute in Hendschiken lebt, holte insgesamt 50 Kränze. Darunter drei an einem «Eidgenössischen». Heute ist der Chef der Braunwalder AG in Wohlen als Schwinger-Funktionär tätig. Seit Jahren ist der 41-Jährige der technische Leiter des Nordwestschweizerischen Schwingverbandes.
«Lieber ein Wolf als ein Lamm»
Am «Eidgenössischen» in Zug, das vom 23. bis 25. August stattfindet, wird er einer von fünf Einteilungsbossen sein. Dort, am grössten Schwingeranlass mit über 50 000 Zuschauern, sollen die Freiämter Schwinger einen Exploit schaffen. «Ich fordere mindestens einen Kranz von ihnen», sagt Strebel. Wie schafft man einen Kranzsieg an diesem Grossanlass? «Man muss bereit sein am Tag X. Mental und körperlich.»
Ganz wichtig für die Freiämter: «Sie müssen endlich aus der Komfortzone kommen.» Die Freiämter um Andreas und Lukas Döbeli, Joel Strebel, Yannick Klausner oder Reto Leuthard, «holen ihre vier bis fünf Kränze pro Saison und sind damit zufrieden. Doch das ist nur Durchschnitt. Wir wollen mehr», meint Strebel. Der Vater von zwei Kindern macht einen besonderen Vergleich mit dem Fussballbusiness: «Lieber ein Zlatan Ibrahimovic als ein Alain Sutter. Lieber ein Wolf als ein Lamm. Lieber frech und selbstbewusst als zurückhaltend und nett. So wird man Kranzgewinner am Eidgenössischen.» Die Freiämter sollen also Schwingen wie Fussballstar Zlatan Ibrahimovic.
Dass er ein Beispiel aus dem Fussball wählt, ist kein Zufall: Sein Sohn Mario ist auf gutem Weg, ein richtig
guter Kicker zu werden. Er ist Captain der U12-Elite-Mannschaft der Grasshoppers. «Und ich erlebe den Fussball hautnah mit. Das fährt ein», so Strebel. Was ebenfalls eingefahren ist, sind die (Mord-)Drohungen nach seinem umstrittenen Entscheid am Kantonalen Schwingfest in Jonen. Darüber spricht er im Interview.
«Schonfrist ist vorbei»
Schwingen: Interview mit Stefan Strebel, dem technischen Leiter des Nordwestschweizerischen Schwingverbandes
Das Eidgenössische in Zug steht an. 2019 wird ein Schwingerjahr. «Die Freiämter müssen Gas geben», sagt Stefan Strebel. Er selbst will im nächsten Jahr der höchste Schwinger der Schweiz werden. Nebenbei mutiert er nun auch zum Fussballexperten.
Stefan Sprenger
Fangfrage: Wer war der letzte Freiämter, der an einem Eidgenössischen Schwingfest einen Kranz holte?
Stefan Strebel: Das war ich (lacht). 2004 in Luzern.
Wer wird Ihr Nachfolger? In diesem Jahr ist ja das Eidgenössische in Zug.
Da gibt es einige Kandidaten. Die Brüder Döbeli. Oder Guggibad-Sieger Joel Strebel. Yannick Klausner und Reto Leuthard sind auch in der Lage, einen Kranz zu holen. Die Jungs müssen jetzt aber den Finger rausnehmen.
Wie meinen Sie das?
Die Freiämter Schwinger werden es nicht gerne hören, aber die Schonfrist ist vorbei. Es muss geliefert werden. Die jungen Schwinger haben ihre Erfahrungen gesammelt. Beispielsweise am letzten Eidgenössischen in Estavayer. Jetzt müssen sie eine Schippe drauflegen. Ich fordere einen Kranz für das Freiamt.
Denken Sie nicht, dass Ihre Aussagen einen zu grossen Druck ausüben könnten auf die jungen Schwinger?
Man muss ihnen manchmal Feuer unter dem Hintern machen. Fakt ist: Sie müssen in Zug nicht den Friedensnobelpreis im Sägemehl gewinnen. Sie werden dort vor 55 000 Menschen in die riesige Schwingerarena einlaufen. Wenn der Tag X da ist, sollen sie bereit sein. Sie sollen mutig sein, etwas riskieren und sie sollen frech auftreten. Es soll rumpeln.
Josef Reichmuth ist seit Jahren der technische Leiter der Freiämter Schwinger. Macht er einen guten Job?
Er macht seine Sache okay. Es ist aber nicht Reichmuth, der den Karren zieht, sondern die jungen Schwinger pushen sich selber. Es ist eine gute Gruppe, deren Mitglieder sich gegenseitig zu Höchstleistungen treiben. Wie damals zu unserer Zeit, beispielweise im Jahr 1995. Villiger, Siegrist, Mannhard und ich. Wir waren eine eingeschworene Truppe, die eine starke Eigendynamik entwickelte. Ich glaube, heute ist das ähnlich.
Es gibt momentan einige Schwingertalente im Freiamt. Ist es eine goldene Generation?
Mit den Döbelis, mit Klausner, mit Strebel und noch zwei, drei weiteren starken Akteuren würde ich schon von einer goldenen Generation sprechen. Es sind aber keine Talente mehr. Nun ist – wie ich schon sagte – die Schonfrist vorbei.
Werden diese Jungs genug gefördert?
Oh ja. Im Klub und auch auf kantonaler Ebene werden sie gefordert und gefördert. Und wir vom Nordwestschweizerischen Verband arbeiten auch stark mit ihnen. Wir arbeiten seit ein paar Jahren auch mit Jürg Wetzel zusammen, einem Mentaltrainer. Denn auch das wird immer wichtiger in unserem Sport.
Apropos Talentförderung: Ihr Sohn Mario soll ein grosses Fussballtalent sein. Stimmt das?
Ich würde sagen, ja. Mario ist Captain der U12-Elite-Mannschaft der Grasshoppers. Wir – die ganze Familie – fahren fünf Mal pro Woche nach Niederhasli ins GC-Trainingsgelände. Er erhält viel Unterstützung und wir sind auch mächtig stolz auf ihn.
Sind Sie jetzt auch ein Fussballexperte geworden?
(Lacht) Ich bin weit entfernt von einem Experten. Früher sagten wir: Buben spielen Fussball, Männer gehen Schwingen. Diese Meinung habe ich jetzt, wo ich etwas ins Fussballbusiness reinsehen kann, geändert.
Erklären Sie.
Was im Nachwuchs-Spitzensport abgeht, ist krass. Der Aufwand ist riesig. Fünf Mal pro Woche trainieren diese Jungs. Dazu kommen am Wochenende mehrere Spiele. Quasi nebenbei muss er noch die Schule erfolgreich bewältigen. Wenn er die Durchschnittsnote von 4 nicht erreicht in der Schule, darf er nicht mehr mitmachen bei den Grasshoppers. Dazu kommen die physischen und mentalen Herausforderungen. Aber bislang macht Mario seine Sache prima. Sein Wille ist gross. Und er hat Spass an der Sache.
Will er Profifussballer werden?
Das ist sein Traum.
Wäre es auch Ihr Traum?
Sein Traum ist mein Traum.
Sie sind oft bei Trainings und Spielen dabei. Gehören Sie auch zu den Eltern, die am Spielfeldrand reinschreien?
(Lacht) Das ist bei den Nachwuchsmannschaften, die auf Leistung aus sind, nicht mehr möglich. Die Eltern mussten einen Ehrenkodex unterschreiben. Das Training kann man nur aus weiter Entfernung betrachten. Und wenn man am Spielfeldrand doch reinschreit, wird der Spieler sofort ausgewechselt. Anscheinend war das ein Problem im Fussball.
Wie ist das im Schwingen?
Da ruft jeder rein (lacht).
Aber ehrlich: Das Simulieren im Fussball, das kann doch keinem Schwinger gefallen?
Im Juniorenfussball sehe ich lauter kleine Philipp Lahms, keine Neymars. Lahm war Captain bei Bayern München. Der ist nie rumgelegen oder hat simuliert. Wenn er am Boden lag, dann war wirklich was kaputt. Ich sehe bei den Spielen von Mario nie solche Dinge. Aber es könnte sein, dass es im Erwachsenenalter irgendwie dazugehört.
Noch eine Fussballfrage, dann gehen wir wieder zum Schwingen.
Da fühle ich mich wohler, ja.
Sie sind Chef der Braunwalder AG in Wohlen, der grössten Schlachterei im Aargau. Sie liefern auch die Würste an die Spiele des FC Wohlen. Verkaufen Sie jetzt, wo der FCW nicht mehr in der Challenge League spielt, weniger Würste?
Im Gegenteil. Weil das Beizli nun auch unter der Woche bei den Trainings der Junioren offen hat, läuft es gut. Ich habe gestaunt, aber es ist Tatsache, dass nun mehr Würste verkauft werden als zuvor. Ich bin selbst auch an einigen Heimspielen der ersten Mannschaft dabei gewesen und finde, die neue Führungsetage macht einen hervorragenden Job.
Zurück zum Schwingen: Sie sind seit Jahren technischer Leiter des Nordwestschweizerischen Verbandes. Zuvor hatten Sie dieselbe Funktion auf Juniorenstufe. Was kommt als Nächstes?
Im Jahr 2020 will ich technischer Leiter des Eidgenössischen Schwingverbandes sein.
Also der Chef des Schweizer Aktiv-Schwingsports.
So könnte man es sagen. Dann wäre ich Chef-Einteiler beim Unspunnen-Schwinget, Kilchberg-Schwinget oder beim Eidgenössischen 2022 in Basel.
Wieso möchten Sie das werden?
Ich sagte mir nach meiner Aktivkarriere: Entweder hörst du ganz auf oder du gibst als Funktionär Vollgas. Und mein Ziel war es immer, einmal technischer Leiter des Eidgenössischen Schwingverbandes zu werden. Ich wäre der erste aus der Nordwestschweiz. Es wäre mir eine Ehre, diese Aufgabe auszuführen.
Was sind Ihre Visionen mit der Sportart?
Schwingen erlebt einen Boom. Aber – und das muss ich klar sagen – es ist nach wie vor eine Randsportart. Wir müssen unsere Popularität halten. Wir müssen nicht immer wachsen. In Zug sollen bis zu 60 000 Menschen kommen, es wird immer grösser. Bald braucht es den Feldstecher, um etwas in der Schwingarena zu sehen. Das soll nicht das Ziel sein. Wichtiger ist, dass wir die Kampfrichter professionalisieren. Da habe ich schon einen Plan. Die Schulung und Betreuung der Schiedsrichter muss besser werden. Man sollte sich auch überlegen, dass man von drei auf vier Kampfrichter raufgeht. Ausserdem wird momentan in Magglingen eine Schwingerhalle gebaut. Diese neue Anlage – auch in Zusammenarbeit mit dem Militär und der Sportler-Rekrutenschule – braucht viel Planung.
Für den Einteiler bei einem Schwingfest hagelt es auch viel Kritik. Am Nordwestschweizerischen Schwingfest in Jonen im Sommer des vergangenen Jahres zum Beispiel. Da haben Sie den Innerschweizer Philipp Laimbacher nicht in den Schlussgang eingeteilt, sondern Bruno Gisler, einen Nordwestschweizer.
Da waren die Innerschweizer ziemlich sauer. Ich bekomme nach jedem Schwingfest Kritik. In Jonen war es anders. Das ging mir an die Nieren. Ich kriegte sogar Morddrohungen.
Morddrohungen?
Ja. Es gab Briefe und E-Mails. «Den Typen sollte man entsorgen», war der Inhalt von einem Brief. Dazu viele Drohungen und Beschimpfungen.
Wie erlebten Sie das?
Es war eine harte Zeit. Und ich war froh, dass ich immerhin im «Wohler Anzeiger» mein Statement abgeben durfte. Andere Zeitungen verrissen mich und meine Entscheidung, aber haben nicht nachgefragt. Und ich war der Buh-Mann.
Haben Sie in Jonen einen Fehler gemacht?
(Überlegt lange) Ich Nachhinein würde ich es anders machen. Es war ein Fehler, das habe ich eingesehen. Ich habe es durchgezogen und das ganze Reglement ausgenutzt. Aber das passiert mir kein zweites Mal. Ich war lange dabei und habe viel Erfahrung. Wenn man die Schwinger-Duelle einteilt, will man es immer perfekt machen. Aber das geht gar nicht. Es gibt verschiedene Blickwinkel.
Themawechsel. Wer wird eidgenössischer Schwingerkönig in Zug?
Schwierig zu sagen. Es gibt da einige Favoriten. Giger, Stucki, Wicki, Orlik. Diese vier können es schaffen.
Das sind alles keine Nordwestschweizer.
Ich sehe momentan keinen aus unserem Teilverband, der Schwingerkönig werden kann. Allerdings kann es beispielsweise Nick Alpiger unter die besten fünf schaffen.
Wie viele Kränze erwarten Sie aus dem Freiamt?
Das Ziel ist, dass das Freiamt wieder einen Eidgenossen hat. So würde der Schwingsport im Freiamt auch wieder populär werden. In drei Jahren in Basel soll es zwei Kränze geben.
Mit Ihnen als Verbandsleiter?
Das wäre schön.
Schlussfrage: Haben Sie Neujahrsvorsätze?
Ich will, dass das Freiamt wieder eine Schwingerhochburg wird. Das müssen die Sportler aber alleine schaffen. Ich helfe nicht mit der Einteilung (lacht).



