Die Qualität hinterfragen
28.09.2018 WohlenRechtsprechung des Obergerichts im Visier: Antwort auf Interpellation von Harry Lütolf
In einem Vorstoss wollte der Wohler CVP-Grossrat Harry Lütolf Auskunft über die Qualität der Rechtsprechung der Strafkammer des Obergerichts. Er ...
Rechtsprechung des Obergerichts im Visier: Antwort auf Interpellation von Harry Lütolf
In einem Vorstoss wollte der Wohler CVP-Grossrat Harry Lütolf Auskunft über die Qualität der Rechtsprechung der Strafkammer des Obergerichts. Er erhielt diese nur teilweise. Vor allem die Verweigerung der Justizleitung nennt er eine Zumutung.
«Dem Regierungsrat kommen keinerlei Kompetenzen in Bezug auf die Aufsicht über die Gerichte zu», schreibt der Regierungsrat. Deshalb nahm der Regierungsrat bei Fragen von Harry Lütolf über die Tätigkeit der Justizbehörden keine Stellung. So werden die Grundsätze der Gewaltenteilung gewahrt. Allerdings sei es ohne Weiteres zulässig, «die richterliche Tätigkeit kritisch zu hinterfragen». Einer kritischen Würdigung der richterlichen Tätigkeit stehe indessen wie nichts entgegen, schreibt der Regierungsrat.
«Eine Analyse über sämtliche Urteile des Strafgerichts, die vom Bundesgericht in den vergangenen Jahren nicht oder nur teilweise bestätigt worden sind, würde einen unverhältnismässigen Aufwand bedeuten», schreibt der Regierungsrat weiter. Der Interpellant wollte zudem wissen, wie viele Beschwerden in Strafsachen gegen Urteile einer Strafkammer des aargauischen Obergerichts seit dem 1. Januar 2015 bis heute durch das Bundesgericht gutgeheissen wurden, vollständig oder nur teilweise?
Von 2400 Entscheiden gingen rund 400 ans Bundesgericht
Hier gibt der Regierungsrat Einblick in die Zahlen und die Entscheidungen. In drei Jahren, von 2015 bis 2017, wurden insgesamt fast 400 Entscheide des Obergerichts ans Bundesgericht weitergezogen – von insgesamt fast 2400 Urteilen. Die Statistik im Detail:
2015 fällte das Obergericht 746 Entscheide. Davon blieben 87,1 Prozent (650 Entscheide) unangefochten, während 12,9 Prozent (96 Entscheide) an das Bundesgericht weitergezogen worden sind. 2016 fällte das Obergericht 830 Entscheide. Davon blieben 84,1 Prozent (698 Entscheide) unangefochten, während 15,9 Prozent (132 Entscheide) an das Bundesgericht weitergezogen worden sind.
2017 fällte das Obergericht 819 Entscheide. Davon blieben 80,6 Prozent (660 Entscheide) unangefochten, während 19,4 Prozent (159 Entscheide) an das Bundesgericht weitergezogen worden sind.
Innert drei Jahren wurden 55 Urteile korrigiert
Wenn es um die Qualität geht, und die spricht der Interpellant ja explizit an, ist die Zahl der nicht bestätigten Urteile von Interesse. Dies waren in der Zeit von 2015 bis 2017 immerhin 55 Fälle. Oder durchschnittlich waren es über die drei Jahre rund 15,5 Prozent der beurteilten Fälle, die beim Bundesgericht korrigiert wurden. Die Statistik im Detail:
Das Bundesgericht beurteilte 2015 107 Entscheide des Strafgerichts. Davon wurden 8,4 Prozent teilweise (9 Entscheide) bestätigt. Nicht bestätigt wurden 21,5 Prozent (23 Entscheide), bestätigt damit 70,1 Prozent (75 Entscheide).
Das Bundesgericht beurteilte 2016 122 Entscheide des Strafgerichts. Davon wurden 9,8 Prozent teilweise (12 Entscheide) bestätigt. Nicht bestätigt wurden 15,6 Prozent (19 Entscheide), bestätigt damit 74,6 Prozent (91 Entscheide).
Das Bundesgericht beurteilte 2017 135 Entscheide des Strafgerichts. Davon wurden 6,7 Prozent teilweise (9 Entscheide) bestätigt. Nicht bestätigt wurden 9,6 Prozente (13 Entscheide), bestätigt damit 83,7 Prozent (113 Entscheide).
Nicht auf Glatteis begeben, aber Qualität hinterfragen
Die Interpellation war am vorletzten Dienstag im Grossen Rat traktandiert, aus zeitlichen Gründen musste die Behandlung verschoben werden. Immerhin kann der Interpellant die schriftlichen Antworten bereits beurteilen.
Die Haltung des Regierungsrates findet er korrekt. «Ich habe erwartet, dass sich der Regierungsrat mit Verweis auf die Gewaltenteilung nicht auf Glatteis begeben will. Die Unabhängigkeit der Gewalten ist ein hohes Gut. Die Kontrolle aber auch, wie sie in der Verfassung festgeschrieben ist», sagt Lütolf. Der Grosse Rat habe allerdings das Recht und die Pflicht, die Oberaufsicht auch über das Obergericht auszuüben. «Und da darf man durchaus auch die Qualität der Arbeit hinterfragen, ohne dabei Einfluss auf die Rechtsprechung zu nehmen. Das ist absolut vereinbar miteinander.» Harry Lütolf nimmt nicht den Regierungsrat in die Kritik, sondern die Justizleitung. «Die Antwort der Justizleitung, nicht die des Regierungsrates, ist eine Zumutung», nervt sich der Wohler Grossrat. Die Angelegenheit sei damit noch nicht erledigt. «Das ist ein Versprechen. Derzeit laufen in meiner Partei verschiedene Anhörungen – auf meinen Wunsch hin.» Mehr dazu gebe es später, so Lütolf abschliessend. Sehr wahrscheinlich am 6. November, dann ist die nächste Sitzung des Kantonsparlaments geplant. --dm