200-jähriges Haus weicht Neubau
14.01.2025 Region Bremgarten, KüntenAbbruch nach über 200 Jahren
In Sulz weicht ein altes Haus einem Neubau, bleibt aber in Familienbesitz
Um 1800 wurde in Sulz ein Wohnhaus mit Scheune gebaut. Bis heute gehört es der Familie Kohler. Jetzt entsteht dort ein Haus mit ...
Abbruch nach über 200 Jahren
In Sulz weicht ein altes Haus einem Neubau, bleibt aber in Familienbesitz
Um 1800 wurde in Sulz ein Wohnhaus mit Scheune gebaut. Bis heute gehört es der Familie Kohler. Jetzt entsteht dort ein Haus mit fünf Wohnungen.
Roger Wetli
Der ehemalige langjährige Murimoos-Betriebsleiter Alois Kohler wuchs in Sulz mit 18 Geschwistern auf. Er gehört zur 10. Generation, die das heute über 200-jährige Haus bewohnt. Gerne erinnert sich Kohler an die alten Zeiten zurück. So schliefen etwa in einem kleinen Zimmer vier Brüder in zwei Betten und im Nebenzimmer fünf Schwestern in zwei Betten und wärmten sich in den unbeheizten und schlecht isolierten Räumen gegenseitig. 1974 fand die letzte grosse Sanierung statt. Bis vor Kurzem lebten noch Mitarbeiter des Landwirtschaftsbetriebs der Kohlers darin. Die Spuren all dieser Erinnerungen werden wohl noch diesen Monat verschwinden.
Zusammen mit seinen Kindern wird Alois Kohler das Haus abreissen und an dessen Stelle ein neues Gebäude mit fünf 1,5- bis 4,5-Zimmer-Mietwohnungen bauen. Die Parzelle und das Haus bleiben in Familienbesitz. «Hier haben wir unsere Wurzeln. Deshalb möchten wir den Neubau unter anderem mit Holz aus unserem eigenen Wald und generell möglichst umsichtig und nachhaltig umsetzen», erklärt Alois Kohler. Trotzdem sieht er dem Ende des über 200-jährigen Familienstammhauses mit Wehmut entgegen. Gleichzeitig staunt er, welche Bautechniken bei der Vorbereitung des Abbruchs bereits zum Vorschein kamen. Jedes Zimmer und jede Wand hält eine neue Überraschung bereit.
In Sulz wird ein Bauernhaus der Familie von Alois Kohler abgerissen
Um 1800 wurde in Sulz ein Bauernhof mit Scheune von der Familie Kohler gebaut. Zehn Generationen lebten darin und später die Gastarbeiter der Landwirte. Jetzt wird dort ein Neubau erstellt, der in Familienbesitz bleibt.
Roger Wetli
«Dieser Raum mit grossem Fenster war früher durch eine dünne Wand getrennt», zeigt Alois Kohler. «Das Fenster wurde später so eingebaut.» Er erinnert sich, dass er in einem der Zimmer zusammen mit vier Brüdern schlief. Im anderen nächtigten fünf Schwestern. «Und das in je zwei Betten. Wir mussten uns gegenseitig warm geben.» Die kleinsten Kinder seien dagegen im Zimmer der Mutter gewesen.
Aus heutiger Sicht sind solche Verhältnisse kaum mehr vorstellbar. Die Familie Kohler hatte 18 Kinder, die über 27 Jahre verteilt auf die Welt kamen. «Natürlich zogen die Älteren aus. Zusammen mit den Eltern und Grosseltern lebten in diesem Haus aber über längere Zeit immer 18 bis 20 Personen zusammen», erinnert sich Alois Kohler.
Landwirt und Tagelöhner
Diese Ära geht in diesen Tagen zu Ende. Das Haus und seine Scheune weichen nach über 200 Jahren einem Neubau, der aber im Besitz der Familie Kohler bleibt. «Gebaut wurde es um 1800», weiss Alois Kohler. Er gehört der 10. Kohler-Generation an, die in diesem Haus wohnte. «Nur die Küche und die Stube hinter der Küche waren früher beheizt. Im Winter wurde es sehr kalt.» Trotzdem strahlt Alois Kohler, wenn er von diesen Tagen erzählt. «Nur das Misten der zwei Schweine habe ich nicht gerne gemacht. Das mussten wir Kinder jeweils am Samstag tun.» Mit vier Hühnern, maximal vier Kühen und zwei Pferden habe die Familie stets bescheiden leben müssen. «Die eigene Kuhmilch reichte nur selten, um alle zu ernähren», erinnert sich Alois Kohler. «Der Vater generierte mit den Pferden ein zusätzliches Einkommen, weil er sie nicht nur für die eigenen Feldarbeiten einsetzte, sondern als Lohnarbeiten mit Ross und Wagen auch Waren für Dritte transportierte. So führte er etwa für die noch heute bestehende Reussverbauung Steine.»
Dreh- und Angelpunkt in diesem Haus sei die Mutter gewesen. «Sie gab uns Kindern alles mit auf den Weg, was wir brauchten. Wenn ein Kind krank war, legte sie es in den Leiterwagen und lief damit zu Fuss von Sulz nach Bremgarten zum Doktor», so Kohler. Das sei heute undenkbar.
Datum im Gedächtnis eingebrannt
Die letzte grosse Sanierung mit Umbau des Hauses geschah 1974. Nach seiner Heirat lebte darin Alois Kohler zusammen mit seiner Frau, seinen zwei Kindern, seiner Mutter und seinem Bruder Hugo. Letzterer führte den Landwirtschaftsbetrieb. «Es gab zwischen uns Spannungen, weshalb ich mit meiner Familie nach zwei Jahren nach Würenlingen umgezogen bin. Wir gingen nicht im Streit», versichert er.
Nach weiteren zwei Jahren in Würenlingen nahm Alois Kohler eine Anstellung im Murimoos an und zog zusammen mit seiner mittlerweile auf drei Kinder gewachsenen Familie dorthin. «Ich begann als Untermelker und Handlanger und arbeitete mich hoch», lacht der spätere langjährige Murimoos-Betriebsleiter. Insgesamt wurden es 35 Jahre.
Das Schicksal brachte Alois Kohler wieder nach Sulz. «20 Jahre nach unserem Wegzug hatte mein Bruder Hugo einen schweren Unfall mit einer Kuh. Das war am 23. November 1996.» Dieses Datum hat sich stark in Alois Kohlers Gedächtnis eingebrannt. «Noch im Spital übertrug er mir den Hof. Ich übernahm ihn 1997, blieb aber bis 2016 im Murimoos. Die Arbeit in Sulz übernahmen meine Söhne Patrick und Adrian.» Mutter und Bruder Hugo genossen im alten Haus aber Wohnrecht bis zu ihrem Tod.
Weil der kleine Hof später den geänderten Gesetzesanforderungen im Bereich Gewässer- und Tierschutz nicht mehr entsprach, bauten die Kohlers einen neuen Hof in Richtung Waldhütte Sulz. Im alten Haus lebten deshalb bis vor Kurzem Mitarbeiter der Kohlers.
Isolation aus Lehm-Stroh-Gemisch
Beim Besuch in Sulz sind die Arbeiten zum Abbruch des alten Hauses im Innern bereits voll im Gang. Dabei kommen hinter den Wandabdeckungen verschiedene Bautechniken zum Vorschein. Teilweise sind es Steinmauern, dann wieder Holzverschläge, in denen ein Lehm-Erd-Stroh-Gemisch für Isolation sorgte. Der Kern einer anderen Innenwand besteht gar aus einem mit Lehm verkleideten Astgeflecht. «Ich finde das total spannend», strahlt Alois Kohler. Vor dem Haus weist er auf eine andere Kuriosität hin. «Diese beiden grossen gut verschlossenen grünen Schnapsbehälter fanden wir im Keller gut versteckt. Einst sollten sie wohl nicht durch den Schnapsvogt entdeckt werden und wurden danach vergessen.»
Mit Holz aus dem eigenen Wald
Dieses alte Haus verschwindet nun. Bleiben werden die Erinnerungen. Die Baubewilligung ist erteilt, der Abbruch beginnt. Weil das Gebäude unter Ortsbild- und Volumenschutz steht, bleibt der Grundriss des neuen Hauses etwa gleich. Eine Scheune wird das neue Gebäude aber nicht mehr enthalten. Dafür entstehen total fünf 1½- bis 4½-Zimmer-Wohnungen, welche die Familie Kohler vermieten wird. «So bleibt diese Parzelle hoffentlich auch über einige weitere Kohler-Generationen im Familienbesitz», freut sich Alois Kohler. Gebaut wird mit möglichst vielen nachhaltigen Materialien. So stammt ein Grossteil des eingebauten Holzes aus dem eigenen Wald der Kohlers und der Rest aus der Gemeinde. Das Gebäude erhält eine Holzverkleidung. Die Parkplätze der Bewohner befinden sich im Untergeschoss und sind über die Tiefgarageneinfahrt des bereits bestehenden Nachbarbaus erreichbar. Dazu kommen noch ein paar oberirdische Besucherparkplätze und eine Grünfläche, die zum Verweilen einlädt.
Alois Kohler lebt unmittelbar neben dem künftigen Neubau. «Unsere Familie fühlt sich mit Sulz sehr stark verbunden und ist hier fest verwurzelt. Hier sind wir zu Hause. Umso schöner, können wir dieses Projekt umsetzen und diese Parzelle im Sinne der Familie nach aktuellem Standard bewohnbar machen.»