Zwei Fliegen mit einer Klatsche
04.04.2025 Oberlunkhofen, KelleramtBesuch bei «Aufgetischt statt weggeworfen» in Oberlunkhofen
Damit es weniger Foodwaste gibt. Und damit Armutsbetroffene unterstützt werden. Woche für Woche holen die Leute von «Aufgetischt statt weggeworfen» ablaufende Produkte bei ...
Besuch bei «Aufgetischt statt weggeworfen» in Oberlunkhofen
Damit es weniger Foodwaste gibt. Und damit Armutsbetroffene unterstützt werden. Woche für Woche holen die Leute von «Aufgetischt statt weggeworfen» ablaufende Produkte bei Detailhändlern und verteilen sie an Bedürftige aus dem Kelleramt. Unterwegs mit Inez Schneider und Doris Peier.
Annemarie Keusch
Zweimal zwei Erdbeertörtchen. Mehrere Packungen Sushi. Nüsslisalat. Vor allem aber Brot, in allen Variationen. Baguette, Weissbrot, Vollkorn, Sultaninen-Brötchen, mit Käse überbackene Brezel und, und, und. Sieben Kisten voller Lebensmittel, die an diesem Abend ablaufen und die am nächsten Tag nicht mehr verkauft werden dürfen. Alles Frischwaren. «Letzte Woche war es mehr», sagt Inez Schneider. Auch Zuger Kirschtorten seien dabei gewesen, abgepacktes Fleisch. «Jede Woche ist anders», sagt später auch Doris Peier. Peier ist Regionalleiterin von «Aufgetischt statt weggeworfen» im Raum Kelleramt/Bremgarten. Vor fünf Jahren hat sie das Projekt in der Region mitlanciert, seither leitet sie es. Inez Schneider hingegen ist das erste Mal allein auf Abholtour. Ihr einziger Stopp an diesem Abend: der Coop in Bremgarten. Eine andere Fahrerin war vorher schon bei der Migros in Bremgarten und bei den Bäckereien Haas und Stutz im Kelleramt.
«Aufgetischt statt weggeworfen» – den vorwiegend in den Kantonen Zürich und Aargau tätigen Verein gibt es seit zehn Jahren. 15 Regionalgruppen gehören mittlerweile dazu. Das Hauptziel: Foodwaste vermeiden. «Die Menge an Lebensmitteln, die weggeworfen wird, ist eine Schweinerei», sagt Doris Peier. Vor fünf Jahren seien es wöchentlich bis zu 200 Kilogramm gewesen, aktuell sind es rund 70 Kilogramm an Esswaren, die am Dienstag in und am Donnerstag in Bremgarten verteilt werden. «Die Grossverteiler haben in den letzten Jahren ihre Hausaufgaben gemacht. Ein gutes Zeichen», sagt Peier zur kleiner gewordenen Menge.
80 Personen profitieren davon
Dass die Lebensmittel nicht weggeworfen werden, ist das eine. Zum andern profitieren von Armut betroffene Menschen von «Aufgetischt statt weggeworfen». Von der Tour nach Bremgarten zurück, stehen die ersten bereits vor der Tür, helfen beim Ausladen. «Armut gibt es auch bei uns, auch wenn sie weniger sichtbar ist», sagt Doris Peier. Rund 35 Bezügerinnen und Bezüger, total rund 80 Familienangehörige profitieren vom Angebot. «Nicht wenige kommen seit Beginn», weiss die Leiterin. Die Zahl sei stetig angestiegen. Weil die Menge an Lebensmitteln aber zurückging, gibt es mittlerweile zwei Gruppen. Die einen kommen an den geraden Wochen, die anderen an den ungeraden.
Die abgeholten Lebensmittel sind schnell sortiert und bereitgestellt. Vorher wird alles gewogen, um bei den Lieferanten Ende Jahr Rechenschaft ablegen zu können. Viele Brote, wenig Gemüse und Früchte, abgepacktes Fleisch, Salatsaucen und Eier sind es an diesem Abend. «Eier sind quer über alle Nationen hinweg beliebt», sagt Doris Peier. Von Spendengeldern kauft sie oft Eier. Vier Tische sind voller Lebensmittel. Und keine halbe Stunde später ist alles weg. «Übrig bleibt fast nie etwas.»
Aus Syrien, der Ukraine, aber auch aus der Schweiz
«Aufgetischt statt weggeworfen» arbeitet mit allen Kellerämter Gemeinden zusammen. Armutsbetroffene melden sich auf ihrer Wohngemeinde, diese fragt bei Doris Peier für Karten an. Wer Lebensmittel beziehen will, muss diese Karten vorweisen. Darauf ist auch notiert, wie viele Personen im Haushalt leben. Oft seien es Sozialhilfebezüger und Asylsuchende, die Lebensmittel abholen. Viele kennt Doris Peier mittlerweile. Die meisten sind Immigranten – aus Syrien, Afghanistan oder der Ukraine. Aber auch Schweizerinnen und Schweizer profitieren vom Angebot. Dankbar sind alle. Das ist auch an diesem Abend zu spüren. «Danke», sagen alle, auch wenn die Deutschkenntnisse nicht viel mehr zulassen. «Die Verständigung funktioniert auch so immer», sagt Doris Peier und lacht. Deutsch, Englisch, mit Händen und Füssen.
Lebensmittel zu retten und gleichzeitig Armutsbetroffenen zu helfen – eine perfekte Synergie. Das findet auch Inez Schneider. Darum zögerte sie nicht, sich zu melden, nachdem Doris Peier das Projekt an der GV der Landfrauen in Oberlunkhofen vorstellte. «Mir geht es gut und dafür bin ich sehr dankbar. Darum will ich helfen, damit es auch anderen besser geht», sagt sie zu ihrer Motivation. Schneider ist Fahrerin, holt bei den Detailhändlern Produkte ab, die sonst weggeworfen werden müssten. «Dann wird mein grosses Auto genutzt», sagt sie und lacht. Seit vier Jahren ist sie pensioniert, engagiert sich vielerorts freiwillig, etwa auch beim Mahlzeitendienst. «Ich helfe einfach gerne», fasst sie zusammen. Rund 30 Personen zählt das Team von «Aufgetischt statt weggeworfen» Kelleramt-Bremgarten. Pro Abend sind rund fünf davon im Einsatz. «Wir sind immer froh um neue Freiwillige», sagt Doris Peier.
Pingpong-Bälle entscheiden Reihenfolge
Brosamen auf den Tischen bleiben am Schluss übrig. Wo vorher prall gefüllte Kisten standen, putzen die Freiwilligen die letzten Rückstände von den Tischen weg. Sushi, Erdbeertörtli, Salatsaucen, Mandrinen, diverse Gebäcke. Innerhalb von nur einer halben Stunde hat alles die Hand gewechselt. Die Nummer auf dem blind gewählten Pingpong-Ball entschied, wer an diesem Tag zuerst Lebensmittel auswählen durfte. Die beiden Torten sind schnell weg, kommen in vier-, beziehungsweise sechsköpfige Familien. «Die Solidarität unter den Bezügern ist gross», sagt Doris Peier. Dass für einen Zwei-Personen-Haushalt keine grosse Torte abgegeben wird, stösst auf Verständnis.
Überhaupt, Hektik kommt nie auf. Ruhig packen die Frauen und Männer die ihnen entgegengestreckten Lebensmittel ein. «Ganz viele sind nicht wählerisch. Das zeigt, dass sie wirklich in Not sind.» Ist dem nicht so, meldet Peier dies der entsprechenden Gemeinde zurück. «Schliesslich sollen die Lebensmittel an jene gehen, die es wirklich nötig haben.» Und diejenigen lassen Doris Peier und ihr Team deren Dankbarkeit richtig spüren. «Etwa, wenn wir einander zufällig im Dorf begeben.» Sie erzählt von vielen schönen Erlebnissen und Begegnungen. «Das motiviert, immer weiterzumachen.» Um Foodwaste zu verhindern und Armutsbetroffenen zu helfen – eine Organisation, zwei positive Effekte.
Mehr Informationen unter: www.aufgetischt-statt-weggeworfen.ch.Im Freiamt gibt es eine zweite Regionalgruppe auf dem Mutschellen. Wer mithelfen will, meldet sich bei Doris Peier, Tel. 056 634 21 52.