Zurück ins Leben gerannt
20.02.2024 Sport, LaufsportComeback nach Krebs
Zehn Jahre ist es her, dass die Jonerin Susi Schildknecht-Gut zum letzten Mal am Reusslauf teilnimmt. Danach folgt ein langer Kampf mit dem Krebs, bei dem sie die Hälfte ihres Gesichts verliert.
Trotz aller Schicksalsschläge hat sie ...
Comeback nach Krebs
Zehn Jahre ist es her, dass die Jonerin Susi Schildknecht-Gut zum letzten Mal am Reusslauf teilnimmt. Danach folgt ein langer Kampf mit dem Krebs, bei dem sie die Hälfte ihres Gesichts verliert.
Trotz aller Schicksalsschläge hat sie nie aufgegeben. Und ebensowenig ihre Liebe zum Laufsport verloren. Am Samstag wird sie am Reusslauf ihr Comeback feiern. --jl
Susi Schildknecht-Gut gibt nach einer Krebserkrankung am Reusslauf ihr Comeback
Susi Schildknecht-Gut war eine leidenschaftliche Läuferin, bis sie durch Krebs ihr halbes Gesicht verlor. Mit ihrer Teilnahme am Reusslauf will sie zeigen, dass es sich lohnt, niemals aufzugeben.
Josip Lasic
Es fehlt noch ein Kilometer bis zum Ziel. Susi Schildknecht-Gut mobilisiert noch einmal alle Kräfte. Sie hört die Musik und die Menschenmenge, die sie anfeuert. Sie hört das alles und geniesst es. Momente und Gefühle, wie sie die Jonerin früher regelmässig erlebt hat. Wegen dieser positiven Emotionen, die sie mit dem Laufsport verbindet, übt diese Sportart eine solche Faszination auf sie aus. Laufen ist eine Riesenleidenschaft der Jonerin. Seit sie 27 Jahre alt war, hat sie an zahlreichen Wettkämpfen im In- und Ausland teilgenommen. Bis ihre Krebserkrankung dazwischenkam. «Ich habe oft gesagt, dass ich hoffe, diese Atmosphäre wieder erleben zu können. Meist wurde ich dann schräg angesehen.» Nicht die einzigen unangenehmen Blicke, die sie in den letzten Jahren ertragen musste. Doch sie hat sich davon nie unterkriegen lassen und hat weitergekämpft. Auch in diesem Bereich mit Erfolg. Am kommenden Samstag ist es so weit. Die 62-Jährige startet am Reusslauf. Zehn Jahre nach ihrer letzten Teilnahme.
Die Odyssee, welche sie hinter sich hat, ist härter als jeder Lauf. 2009 macht sich Krebs in ihrer Nase bemerkbar. Schildknecht-Gut wird über 40-mal operiert. 2018 folgt der radikalste Eingriff. Die Ärzte versuchen ihr Gesicht von allen Krebszellen zu befreien. Dabei entfernen sie die Nase, das rechte Auge und die Augenhöhle, die Stirn und einen Teil der rechten Wange. «Mittlerweile weiss ich, dass man mein Auge vermutlich hätte retten können», sagt sie. «Auch Ärzte haben nicht immer recht.»
Wettkämpfe gemieden
Sie sitzt in ihrem Haus in Jonen, als sie das erzählt. Wenn man nichts von ihrem Schicksal wüsste, würde man ihr kaum etwas ansehen. Seit vergangenem Oktober trägt sie eine Epithese. Zuvor hat sie ihre rechte Gesichtshälfte allerdings jahrelang mit einem Stofftuch abgedeckt. Nach der Operation 2018 war der Krebs weg und sie ausser Lebensgefahr. «Irgendwie wurde ihr das Leben aber trotzdem genommen», sagt ihr Mann René. Denn mit der fehlenden Gesichtshälfte wird sie angestarrt, muss demütigende Blicke ertragen und beginnt sich zurückzuziehen.
Auch ihr geliebter Laufsport fällt dem zum Opfer. «Ich war früher ziemlich verbissen, hatte einen Trainingsplan, war sehr ehrgeizig. Für mich bin ich immer wieder laufen gegangen, aber Wettkämpfe habe ich gemieden. Ich wollte mir die Blicke der Menschen nicht antun. Abgesehen davon bin ich mir gar nicht sicher, ob ich vonseiten der Organisatoren so an Läufen hätte antreten dürfen.»
Anderen Menschen Mut machen
«Ihr grosser Vorteil ist, dass sie so eine Rebellin ist», ergänzt ihr Mann René. In der Tat gibt sich Susi Schildknecht-Gut in dieser Zeit nie auf. Die Ärzte stossen an ihre Grenzen, als es um die Rekonstruktion des Gesichts und die Herstellung einer Epithese geht. Allen entmutigenden Aussagen und Prognosen zum Trotz lässt sie sich nicht unterkriegen, sucht weiter, bis sie Ärzte findet, die ihr weiterhelfen können und eine Epithese herstellen, mit der sie den Alltag meistern kann. In der Zwischenzeit startet sie ihren Blog «Krebsgesicht», in dem sie von ihrem Schicksal erzählt und anderen Menschen Mut machen will. «Gebt nicht auf. Lasst euch auch von negativen Prognosen nicht unterkriegen. Holt euch weitere Meinungen ein. Kämpft und macht weiter, egal, wie eure Situation ist.»
Mit ihrem Start beim Reusslauf will sie ebenfalls Menschen inspirieren, nicht aufzugeben. Dass sie ihr Comeback beim Bremgarter Traditionsanlass gibt, ist kein Zufall. «Ich habe dort schon so oft teilgenommen. Es ist eine wunderschöne Strecke. Und die Organisatoren gehen auf einen als Teilnehmer ein. Es ist einer meiner liebsten Läufe.» Die Idee, dort wieder anzutreten, hatte aber ihr Mann René. «Ich gehe oft mit ihr trainieren und weiss, was ihr das Laufen gibt. Also habe ich ihr vorgeschlagen, sich wieder an einen Wettkampf zu wagen.» Susi Schildknecht-Gut betont, welcher Halt er ihr in all den Jahren war. Es ist ihr Anliegen, dass dieser Satz hier im Artikel steht: «Ich habe diese jahrelange Odyssee mit überforderten Ärzten nur dank meinem Mann überlebt. Er war immer für mich da.»
Bei ihrer letzten Teilnahme am Reusslauf im Jahr 2014 beendete sie den Lauf in einer Zeit von 57.38. 2013 waren es 57.18. «Das war damals», sagt sie. «Heute bin ich froh, wenn sie das Ziel nicht abgebaut haben, wenn ich dort bin. In erster Linie möchte ich den Lauf überstehen.» Ihr Ehemann schüttelt daneben lächelnd den Kopf, als würde er sagen wollen, dass ihr das ohnehin gelingt. Wer diesen Kampf gemeistert hat, den Susi Schildknecht-Gut in den letzten Jahren führen musste, muss keinen Reusslauf fürchten.