Zum 100. gibts Herdöpfelstock
19.09.2023 BremgartenDie älteste Bremgarterin wird 100
Johanna Margrith Knecht steht vor einem besonderen Geburtstag
Ein nicht alltägliches Jubiläum steht Bremgarten diese Woche ins Haus. Am Donnerstag wird die älteste Einwohnerin im Städtli ...
Die älteste Bremgarterin wird 100
Johanna Margrith Knecht steht vor einem besonderen Geburtstag
Ein nicht alltägliches Jubiläum steht Bremgarten diese Woche ins Haus. Am Donnerstag wird die älteste Einwohnerin im Städtli ein Jahrhundert alt.
Marco Huwyler
Wenn man es nicht wüsste, dann würde man es kaum vermuten, dass diese Dame, die einen mit verblüffend festem Händedruck begrüsst, tatsächlich schon zehn Dekaden auf der Welt ist.
Johanna Knecht feiert am 21. September ihren 100. Geburtstag. Doch von Altersgebrechen ist bei der Bremgarterin noch kaum etwas zu sehen. Noch immer kommt sie alleine im Leben zurecht und bewältigt die zahlreichen Treppen im Haus, das sie vor über 60 Jahren gemeinsam mit Mann Paul Knecht erwarb, ohne sichtbare Probleme. «Es ist ganz gut, dass ich einmal pro Tag richtig durchlüften muss und so von zuoberst bis zuunterst unterwegs bin», lächelt Johanna Knecht. «Das hält mich fit.»
Bewusstsein für das, was gut tut
Bewegung sei immer wichtiger Bestandteil in ihrem Leben gewesen, «aber nicht in Form von Sport», wie sie betont – schliesslich sei ihr der Fitnesswahn von manchen heutzutage zuwider. «Spaziergänge und Wanderungen in der Natur reichten mir all diese Jahrzehnte vollkommen aus.»
Neben der Betätigung an der frischen Luft dürfte auch die Ernährung eine gewissse Rolle in der Langlebigkeit Knechts gespielt haben. «Ich habe bereits zu einer Zeit, als das noch kaum jemand machte, unsere Familie grösstenteils vegetarisch ernährt.» Zwar gab und gibts auch heute noch ab und zu Fleisch bei den Knechts, aber nur selten und bei Weitem nicht immer. «Ich habe irgendwie immer gespürt, dass es das nicht braucht und es kaum gesund ist.» Die Mehrheit ihres Jahrhunderts verbrachte Johanna Knecht in Bremgarten. Vor fast 70 Jahren ist sie hierhergezogen. «Das Leben im Städtli ist hektischer geworden», sagt sie über ihre Wahlheimat. «Doch ich habe während all dieser Zeit sehr gerne in Bremgarten gewohnt. Und werde dies auch weiterhin gerne tun.»
Johanna Margrith Knecht, die älteste lebende Bremgarterin, feiert am Donnerstag ihr grosses Jubiläum
Auch im hohen Alter lebt Johanna Knecht immer noch selbstständig in ihrem Zuhause mitten in Bremgarten. Nun wird sie ein Jahrhundert alt. Und auch wenn ihr die Zahl nicht viel bedeutet – Anlass genug, um auf ein bewegtes Leben zurückzuschauen, ist sie allemal.
Marco Huwyler
Wenn es nach ihr ginge, dann wäre die Presse nicht eingeladen worden. Das macht Johanna Knecht schon zu Beginn des Gesprächs deutlich. «Natürlich nicht wegen Ihnen», meint Sie entschuldigend lächelnd. «Aber ich mag das Brimborium nicht. Ich bin eher introvertiert. Von mir aus müsste man das Ganze nirgends erwähnen. Es ist ja auch keine Leistung, älter zu werden.» Einen Besuch vom Stadtammann – wie bei solch hohen Geburtstagen normalerweise Usus – hat Knecht daher schon mal dankend abgelehnt. Für einen Zeitungsbericht liess sie sich halbherzig von ihren Söhnen überzeugen. «Aber schreiben Sie bloss nicht zu viel», mahnt sie.
Ein Wunsch, dem man nur schwerlich nachkommen kann. Schliesslich gilt es ein Jahrhundert Lebenserfahrung zu rekapitulieren. Auf das Wirken einer Frau zurückzuschauen, die während des Zweiten Weltkriegs jung war und ein Bremgarten kennt, als da noch Pferde in der Altstadt hausten. Und auf eine Frau, die gemeinsam mit ihrem Ehemann das Leben im Städtli mitprägte.
Tagebuch statt Zeitung
Geboren wurde Johanna Knecht am 21. September 1923 in Rieden bei Baden. Als eines von fünf Kindern und Tochter eines Bahnbeamten, der damals «Chef Güter-Expedition» in Baden war. Der damalige 40-minütige Schulweg an die Bezirksschule nach Baden wurde von Johanna jeweils viermal im Tag sportlich unter die Füsse genommen. Sie erlebte eine glückliche, unbeschwerte Kindheit, obwohl die Zwischenkriegszeit für viele Menschen keine leichte war. «Ich hatte herzensgute Eltern, die immer wunderbar für uns sorgten und uns ein weitgehend sorgenfreies Leben ermöglichten. Ich bin ihnen bis heute sehr dankbar», sagt Knecht. Selbst der Zweite Weltkrieg hat bei der jungen Frau keine prägenden Erinnerungen hinterlassen. «Damals war ich in einem Internat», erinnert sie sich. Ein Fernsehgerät gab es dort nicht. Und auch sonst kaum Gelegenheiten, sich über das Alltagsgeschehen zu informieren. «Als junge Frau hatte ich aber auch andere Dinge im Kopf, das gebe ich zu. Ich habe damals lieber Tagebuch geschrieben als Zeitung gelesen», sagt sie lächelnd. Beeinflusst hat das damalige Weltgeschehen Knechts Leben höchstens in einem bescheidenen Lebensstil. «Als der Krieg vorbei war, gab es eines Tages plötzlich Röschti zum Zmorge», sagt sie lachend. «Für uns damals ein ungeheuerlicher Luxus.»
Eine Lokalgrösse als Ehemann
Berufsbedingt hat Johanna Knecht später als Krankenschwester und Praxisassistentin in den grossen Städten der Schweiz gelebt. In Basel, Zürich und Luzern. Sesshaft geworden ist sie dann aber in Bremgarten. Und wie so oft, war es auch bei ihr die Liebe, die schlussendlich über derlei entschied. Denn Johanna lernte Paul Knecht kennen, einen Lehrer aus Unterlunkhofen. Wenig später zügelte dieser nach Bremgarten, weil dort eine Primarlehrerstelle frei wurde. Und sollte dort auch zeitlebens sesshaft bleiben. Paul Knecht war jahrzehntelang eine lokale Grösse im Städtli. Jemand, den man kannte und der mit seinem Wirken Spuren hinterliess. Als VHS-Präsident etwa, als Präsident der Neujahrsblätter oder als langjähriger Rektor – und vielerlei mehr. An seiner Seite war stets Johanna, die ihm 1955 nach Bremgarten folgte. Gemeinsam erwarben sie ein Haus unweit des Bahnhofs. «Der damals erst ein Gleis hatte, aussah wie ein Holzschuppen und dort stand, wo jetzt die alte Post ist», wie sich Knecht erinnert.
Eine gute Mutter sein
Schon bald nach Heirat und Zusammenzug hatten die Knechts Kinder. Vier an der Zahl. Die Zwillinge Stephan und Lorenz (JG 1957), Christoph (JG 1958) und Nesthäkchen Francesca (JG 1963). «Mir war es wichtig, eine gute Mutter zu sein und meine Kinder richtig grosszuziehen», sagt Johanna Knecht. Deshalb besuchte sie einmal pro Woche die Elternschule in Zürich. Die ältesten Kinder durften sie dabei begleiten. «Das war für die Kleinen ein riesiges Erlebnis. Allein die Zugfahrten. Und dann die Grossstadt.» Während Johanna in der Schule war, lernten die Zwillinge Zürich kennen. «Die beiden haben die Zahl der Querstrassen gezählt, die sie passierten, damit sie mich später wiederfanden», erinnert sich Knecht lachend.
Rollmöpse in der Altstadt
Die Familienzeit in den 60er- und 70er-Jahren war eine blühende und erfüllende Zeit für die Knechts. «Auch weil wir das Glück hatten, uns ein Au-pair leisten zu können – das hat vieles erleichtert.» Gemeinsam war die Familie oft unterwegs. In Italien, im Tessin und natürlich auch in Bremgarten. «In einer Altstadt, die damals noch komplett anders war.» Bäcker, Handwerker, Beizen, Kino, Krämerläden – das Städtli pulsierte und der Rundgang durch die Gässli war nicht selten ein Erlebnis. «In der Rechengasse hatte es ein Pferd, das immer zum Fenster rausschaute. Das habe ich jeweils gestreichelt», lacht Johanna.
In Bremgarten fühlten sich die Knechts immer wohl. «Weil man in einer Idylle lebt und trotzdem alles findet, was man braucht», wie Johanna sagt. Sogar Rollmöpse. «Ich esse sowas ja nicht – aber wir hatten eines Tages Gäste aus dem Friesland», schmunzelt sie. Und im damaligen Comestibles neben dem Hotel Sonne seien die Deutschen tatsächlich fündig geworden. Eine von zahlreichen Bremgarter Anekdoten, an die sich Johanna Knecht gerne erinnert.
Grosse Liebe zu Italien
Sie und ihr Mann blieben auch nach dem Auszug der Kinder aktiv und unternehmungslustig. Das Tessin und Italien waren lange Jahre neben Bremgarten eine zweite Heimat. Die Italianità hatte es den beiden so angetan, dass sie mindestens einmal pro Jahr in den Süden pilgerten. Im Verzascatal machte die Familie aus einem Geissenstall ein Rustico mitten im Nirgendwo. Und in den schönsten Städten Italiens bewegten sie sich wie Einheimische. «In Rom hat mir einmal eine Bekannte gesagt, ich sei ‹una vera Romana› – eine richtige Römerin – das war ein schönes Kompliment und zeigte exemplarisch, welchen Stellenwert Italien für uns hatte», erzählt Johanna Knecht.
Heute noch zieren zahlreiche Bilder von Impressionen aus solchen Reisen die Wände des Hauses der Knechts. Gemalt von Paul Knecht, dessen grosses Hobby die Malerei bis ins hohe Alter war. Am 18. Juli ist dieser 95-jährig gestorben. Bis zuletzt umsorgt von seiner Frau, die ihn bis ins hohe Alter zu Hause betreute. Von Demenz gezeichnet verbrachte er die letzte Zeit dann im Reusspark. «Es war schwer, dabei zuzusehen, wie er über die Jahre hinweg im Kopf sukzessive abbaute», sagt Johanna. «Der Tod war letztlich auch eine Erlösung.»
Geholfen, damit umzugehen, hat ihr auch ihr Glaube. «Ich bin in einem katholisch geprägten Umfeld gross geworden, das mich zeitlebens geprägt hat und mir Werte vermittelte, die ich auch versuchte meinen Kindern mitzugeben. Denn der Glaube gibt mir bis heute Mut, Kraft und Zuversicht im täglichen Leben.»
Eintauchen in andere Welten
Ein Leben, das Johanna Knecht auch mit 100 Jahren noch geniessen kann, auch wenn manche Dinge nicht mehr so einfach von der Hand gehen wie früher. Die Sicht und das Gehör sind eingeschränkt, genauso wie die Mobilität. Doch dank E-Reader kann die bald 100-Jährige weiterhin lesen und in andere Welten eintauchen. «Zeitlebens waren Bücher eines meiner liebsten Hobbys», wie sie lächelnd sagt. Vor allem literarische Klassiker, aber auch Theologie- und Sachbücher haben es ihr angetan. Gemeinsam mit Tochter Francesca, welche die Liebe zum Süden von der Mutter geerbt hat und im Tessin lebt, sucht sie einmal pro Woche am Telefon neue, interessante Bücher als Lektüre aus. Gerne lässt sie sich auch vorlesen. Etwa von den Söhnen, die sie jeweils am Sonntag zum Essen trifft. «Sie kochen dann für mich – entweder bei mir oder bei ihnen.»
«Ja nicht zu viele Leute»
Diese Woche allerdings wird zur Feier eines Jahrhunderts Johanna in ihrem Lieblingsrestaurant speisen. Was es gibt, weiss die Jubilarin noch nicht genau. «Aber sicher etwas mit Herdöpfelstock. Das ist mein Lieblingsessen», sagt sie. Die Feier findet im kleinen Kreis mit der Familie statt. «Ja nicht zu viele Leute», solle es haben. Typisch Johanna Knecht eben und so, dass es ihr nicht zu viel wird.
Der Text zur Würdigung ihres 100. dagegen mag für die Jubilarin etwas zu lang geworden sein. Aber viel weniger würde Johanna Knecht auch nicht gerecht. Denn 100 zu werden, hat zwar mit Glück und Genen zu tun – und doch ist es auch eine Leistung, all die Jahre gut auf sich achtgegeben zu haben. Vor allem, wenn einen die Lebenszeit erfüllt hat und man Spuren hinterliess, wie es die älteste Bremgarterin getan hat – und weiterhin tun wird.