«Wir sind hungrig»
30.06.2023 BoswilBoswil: Seit einem Jahrzehnt gibt Dirigentin Anne-Cécile Gross im Jugendorchester Freiamt den Takt an
Sie lebt für die Jugend: Vor 10 Jahren hat Anne-Cécile Gross im Jugendorchester Freiamt ihre Berufung gefunden. Zu diesem persönlichen Jahrestag kommt ...
Boswil: Seit einem Jahrzehnt gibt Dirigentin Anne-Cécile Gross im Jugendorchester Freiamt den Takt an
Sie lebt für die Jugend: Vor 10 Jahren hat Anne-Cécile Gross im Jugendorchester Freiamt ihre Berufung gefunden. Zu diesem persönlichen Jahrestag kommt heuer noch der ganz grosse Auftritt dazu: Zur Eröffnung des 70-Jahr-Jubiläums des Künstlerhauses spielt das Jugendorchester ein Gesamtkunstwerk, das von Monteverdis Oper «Orfeo» inspiriert ist.
Celeste Blanc
Enthusiasmus, Freude, und vor allem ganz viel Kreativität – wenn Anne-Cécile Gross über ihre Arbeit mit dem Jugendorchester Freiamt (JOF-Strings) spricht, sind ihrer Begeisterung förmlich keine Grenzen gesetzt. Ihre Positivität ist ansteckend. «Wie eine Flamme», zieht Gross mit einem Augenzwinkern den Vergleich.
Es ist die Flamme, die nach zehn Jahren immer noch lodert. Es ist die Passion für das Künstlerhaus, die Region, vor allem aber für «ihr» Jugendorchester. «Die Arbeit füllt mich vollkommen aus. Und das obwohl ich im 2013 eigentlich ganz andere Pläne hatte.»
Von Pittsburgh nach Boswil
Damals wollte Anne-Cécile Gross eigentlich ein Sinfonieorchester leiten. So führte sie dieser Wunsch vor 10 Jahren schon einmal nach Boswil, wo sie sich für die vakante Stelle als Dirigentin beim Jugend-Sinfonieorchester Aargau bewerben wollte. «Der damalige Geschäftsleiter Michael Schneider meinte jedoch, dass er jemand wie mich aber für das Jugendorchester bräuchte», erinnert sie sich. Gross Pläne änderten sich, kurzfristig ging sie nach Pittsburgh (USA), wo sie als Assistenzdirigentin an der Musikhochschule unterrichten durfte. Was für einen Dirigenten eigentlich ein Traumjob wäre, entpuppte sich für Gross als das Gegenteil. Sie wurde in den USA nicht glücklich: «Die Arbeit liess keine Kreativität zu. Stattdessen arbeitete ich immer wieder mit neuen Orchestern, die meist schon vorgegebene Projekte hatten.»
Beinahe «wie Akkordarbeit» habe sich das angefühlt. Und darin sah die Dirigentin schliesslich nicht ihre Zukunft. Zu wichtig ist ihr die Kreativität. «Ohne sie geht nichts. Sie ist das, was die Kunst einzigartig macht.»
Während ihrer Zeit in Pittsburgh stand die Musikerin gelegentlich noch mit Schneiders Tochter in Kontakt, der sie Cellounterricht gab. «Kaum hatte ich ihr verraten, dass ich meine Zukunft nicht in den USA sehe, bekam ich eine Stunde später das Mail von ihrem Vater mit dem Angebot für die JOF-Dirigentenstelle», lacht Gross. Ein weiteres Mal führte sie der Weg nach Boswil. Und diesmal definitiv. Für sie war es die beste Entscheidung gewesen. Gross lacht: «Nun möchte ich nicht mehr weg.»
Horizont erweitern
Anne-Cécile Gross weiss, wie man begeistert. Ihre sympathische Art und ihre Offenherzigkeit sind ansteckend. So vieles gefällt ihr an der Arbeit im Künstlerhaus mit den jungen Musikerinnen und Musikern.
«Sie sind motiviert, sie sind wissbegierig. Und das Wichtigste: Wir sind hungrig nach Musik.» Dass sie bei ihrer Arbeit zusätzlich kreativ sein, eigene Projekte auf die Beinen stellen und die Jungmusiker in die vielfältige Welt der Musik eintauchen lassen kann, gefällt ihr besonders an der Arbeit. Für sie sei Musik eine Lebenseinstellung, eine Art, zuzuhören und die Seele in Schwingungen zu versetzen. Deshalb hat sie vor allem ein Anliegen: Den künstlerischen Horizont der jungen Musizierenden zu erweitern. «Die Jugend soll den Reichtum der Musik erfahren. Nur so können sie herausfinden, in welche Richtung sie später gehen wollen.»
Spezielles Projekt fürs Jubiläum
Auf zahlreiche Projekte kann Anne-Cécile Gross mit ihrem Orchester zurückblicken. Highlights gibt es viele. So auch morgen Samstag. Dann nämlich hat das Jugendorchester seinen grossen Auftritt und eröffnet mit «Love I: Orfeo 2023» das Jubiläumsprogramm zu «70 Jahre Künstlerhaus». Dafür tauchte das Ensemble in einen neuen Aspekt der Musik ein. So werden die Instrumentalstücke von Orfeo mit der Ästhetik der damaligen Zeit gespielt. In Zusammenarbeit mit der Geigerin Claire Foltzer übte sich das Orchester in der historischen Aufführungspraxis. «Die ursprüngliche Musik wird dabei auf modernen Instrumenten neu vertont», erklärt die Dirigentin.
Hinzu kommt, dass das 25-köpfige Orchester nicht nur musizieren, sondern auch schauspielern wird. «Es ist eine wunderbare Mischung aus Musik und szenischen Elementen. Durch diese Inszenierung kann man in eines der schönsten Stücke der Musikgeschichte eintauchen», freut sich Gross. Das szenische Stück eignet sich für alle, auch jene, die nicht so oft in der alten Kirche zu Gast sind.
Jugend bildet den Grundstein
Seit Februar übt das Jugendorchester fleissig an «Orfeo 2023». Und dass sie das Jubiläum eröffnen dürfen, ist für die Dirigentin eine ganz grosse Ehre. «Wir sind alle sehr aufgeregt und freuen uns sehr, den Auftakt zu geben», erzählt sie.
Und doch war es kein Zufall, dass der Nachwuchs das Festival eröffnet – vielmehr ist es als Zeichen für dessen Wichtigkeit für das Künstlerhaus zu lesen. «Wir wollen mit diesem Auftritt ein Signal geben, dass es keine Festlichkeiten geben kann ohne den Nachwuchs», so Gross. Denn wenn man auf die Vergangenheit schaue, müsse man gleichzeitig auch in die Zukunft blicken. «Die Jugend bildet den Grundstein für das Bestehen. Somit gebührt der Jugend auch der prominente Auftritt am Jubiläumsprogramm.»

