«Wir haben viel gewonnen»
30.12.2025 Bremgarten, Kultur«Verändert 2025»: Für das autonome Kulturzentrum Bremgarten (Kuzeb) geht ein ganz besonderes Jahr zu Ende
Von Besetzern zu Besitzern – der Verein Kuzeb hat 2025 nach einer beispiellosen Kampagne seine über drei Jahrzehnte genutzte ...
«Verändert 2025»: Für das autonome Kulturzentrum Bremgarten (Kuzeb) geht ein ganz besonderes Jahr zu Ende
Von Besetzern zu Besitzern – der Verein Kuzeb hat 2025 nach einer beispiellosen Kampagne seine über drei Jahrzehnte genutzte Liegenschaft für eine Millionensumme erworben. «Kuzeb bleibt» sorgte international für Schlagzeilen – und für nachhaltige Veränderungen in einer besonderen Bremgarter Szene.
Marco Huwyler
Nach der grossen Party Ende September wurde es wieder ruhig um das markante Gebäude am Bremgarter Ortseingang und dessen Nutzer. Der monatelange Rummel, die Aktionen, Berichte und öffentliche Aufmerksamkeit ebbten langsam ab. «Es ist wieder so etwas wie Alltag eingekehrt», lächelt Vereinsmitglied Tobias Estermann. Zeit zum Durchschnaufen – aber auch, um alte, liebgewonnene Gewohnheiten und Aktivitäten wieder aufleben zu lassen. «Die Kampagne hat alle Involvierten viel Energie gekostet», sagt Estermann. «So blieb weniger Zeit für anderes.» Nun aber ist das reichhaltige Monatsprogramm mit Leserunden, Kinoabenden, Partys, anarchistischen Stammtischen, Theaterprogrammen und vielem mehr wieder in vollem Gange. Während intern im Hintergrund Schwung geholt wird für Neues. «Es sind viele Ideen da», sagt Estermann. Wobei man auch die grundsätzliche Stossrichtung festlegen möchte nach den Veränderungen 2025. «Da nehmen wir uns die nötige Zeit für Reflexion.» Schliesslich ist ganz viel passiert rund um das autonome Bremgarter Kulturzentrum im abgelaufenen Jahr.
Der Schock
Es war irgendwann im Herbst des vergangenen Jahres, als die Kuzebler unvermittelt eine Schocknachricht ereilte. Die Besitzerfamilie Meyer plante nach Jahrzehnten der Duldung des Vereins Kuzeb und der alternativen Nutzung ihres ehemaligen Kleiderfabrik-Gebäudekomplexes am Bremgarter Ortseingang den Verkauf der Liegenschaft – für eine Millionensumme. «Der erste Reflex war bei vielen von uns – das wars wohl», erinnert sich Estermann. Wobei die Resignation dann relativ schnell in Kampfgeist und Engagement umschwang. «Wir begannen die Situation anzunehmen und nach Lösungen zu suchen.» Und eines der zahlreichen Gespräche mit Sympathisanten, Internen und Externen entpuppte sich schliesslich als Gamechanger.
Der Grossspender
Jemand aus dem vereinsnahen Umfeld hatte signalisiert, dass er unter Umständen bereit dazu wäre, dem Verein Kuzeb bei der Rettung seiner Liegenschaft finanziell kräftig unter die Arme zu greifen. «Das war natürlich ein Wow-Moment», sagt Estermann. Umso mehr, als sich das Ausmass dieser Unterstützung abzuzeichnen begann – der anonyme Spender war bereit, einen Löwenanteil der möglichen Kaufsumme zu übernehmen. «So konnten wir die ungewisse Zukunft plötzlich als grosse Chance sehen», sagt Estermann. Von Anfang an war aber klar, dass es mit der Grossspende allein noch nicht getan war. «Voraussetzung der finanziellen Unterstützung waren Engagement und Beteiligung von allen und dass das Kuzebkollektiv sich selbst signifikant an der Rettung beteiligt», erklärt Estermann. Vor diesem Hintergrund gelang es schnell, viel Energie aufzubauen und die ganze Kreativität der unterschiedlichen Kuzebler in den Prozess der gemeinsamen Sache einzubringen.
Die Kampagne
Im Frühjahr wurde so die Kampagne «Kuzeb bleibt» ins Leben gerufen. Der Verein ging an die Öffentlichkeit und gab sich kämpferisch. Mittels Spendeaktionen, Merchandise, Anlässen und vielem mehr sollte es gelingen, die zum Kauf der Liegenschaft notwendige Summe aufzubringen. Enthusiasmus und Engagement der Kampagne waren von Anfang an riesig. Und doch gab es allem Optimismus zum Trotz Unsicherheiten und Unabwägbares. Mit der Besitzerfamilie mussten Verhandlungen geführt werden. Dabei galt es unter anderem den Kaufpreis zu definieren und etwaige Nebenbuhler auszustechen. Im Unklaren war man sich zu jener Zeit auch noch betreffend Höhe der Summe, welche der Verein selbst generieren musste. «Der Kampagnenstart mit der Kommunikation gegen aussen war dennoch ein wichtiger Meilenstein», sagt Estermann. Zumal «Kuzeb bleibt» rasch zu fliegen begann. In wenigen Wochen hatte man die ersten 100 000 Franken zusammen. Die Spendensumme wuchs stetig. «Das sorgte vereinsintern für viel Grundvertrauen und Zuversicht, die wiederum für Energie und Elan sorgten», sagt Estermann.
Der Durchbruch
Fast noch wichtiger als der Kampagnenstart war für Estermann rückblickend aber die Einigung mit der Besitzerfamilie Meyer über den Kaufpreis und die damit verbundene Absichtserklärung zum Zuschlag. «Danach hatten wir Gewissheit und konnten auch die Höhe der Summe, welche die Kampagne generieren sollte, fixieren», erklärt Estermann. Eine halbe Million Franken. Ende Mai wurde ein Spendenbarometer aufgeschaltet. «Es war ein grosser Stein, der uns damals vom Herzen fiel – denn nun wussten wir, wenn wir diese Summe generieren, dann klappt es mit dem Kauf.» Auch für die Spendenbereitschaft der Öffentlichkeit war jener Moment nochmals ein grosser Boost. «Deshalb war bald einmal klar – wir werden es schaffen.» Und so war die Frage von nun an eher wann als ob.
Das Ziel
Deshalb war es keine grosse Überraschung mehr, als die magische Schwelle von 500 000 Franken Anfang August, fast zwei Monate vor Ende der Deadline, übertroffen wurde. Ein Moment um zu feiern und das Geschaffte zu würdigen aber allemal. Bereits einige Tage zuvor war der Kaufvertrag unterzeichnet worden. 3,75 Millionen sollte die ehemalige Kleiderfabrik am Ende kosten. 522 365 Franken davon generierte letztlich die Kampagne «Kuzeb bleibt», den Rest übernimmt der Grossspender. Die Geschichte des Kuzeb, welche 1990 mit einer Hausbesetzung begann, mündet so im Hauskauf durch die jahrzehntelangen Nutzer des antikapitalistischen, autonomen Kulturzentrums. Ein Spagat der Ideologie wegen natürlich. Aber einer, der gelingen soll. Zu Ehren der erfolgreichen Kampagne wurde Ende September mit der Bremgarter Öffentlichkeit «Kuzeb für immer» gefeiert. Ein Anlass, an dem nochmals deutlich wurde, welch breite Unterstützung der ehemals suspekte Verein heute in der Region geniesst.
Im Fokus
Bereits die Monate zuvor hatten gezeigt, dass jene, die das Kuzeb nach wie vor abschätzig als «Schandfleck Bremgartens» bezeichnen, heute deutlich in der Minderheit sind. Vielmehr genoss die Geschichte von autonomen Freigeistern, welche mit Hilfe eines Weissen Ritters und viel Herzblut erfolgreich eine Millionensumme zur Sicherung ihrer Existenz aufbringen, weitum Sympathien und faszinierte die Medien. Ob Ringier, Tamedia oder SRF – sämtliche grossen Medienhäuser des Landes berichten ausführlich darüber. Und selbst in Deutschland sorgt die Bremgarter Geschichte für Schlagzeilen. «Für uns waren das nur Nebeneffekte, die wir dank klarer interner, kommunikativer Abstimmung gut handlen konnten», sagt Estermann. Letztlich seien die Medien hilfreich gewesen, um die Kampagne bekannt zu machen. Zumal die Berichterstattung in weiten Teilen sehr wohlwollend gewesen sei. «Wobei wir auch keinerlei Anlass geboten haben, negativ zu schreiben – und dies eh schon ganz lange nicht mehr tun.»
Für die Kuzeb-Mitglieder war die positive Beachtung schön – zumal sie auch unverhofft stattfand. «Ich wurde ganz oft privat darauf angesprochen, selbst an Orten und bei Gelegenheiten, wo ich sie nie erwartet hätte», erzählt Estermann. Für ihn sei es überraschend gewesen, wie viele Menschen das Kuzeb kennen und zum Teil emotional mit ihm verknüpft sind, «obwohl man sie bei uns im Alltag nicht antrifft».
Neuer Schwung
So sind die Betreiber nicht nur neu Besitzer, sondern nach einem turbulenten Jahr 2025 auch reich an neuen Erfahrungen und bestärkenden Umständen. Vieles wirkt nachhaltig positiv nach. «Beispielsweise konnten wir durch die Kampagne unsere schweizweite Vernetzungen mit Gleichgesinnten stärken», erzählt Estermann. Zudem habe man viele neuen Leute gewonnen. «Während der Kampagne haben sich zahlreiche Menschen erkundigt, wie man denn bei uns mitmachen und mithelfen kann.» Das bringe frischen Wind, neue Ideen und neue Themen in das Kuzeb. «Und wenn sich jemand mit gutem Willen und Engagement einbringen möchte, sind wir immer offen dafür», sagt das langjährige Mitglied.
Langfristige Effekte
Zumal man helfende Hände gebrauchen kann. Das Dasein als Neo-Hausbesitzer bedingt einen gewissen administrativen Mehraufwand. Aber vor allem auch grosse Chancen für nachhaltige Projekte und Veränderungen. «Vieles davon wollen wir ab 2026 anpacken», sagt Estermann. Beispielsweise wollen die Dächer bald saniert werden. «Wobei das diesmal über das notdürftige Flicken hinausgehen könnte.» Der Kauf eröffnet langfristige Perspektiven. Und so wird man vom Kuzeb auch in Zukunft noch einiges hören. «Wir haben viel gewonnen im letzten Jahr. Nun gilt es die Positivität und den Schwung zu nutzen», sagt Estermann. Damit das Nachdenken über alternative Lebensentwürfe und Kreativität fernab vom Kommerz in Bremgarten weiterhin einen besonderen Stellenwert einnehmen kann. An altbewährt prominenter Lage – dies ist dank der Kuzeb-2025-Geschichte langfristig sichergestellt.

