Untergang in Oberriet
21.11.2023 Ringen, SportRingen, Nationalliga A, Halbfinal, Hinkampf: RS Kriessern – RS Freiamt 21:14 (14:5)
Die Freiämter Ringer erwischen auswärts in der Ostschweiz einen rabenschwarzen Abend. Durch die Niederlage mit sieben Punkten Differenz ist eine Finalteilnahme für die ...
Ringen, Nationalliga A, Halbfinal, Hinkampf: RS Kriessern – RS Freiamt 21:14 (14:5)
Die Freiämter Ringer erwischen auswärts in der Ostschweiz einen rabenschwarzen Abend. Durch die Niederlage mit sieben Punkten Differenz ist eine Finalteilnahme für die RS Freiamt in weite Ferne gerückt.
Josip Lasic
Die Szene ist bezeichnend für den Abend der RS Freiamt. Kurz vor dem Ende des Kampfes zwischen Ramon Betschart und dem Freiämter Roman Zurf luh gibt es einen Unterbruch. Zurfluh soll seinem Gegner ins Gesicht gegriffen haben. Da er bereits zwei Verwarnungen wegen Passivität erhalten hat, wird der Freiämter disqualifiziert. 0:4. Alles, was in diesem Halbfinal für die RS Freiamt schiefgehen kann, geht auch schief. Zuvor geht River Perlungher gegen Sandro Hungerbühler mit 0:18 und damit ebenfalls einem 0:4 von der Matte. Flurin Meier erleidet danach das gleiche Schicksal – Technische Unterlegenheit gegen Dimitar Sandov. 0:4. Der Fehlstart der Freiämter ist perfekt. «Wir wussten, dass der Beginn schwierig wird, und sind davon ausgegangen, dass wir nach den ersten drei Kämpfen hinten liegen würden», sagt RS-Freiamt-Trainer Michael Bucher. «Aber dass es gleich 0:12 steht, haben wir nicht erwartet.»
Vielleicht wäre der Halbfinal anders verlaufen, wenn Zurfluhs Kampf nicht mit einer Disqualifikation geendet hätte. Der Freiämter lag mit 2:13 zurück. Hätte er dieses Resultat über die Runden gebracht, wäre die Niederlage nach Mannschaftspunkten nur mit 1:3 ausgefallen. Für einen Moment hatte Zurf luh sogar die Chance auf einen Schultersieg gegen den Greco-Kader-Ringer. Erfahren wird man es nie. Aber nach dem 0:12-Rückstand aus den ersten drei Duellen sollte der Abend nicht mehr besser werden für die RS Freiamt.
Atmosphäre war halbfinalwürdig, die RS Freiamt nicht
Der Halbfinal-Hinkampf findet nicht in der Heimhalle der RS Kriessern statt, sondern beim Lokalrivalen Oberriet-Grabs. Die kleine Halle der Kriesserer war in den letzten Jahren bei den Finalkämpfen stets überfüllt. In der grösseren Halle in Oberriet wird dem Halbfinal zwischen zwei Titelfavoriten ein würdiger Rahmen gegeben. Dem Ambiente wird aber nur das Heimteam gerecht. Die RS Freiamt gewinnt wie der Gastgeber fünf der zehn Kämpfe, aber mit viel knapperen Ergebnissen. Nur wenige der Freiämter können überzeugen. Nino Leutert ist zu nennen, der gegen Kaderringer Dominik Laritz einen 2:1-Erfolg erzielt. Auch Marc Weber lässt beim 3:0 gegen Tobias Betschart nichts anbrennen. Und Teamcaptain Pascal Strebel betreibt mit einem Schultersieg gegen David Loher im letzten Kampf noch Schadensbegrenzung und bringt den Freiämtern zumindest ein wenig Hoffnung zurück. «Er hat es immerhin nicht mehr ganz so unrealistisch aussehen lassen, dass wir das im Rückkampf drehen können», so Bucher. Christian Zemp liegt mit seinem 2:1-Sieg gegen Fabio Dietsche eher unter den Erwartungen. Magomed Ayskhanov holt den fünften Freiämter Sieg. Nach seinem 3:1-Sieg gegen Jeremy Vollenweider schüttelt er unzufrieden den Kopf. Auch er hat sich mehr erhofft. «Es war von einigen zu wenig», resümiert der Trainer. Schon bei River Perlungher haben sich die Freiämter ein besseres Ergebnis als eine 0:4-Niederlage erhofft. Die 0:3-Niederlagen von Randy Vock gegen Marc Dietsche und Saya Brunner gegen Fritz Reber wären zumindest in dieser Höhe nicht zwingend gewesen. Zusammengefasst gibt es am Ende eine deutliche 14:21-Niederlage. «Ich dachte, wir wären bereit, wenn die wichtigen Kämpfe der Saison anstehen», sagt Bucher. Stattdessen ist das Etappenziel Finaleinzug nach dem ersten Halbfinalkampf in weiter Ferne.
Ratlosigkeit herrscht
Der Trainer weiss, dass nur wenig zusammengepasst hat bei der RS Freiamt. Woran es gelegen hat, kann er nicht festmachen. «Wir haben nicht gut gerungen und Kriessern war stark. Aber was die Gründe sind, ist mir auf den ersten Blick unklar.» Grosse Überraschungen gibt es in der Aufstellung der Ostschweizer jedenfalls nicht. Bucher hat ungefähr das erwartet, was den Freiämtern gegenüberstand. «Ich hatte auch einen Plan, aber der ist nicht aufgegangen.» Die Ratlosigkeit war auch den Ringern ins Gesicht geschrieben. Sie wurden von der Matte gefegt und wussten nicht, wie ihnen geschieht. «Vielleicht liegt es am Trainer», sagt Bucher mit etwas Galgenhumor.
Die Trainerfrage muss sich die RS Freiamt nicht stellen. Wohl aber, wie man die restliche Saison noch halbwegs in trockene Tücher bringen will. Der Sieben-Punkte-Rückstand gegen Kriessern ist fast uneinholbar. Mit einer Leistung wie in Oberriet sowieso. Die RS Freiamt stand gegen Kriessern völlig neben sich. Das darf sich nicht wiederholen, sonst wird es sogar mit der Bronzemedaille schwer.
«Sieg oder Sarg»
RS-Freiamt-Captain Pascal Strebel zum Halbfinal-Hinkampf
«Geh raus und ringe für dich. Es ist egal, was jetzt passiert.» So lautet die Anweisung von Trainer Michael Bucher an Teamcaptain Pascal Strebel. Vor seinem Duell gegen David Loher im Greco bis 75 kg will der Trainer dem Olympioniken keinen Druck machen. Die Niederlage der RS Freiamt ist besiegelt. Strebel geht raus und holt einen Schultersieg. Die mitgereisten Freiämter Fans jubeln danach trotz der Niederlage «Für mich war es natürlich einfacher, da ich keinen Druck mehr hatte.»
Der Olympiateilnehmer von 2012 beendet seine Karriere nach der Saison. Gegen Kriessern zeigt er, dass er für die Freiämter immer noch unverzichtbar ist. Was hat dem restlichen Team gefehlt, um den Sieg zu holen? «Vielleicht ein bisschen Arroganz, ein bisschen Lockerheit. Und ein wenig Glück. Es sind oft Nuancen, die den Unterschied ausmachen. Wird Roman nicht disqualifiziert, verliert er mit zwei Punkten Differenz und unser Rückstand vor dem Hinkampf beträgt nur fünf Zähler. Holt er den Schultersieg, gewinnen wir mit einem Punkt Unterschied. An einem anderen Tag oder mit einem anderen Kampfrichter geht das Duell vielleicht zu unseren Gunsten aus.»
Trotzdem stellt sich die Frage, wieso es dem Captain gelungen ist, seine Leistung abzurufen, und vielen anderen Mitgliedern der RS Freiamt nicht. «Es kann Zufall sein. Im Rückkampf in Muri habe vielleicht ich einen schlechten Tag.» Strebel betont jedoch, dass ihm das Ringen in seiner Abschlusssaison etwas leichter fällt. Seit seiner Olympiateilnahme 2012 stand er unter Druck, immer gewinnen zu müssen. «Niemand sieht, dass ich nicht mehr so intensiv trainiere wie damals. Die Leute sehen den Namen Pascal Strebel in der Startaufstellung und erwarten, dass ich gewinne. Das hat sich ins dieser Saison geändert. Wie jetzt gegen Kriessern ringe ich generell mehr für mich und mache das, was möglich ist.» Darin sieht er den möglichen Schlüssel, wie die RS Freiamt gegen Kriessern noch die Wende schaffen kann. «Jetzt haben wir nichts mehr zu verlieren. Jeder von uns kann Vollgas geben, um zu gewinnen. Sieg oder Sarg. Vielleicht gelingt es uns ja so, den Spiess noch umzudrehen.» Wenn das Lockerheit bringt und die anderen Freiämter so ähnliche Leistungen vollbringen können wie Strebel gegen Kriessern, ist es einen Versuch wert.
Betrachtet man die Resultate der letzten Jahre, scheint Pascal Strebel allerdings immer abliefern zu können. Egal, ob er Kämpfe locker angehen kann oder unter Druck steht. Der RS Freiamt wird er nach dieser Saison definitiv fehlen. --jl