Reusstal in Nigeria
05.01.2024 BremgartenHelfen in der Heimat
Der Zufall beziehungsweise die Pandemie wollte es, dass aus einer einwöchigen Stippvisite in seiner Heimat für den Bremgarter Pfarrer Uche Iheke wegen eines Corona-Lockdowns gleich drei Monate wurden. Was er in dieser Zeit im Dorf Akanu ...
Helfen in der Heimat
Der Zufall beziehungsweise die Pandemie wollte es, dass aus einer einwöchigen Stippvisite in seiner Heimat für den Bremgarter Pfarrer Uche Iheke wegen eines Corona-Lockdowns gleich drei Monate wurden. Was er in dieser Zeit im Dorf Akanu erlebte und sah, schockierte den 52-Jährigen. Immer wieder kam es zu ernsten Krankheiten und Todesfällen. Schicksalsschläge, die sich die Menschen eben mit Schicksal erklärten. Für den Bremgarter Pfarrer war indes schnell klar, dass es unter anderem am verunreinigten Wasser liegt, das die Menschen dort mangels Alternativen konsumierten. Uche Iheke beschloss, etwas dagegen zu unternehmen. Mittlerweile engagiert er sich gemeinsam mit der Bremgarter Mitstreiterin Lisbet Lang seit vier Jahren und hat einiges erreicht. Nun steht ein nächstes Projekt an. --huy
Wie der Bremgarter Pfarrer Uche Iheke Hunderten Menschen in Afrika zu einem besseren Leben verhilft
In diesen Tagen hat er sich wieder aufgemacht. Uche Iheke besucht sein Heimatdorf Akanu. Seine Vision: die Erschaffung des «Reusstalzentrums» inmitten des bettelarmen nigerianischen Dorfes. Damit möchte der Bremgarter Pfarrer die prekäre Lebenssituation von möglichst vielen Menschen verbessern.
Marco Huwyler
Uche Iheke hat mal wieder einiges zu tragen. Vollbepackt nimmt er die weite Reise nach Afrika in Angriff. «Die Kinder freuen sich darauf, dass Pater Uche Schokolade mitbringt. Da will ich sie nicht enttäuschen», lacht der 52-Jährige. Wie so oft in letzter Zeit besucht Uche zu Beginn des neuen Jahres das Dorf im Herzen Nigerias, wo er geboren wurde und aufgewachsen ist. «Ich freue mich auf die Begegnungen mit den Menschen. Die Herzlichkeit, das Lachen und die aufrichtige Freude, die ich dort jedes Mal erfahre, erwärmen das Herz», sagt er.
Es ist lange her, dass Uche Iheke selbst einer von jenen Buben war, die hier in einfachsten Verhältnissen aufwachsen und nicht selten von der Hand in den Mund leben. Uche hatte grosses Glück. Sein Vater war Lehrer. Einer jener wenigen Menschen, die lesen und schreiben konnten. Das brachte er auch seinen Kindern bei. Um eine weiterführende Ausbildung zu erhalten, konvertierte Uche, der Älteste von vieren, zum katholischen Glauben. So erhielt er ein Stipendium an einer kirchlichen Schule, wo er zum Priester ausgebildet wurde. Als solcher wurde er schliesslich vom Ordensoberen in die grosse, weite Welt abbestellt. Erste Station war Kanada. Dann folgte Deutschland. Anschliessend war Uche jahrelang als Seelsorger in der US-Army tätig. Hat auf allen Kontinenten gepredigt. Vielfach in Kriegsgebieten. Doch die Wege des Herrn führten ihn schlussendlich nach Bremgarten. Vor bald fünf Jahren wurde er hierhergeschickt.
Aus einer Woche wurden drei Monate
«Wir haben ihn sofort ins Herz geschlossen», lächelt Lisbet Lang. Die 83-Jährige ist seit 40 Jahren in der Bremgarter Kirche als Lektorin tätig. Sie erinnert sich, wie Uche damals ankam, nur wenige Minuten vor seinem ersten Gottesdienst. «Er hat diesen trotzdem tadellos gemeistert», lacht sie. Uches fröhliche Art, die Wärme, die er ausstrahlt, und sein Humor haben den Pfarreiraum seither geprägt. «Uche ist eine grosse Bereicherung», sagt Lang.
Vor vier Jahren allerdings, mitten in der Pandemiezeit, überdeckte plötzlich ein dunkler Schatten die lebensfrohe Art des Priesters. Schlaflose Nächte trieben ihn um, als er 2020 von einer Reise zurückkehrte. Uche Iheke hatte die freie Zeit während Corona für einen Abstecher in seine ehemalige Heimat genutzt und besuchte zum ersten Mal seit Langem wieder das Dorf, wo er aufgewachsen war. Eine Woche plante er in Akanu zu bleiben. Doch just als der Bremgarter Pfarrer dort eingetroffen war, ereilte das Land einen pandemiebedingten Lockdown. Die Ausreise war nicht mehr möglich. Und so wurden aus einer Woche schliesslich drei ganze Monate. Eine Zeit, die Uche massgeblich prägen sollte.
Der Tod auf der Tagesordnung
Eigentlich hatte er die Verhältnisse in Akanu ja gekannt – schliesslich stammte er ja von hier. «Doch die Erinnerungen waren nicht so schlimm. Vermutlich, weil ich damals als Heranwachsender ja schlicht nichts anderes kannte», sagt der 52-Jährige. Nun, nach Jahren in der «ersten Welt», sah er die Zustände in Akanu indes mit anderen Augen. Nun, wo er wieder unter ihnen lebte, wurde Uche mit jedem zusätzlichen Tag klarer, wie prekär die Verhältnisse für die Menschen in Akanu eigentlich sind. Was man in kurzer Zeit vielleicht nicht wahrnimmt, weil die Einwohner trotz allem von ungemein viel Fröhlichkeit und Kreativität beseelt sind, begann mit den Wochen für Uche seine ganzen Auswirkungen zu zeigen. Er erlebte, wie wenig Beschäftigungsmöglichkeiten die Leute haben. Kinder insbesondere. Wie klein die Chancen eigentlich sind, hier herauszukommen. Wie wenig zu essen es für all diese Leute gibt. Wie wenig sie sich leisten können. Und vor allem auch: was diese Menschen hier tranken. «Es gab nur einen Bach – und der war völlig verschmutzt», erzählt Uche. «Ich wäre gestorben, hätte ich davon getrunken», ist er überzeugt. Auch wenn die Menschen in Akanu solcherlei anscheinend besser ertragen als die verwöhnten Magen in unseren Breitengraden – ohne Auswirkungen bleibt der Konsum auch in Nigeria kaum. «Es sterben immer wieder Leute. Das ist Alltag in Akanu», berichtet Uche traurig. Mehr als einmal ist es während der drei Monate, die er in seinem Heimatdorf verweilte, vorgekommen, dass jemand, der erst noch quicklebendig war, vom einen Tag auf den anderen nicht mehr unter den Menschen weilte. Oftmals sind es auch ganz junge Menschen und Kinder, die plötzlich sterben. «Die Todesursachen werden kaum je abgeklärt. Man nimmt es als Teil des Lebens hin. Als Schicksal.» Für Uche Iheke, der es besser wusste, war das nur schwer zu ertragen. «Es hat mich geplagt, beschäftigt, umgetrieben. Ich konnte dieses Elend nicht einfach akzeptieren.»
Vergebens 400 Meter tief gebohrt
Als es die Pandemie dann wieder zuliess und der Bremgarter Pfarrer zurück in der Schweiz war, da brachte er eine geballte Portion Entschlossenheit mit. Die Lebenssituation in Akanu musste sich ändern. Dafür wollte sich Uche einsetzen. Mit einem Brunnen für sauberes Wasser wollte er beginnen. Uche erzählte dem Team des Pastoralraums vom Erlebten und von seiner Absicht. Er bat, auf alle nicht unbedingt nötigen Ausgaben zu verzichten und stattdessen für die Menschen in Akanu zu sparen – wie er es auch selbst tun würde.
Lisbet Lang berührten die Schilderungen und Bemühungen ihres Priesters. Doch sie wusste auch: Alleine würde er nicht weit kommen. «Ich sagte ihm, dass wir dies professioneller aufziehen und koordinieren müssen. Und dass wir dafür auch auf breitere finanzielle Unterstützung angewiesen sind.» Sie sollte recht behalten. Eine erste von Uche Iheke initiierte Bohrung in Akanu ergab, dass auch in einer Tiefe von 400 Metern noch kein Grundwasser im Dorf zu finden war. Der Bau eines Brunnens, der für vergleichsweise wenig Geld sauberes Wasser zutage gefördert hätte, war damit vom Tisch. Doch der Bremgarter Pfarrer wollte nicht aufgeben. Und wurde deshalb empfänglich für die Idee externer finanzieller Unterstützung. «Uche wollte dies zuerst nicht. Er wollte kein Bettler sein. Da war er zu Beginn vehement dagegen», sagt Lisbet Lang. Weil der Traum sauberes Wasser für die Menschen in Akanu aber nicht anders möglich war, liess er sich von ihr überzeugen.
Wasser trinkbar machen
Die 83-Jährige kontaktierte zahlreiche Menschen aus ihrem grossen Netzwerk, das sie sich über jahrzehntelange Aktivitäten und Begegnungen aufgebaut hatte. Persönlich schrieb sie Hunderte Bettelbriefe an potenzielle Unterstützer. Und so kam schliesslich tatsächlich die Summe von rund 40 000 Franken zusammen, die es brauchte, um in Akanu eine professionelle Wasseraufbereitungsanlage bauen zu lassen, die Wasser aus dem verschmutzten Bach säubert und trinkbar macht.
Vor rund eineinhalb Jahren konnte die Wasserstation mit sechs Hähnen realisiert werden. Hier können die Bewohner Akanus seither gratis so viel sauberes Wasser holen, wie sie brauchen. Die Station hat jeden Tag zu bestimmten Öffnungszeiten geöffnet. Dann bilden sich jeweils lange Schlangen und die Bewohner füllen nacheinander ihre Kübel, Kessel, Töpfe und sonstigen Behälter. Für den Unterhalt und den Betrieb der Anlage kommt Uche Iheke selber auf. Neben der Elektrizität bezahlt der Bremgarter Pfarrer auch Wächter und Betreiber, die dafür sorgen, dass alles in geregelten Bahnen abläuft und die Anlage stets reibungslos funktioniert. Zurück erhält er dafür Dankbarkeit. «Vor Ort zu sehen, wie glücklich die Menschen darüber sind, und zu wissen, wie viele Leben dadurch verbessert oder gar gerettet werden, ist mir unendlich viel wert», lächelt Uche.
Ein Zentrum der Hoffnung schaffen
Für ihn und Lisbet Lang war auch nach der Erstellung der Wasserstation stets klar, dass dies erst der Anfang ihrer Unterstützung der Menschen in Akanu sein würde. Sukzessive wollen sie das Leben vor Ort lebenswerter machen. «Möglichst viel Licht in die Dunkelheit bringen», wie es Uche pastoral ausdrückt. Die beiden haben daher von ihrem persönlichen Ersparten Land in Akanu gekauft. Ein «Reusstalzentrum» will Uche Iheke dort in den nächsten Jahren errichten – der Name natürlich eine Hommage an seine jetzige Heimat und diejenige zahlreicher Unterstützer. Lisbet Lang und Uche Iheke initiierten als Erstes den Bau eines «Mehrzweckraums», wo Kinder in naher Zukunft unterrichtet werden sollen und kleine Anlässe stattfinden können. Vorerst wird dieser aus einem Erdgeschoss bestehen. Das Gebäude kann aber sukzessive mit weiteren Stockwerken ergänzt werden. Und daneben hat es noch reichlich Platz auf dem erworbenen Land. Langfristig könnte je nach finanzieller Möglichkeit in den nächsten Jahren ein richtiges Zentrum der Hoffnung im nigerianischen «Reusstal» entstehen. Mit Schule und Internat für möglichst viele Kinder und Jugendliche. «Wir möchten den Menschen in Akanu Perspektiven geben», sagt Uche.
Was mit einer unfreiwillig verlängerten Lockdown-Reise begonnen hat, soll nun so lange wie möglich weitergehen und möglichst viel Gutes bewirken. «In diesem Sinne waren die Pandemiemassnahmen für einmal ein Segen», lächelt der Bremgarter Pfarrer. «Ich hatte viel Glück im Leben. Ich möchte nun möglichst vielen Menschen auch dieses Glück ermöglichen.»
Eine Bremgarten-Flagge hissen
Lisbet Lang neben ihm nickt eifrig. Auch sie ist bereit, solange es ihr noch möglich ist, viel Zeit und Herzblut in das nigerianische Projekt zu stecken. Bis heute hat sie bereits Hunderte Stunden dafür investiert. Auch wieder in diesen Tagen, als sie für das Mehrzweckhallen-Projekt erneut potenzielle Unterstützer und Freunde persönlich angeschrieben hat mit der Bitte um eine Spende. Den Aufwand nimmt sie gerne in Kauf. «Es ist eine überaus sinnvolle und sinnstiftende Lebensaufgabe, die mir Gott im hohen Alter nochmals zugetragen hat», lächelt sie. Uche Iheke ist dankbar, in ihr eine so wertvolle Unterstützerin gefunden zu haben. Wie er überhaupt unglaublich viel Dankbarkeit empfindet all denjenigen gegenüber, die ihm die Realisierung des Projekts in seiner ursprünglichen Heimat möglich gemacht haben. Das will er auch vor Ort in Nigeria sichtbar machen. Im «Reusstalzentrum» wird selbstredend eine Bremgarter Flagge gehisst. Auch sie ist mit im Gepäck von Uche Iheke.
Kontonummer für Spenden für das Projekt von Pater Uche Iheke in Akanu: CH16 8080 8008 7011 7267 7