«Reputationsschaden angerichtet»
24.03.2023 Einwohnerrat, WohlenParteien rügten den Gemeinderat für seine Beschwerde beim Presserat
Sämtliche Parteien zeigten wenig Verständnis für das Vorgehen des Gemeinderates. Mit der Beschwerde beim Presserat habe der Gemeinderat «einen Scherbenhaufen ...
Parteien rügten den Gemeinderat für seine Beschwerde beim Presserat
Sämtliche Parteien zeigten wenig Verständnis für das Vorgehen des Gemeinderates. Mit der Beschwerde beim Presserat habe der Gemeinderat «einen Scherbenhaufen hinterlassen», ärgerte sich SVP-Einwohnerrat Manfred Breitschmid.
Daniel Marti
Die Geschichte ist bekannt: Der Gemeinderat reichte beim Presserat Beschwerde gegen den «Wohler Anzeiger» ein. Es ging bei den Beiträgen um die Gemeinderatswahlen vom 26. September 2021 und um die Diskussion über die hohe Anzahl an Stimmen, die nicht namentlich ausgewiesen wurden. Und es ging auch um eine Motion der Mitte zu diesem Thema. Nach eingehender Prüfung weist der Presserat die Beschwerde in allen Punkten ab. Der «Wohler Anzeiger» hat in den beanstandeten Texten die «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalisten» nicht verletzt.
Nach Bekanntgabe des Urteils wollten die Mitte und die SVP mit einer Anfrage mehr wissen. Wie waren die Überlegungen des Gemeinderates? Was soll mit dem angerichteten Scherbenhaufen passieren? Wie hoch waren die Kosten? Wie soll die Beziehung zwischen dem Gemeinderat und dem «Wohler Anzeiger» weitergehen und verbessert werden?
«Wie eine Kriegserklärung»
Nun wurden beide Anfragen am vergangenen Montag im Einwohnerrat behandelt. Der Rat beschloss mit 24 Ja zu 12 Nein, über die Angelegenheit zu diskutieren. Mehrheitlich kam der Gemeinderat dabei nicht gut weg. Manfred Breitschmid (SVP) kritisierte die Tonalität des Gemeindeammanns. «Wer so umgeht mit Partnern, der hinterlässt einen Scherbenhaufen», sagte er. Der Gemeinderat werde in seinen Antworten sogar persönlich, «eventuell sollten Gemeindeammann und Gemeindeschreiber über die Bücher gehen», rügte er.
Die Antworten des Gemeinderates seien gar «schnoddrig und despektierlich», so Harry Lütolf (Mitte), der sich über das gesamte Vorgehen des Gemeinderates ärgert. «Der Gemeinderat ruft den Presserat an, der Presserat gibt der Gemeinde auf die Kappe. Und wie verhält sich der Gemeinderat? Der weiss es immer noch besser.» Und das Ganze hat erst noch 4500 Franken gekostet. Im «Wohler Anzeiger» werde laut Lütolf allen Politikerinnen und Politikern immer wieder Platz eingeräumt, das Unternehmen schaue für Arbeitsplätze, generiert Steuereinnahmen. So betrachtet sei die Antwort des Gemeinderates eine «Kriegserklärung, und das darf man nicht goutieren».
Gemeinderat hat sich ungeschickt verhalten
Um eine sachliche Einordnung war Olivier Parvex (Grünliberale) bemüht. Er sei froh, dass sich Medienerzeugnisse «um unser Wohlen kümmern». Und wenn mal Kritik aufkomme, haben dies die Verwaltung und der Gemeinderat zu ertragen. Im vorliegenden Fall habe sich der Gemeinderat «ungeschickt verhalten». Andererseits habe auch eine Regionalzeitung zu akzeptieren, wie der Gemeinderat kommuniziert. Parvex, einst selber Journalist, gab zudem den Ratschlag: «Setzt euch zusammen an einen Tisch, denn beide sind aufeinander angewiesen.»
Mühe mit der Haltung des Gemeinderates hat Laura Pascolin (SP). Sie findet sie sogar merkwürdig. Der Presserat bestehe aus Experten und Juristen. Dies gilt es zu respektieren. Der «Wohler Anzeiger» sei in Wohlen die Hauszeitung. «Der Verlag sorgt für Arbeitsplätze und bietet uns Politikerinnen und Politikern eine Plattform.» Laura Pascolin begrüsst auch die professionelle Arbeit der Regionalzeitung, und diese dürfe durchaus kritische Fragen stellen. Eine kritische Berichterstattung könne einen auch sauer machen, erklärte Dieter Stäger (FDP). «Aber Kritik muss man aushalten.» Valentin Meier (SP) erinnerte daran, dass Medien auch Macht haben. Und darum: «Bitte lasst Wohlen in einem guten Licht dastehen.»
Und Peter Christen von der SVP hielt sich ganz kurz: Einsicht und Demut. Darüber soll der Gemeinderat mal nachdenken.
Vizeammann wiederholt Vorwürfe
Abschliessend meldete sich Vizeammann Thomas Burkard noch zu Wort. Er zielte erneut auf den Presserat. Man müsse sich bewusst sein, dass der Presserat nicht unbefangen sei, «und er steht eher auf der Seite der Journalisten». Die Beurteilung der gemeinderätlichen Beschwerde passt dem Vizeammann immer noch nicht: «Das war keine vertiefte Abklärung.» Er hielt auch an seinem Vorwurf fest: Der «WA» habe Verwaltungsangestellte verunglimpft. Auch diesen Punkt hat der Presserat in aller Deutlichkeit zurückgewiesen. Er sei wirklich erstaunt über die gemeinderätliche Haltung zum Presserat, erklärte darauf Manfred Breitschmid.
«Warum wurde von Anfang an nicht miteinander geredet, denn so ist der Reputationsschaden schon längst angerichtet», fügte Lionel Zingg (FDP) noch an. Man werde ja nun Mitte April zusammensitzen, Gemeinderat mit Verleger und Chefredaktion, informierte Thomas Burkard noch. Die Initiative und die Anregung für eine Aussprache kamen aus dem Haus «Wohler Anzeiger» – und das nicht zum ersten Mal.
Der Autor dieses Artikels ist Teil der ursprünglichen Beschwerde. Der Verlauf der Geschäfte und die Präsenz an der Einwohnerratssitzung liessen keine andere Arbeitsaufteilung zu. Der Autor war bemüht, trotz dieser nicht idealen Ausgangssituation die Voten im Einwohnerrat so sachlich wie möglich wiederzugeben.