«Lasst den Schnickschnack weg»
09.08.2024 Sport, SchwingenDer höchste Schwinger Stefan Strebel vor dem Grossanlass in Appenzell
In einem Monat trifft sich die Schwinger-Elite des Landes zum Saisonhöhepunkt. In Appenzell werden die 120 besten Schwinger sowie 20 000 Zuschauer sein. Und der Villmerger Stefan Strebel wird ...
Der höchste Schwinger Stefan Strebel vor dem Grossanlass in Appenzell
In einem Monat trifft sich die Schwinger-Elite des Landes zum Saisonhöhepunkt. In Appenzell werden die 120 besten Schwinger sowie 20 000 Zuschauer sein. Und der Villmerger Stefan Strebel wird die Einteilung des 1. Ganges machen. Der technische Leiter des Eidgenössischen Schwingverbandes spricht über Höhen und Tiefen der Saison. Und wieso ihn ein türkischer Pistolenschütze beeindruckt.
Stefan Sprenger
Es ist ein wenig ruhig geworden um den grossen Mann. Stefan Strebel ist in dieser Schwingsaison kaum in den Medien. Bewusst habe er sich ein wenig zurückgenommen, wie er sagt. Sorgen muss man sich um den höchsten Schwinger der Schweiz aber nicht machen. Beim 47-Jährigen ist alles in Ordnung. «Mir geht es bestens», sagt er lachend. Seiner Frau Fabienne (aus Wohlen) geht es ebenfalls hervorragend. Seine Tochter Larissa ist im 3. Lehrjahr bei der Integra in Wohlen. Sein 17-jähriger Sohn Mario, der jahrelang im Elite-Nachwuchs der Grasshoppers Zürich spielte, ist mittlerweile im Kader der zweiten Mannschaft des FC Wohlen. Und das freut den Papa. «Nach dem Theater bei GC tut es ihm hier in Wohlen sehr gut. Man setzt auf junge Spieler, er hat riesig Spass. Und wenn er mal in der ersten Mannschaft des FC Wohlen spielt, würde mich das sehr freuen», so der stolze Papa.
«Drei furchtlose Schwinger»
Doch es geht hier nicht um Fussball, sondern um das Schwingen. Der dreifache Eidgenosse, der seit 2020 technischer Leiter des Eidgenössischen Schwingverbandes (ESV) ist, wird in einem Monat ein gefragter Mann sein. Am 8. September findet in Appenzell das Jubiläumsschwinget anlässlich von 125 Jahren ESV statt. Für die Schwingerwelt wird dies der Saisonhöhepunkt sein. Und Strebel wird im Einteilungsbüro walten – und den 1. Gang alleine einteilen. «Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren», sagt er. In seinem Kopf macht er sich bereits Gedanken, welche Spitzenschwinger er in den ersten Duellen aufeinander loslässt. «In dieser Saison sind ein paar neue Gesichter dazugekommen. Ein junger Rutsch ging durch die Schwingerfamilie», sagt Strebel. Diese Shootingstars heissen Michael Moser, Werner Schlegel und Adrian Walther. «Diese drei jungen und furchtlosen Schwinger drücken gewaltig», so Strebel. Wenn er sich vorstellt, dass diese drei Schwinger auf die drei routinierten Top-Stars treffen, hat er ein Kribbeln im Bauch. Joel Wicki, Fabian Staudenmann und Samuel Giger heissen die drei bekannten Schwing-Brocken. «Drei junge, drei routinierte. Ich denke, der Sieg am Jubiläumsschwinget wird über diese sechs Athleten gehen. Wobei es noch ein paar andere Schwinger gibt, die ebenfalls ein Wörtchen mitreden können, wie beispielsweise der Nordwestschweizer Nick Alpiger.» In Appenzell wird es keine Kränze zu gewinnen geben. Es geht nur um den Sieg.
Zurück zur medialen Abwesenheit von Stefan Strebel. Es sei nicht so, dass er nichts tut. «Ich mache viel im Hintergrund. Aber ja, in dieser Saison bin ich etwas ruhiger unterwegs. Vielleicht demütiger», wie er sagt. Strebel war an insgesamt 14 Schwingfesten dabei und beobachtete genau, was in der Schwingerszene so abgeht. Er sieht viele erfreuliche Dinge. Nach wie vor ist der Schwingsport in der Schweiz sehr beliebt. Junge Athleten rücken nach. Die Entwicklung sei grundsätzlich erfreulich. Dennoch wurmt ihn ein Aspekt. Doch dieser ist schwierig in Worte zu fassen. Strebel erwähnt, wie fasziniert er vom türkischen Olympia-Pistolenschützen war. Sein Name ist Yusuf Dikec. Nach seinem Olympia-Auftritt wurde er auch «Mr. Cool» genannt. «Er steht am Schiessstand und ist voll fokussiert, total ruhig. Keine Stirnblende, kein Ohrenschutz, keine Spezialbrille. Er hatte sogar noch eine Hand in der Hosentasche. Er war völlig bei sich, hat die Verantwortung voll und ganz übernommen und riesige mentale Stärke bewiesen. So gewann dieser Kerl die Silbermedaille, ohne irgendeinen Schnickschnack», sagt Strebel. Dieser absolute Fokus, diese Reinheit für den Sport, vielleicht auch diese Lässigkeit, gepaart mit Demut, all das hat Strebel beeindruckt. Und er findet, dass auch einige der Schwinger sich wieder etwas mehr in diese Richtung bewegen sollten.
«Das würde ich mir wünschen für unseren Sport»
Der Schwingerboss findet, dass manche Athleten die Verantwortung ein Stück weit abgeben. An Betreuer, Trainer, Physios oder Mentaltrainer. Der Schwingsport drifte ein wenig ab von seiner ursprünglichen Form. «Im Schwingen geht es Mann gegen Mann. Oder Frau gegen Frau. Es ist relativ simpel», sagt Strebel. «Ich ziehe mir ein Edelweiss-Hemd über, gehe in das Sägemehl und putze meinen Gegner weg. Ich habe Vertrauen in meine Kraft und meine Technik. So wie der türkische Pistolenschütze.» Doch viele der Schwinger, und damit sind nicht nur die Top-Athleten gemeint, kommen weg davon. Sie übernehmen nicht alleine die Verantwortung über Erfolg und Misserfolg, sondern geben ebenjene auf andere Schultern ab. «Lasst den Schnickschnack weg», meint Strebel. Ein Schwinger mit einem Betreuerstab von fünf Leuten sei masslos übertrieben und passe nicht in den Schweizer Traditionssport. «Ein wenig mehr Demut. Etwas mehr zurück zu den Wurzeln. Etwas härter mit sich selbst sein. Vielleicht auch selbstkritischer. Mit Einfachheit die Maximalleistung rausholen. Das würde ich mir wünschen für unseren Sport.»
Als Beispiel nennt er Werner Schlegel und Michael Moser. Die beiden blutjungen Schwinger, die in dieser Saison aufblühen. «Die putzen einen Eidgenossen nach dem anderen aus dem Sägemehl. Ganz toll», findet Strebel. Mit seiner Meinung wollte er «niemandem zu nahe treten», wie er sagt. «Ein gutes Umfeld um sich herum ist wichtig. Ein Trainer, der einen unterstützt, ebenso. Aber manche übertreiben es, wie ich finde.»
Auch wenn Stefan Strebel der technische Leiter des Eidgenössischen Schwingverbandes ist, so hat er einen speziellen Fokus auf die Freiämter Schwinger. Auch, weil er früher als Trainer und technischer Leiter beim Schwingklub Freiamt und dem Nordwestschweizerischen Verband tätig war. Joel Strebel habe eine «superstarke Saison» gezeigt. «Dann macht es bumm. Das Kreuzband ist gerissen und man ist ein Jahr lang weg vom Fenster. Das hat mir unglaublich leidgetan für ihn.» Denn Joel Strebel wäre in dieser Topform auch ein Kandidat gewesen, um unter die besten 10 beim Jubiläumsschwinget zu kommen.
«Das wird ein riesiges Highlight»
Ähnlich ist es bei Andreas Döbeli. «Auch er zeigte starke Schwingfeste und verletzt sich. Bitter», sagt Stefan Strebel. «Diese Verletzungshexe ist gnadenlos. Die Freiämter hat es arg erwischt.» Zuletzt hatte er riesig Freude an Lukas Döbeli, dem dritten Eidgenossen des SK Freiamt. Am Oberaargauischen Schwingfest schafft er es in den Schlussgang. «Er hatte eine Saison mit vielen Hochs und Tiefs. Sein letzter Auftritt war aber richtig positiv. Ich hoffe für ihn, dass es so weitergeht.» Für die verletzten Andreas Döbeli und Joel Strebel hofft er auf schnelle Genesung. «Ich bin mir sicher, beide werden wieder an ihr Topniveau rankommen.»
Nach dem Kilchberg-Schwinget, dem Unspunnen und dem Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest (ESAF) in Pratteln findet in einem Monat der nächste Grossanlass statt, wo er als Schwingerboss gefragt ist. «Das wird ein riesiges Highlight», freut sich Strebel. Im nächsten Jahr ist dann in Mollis (Glarus) das nächste ESAF. Und dann wird der Freiämter auch wieder mehr mediale Präsenz haben. Ob er will oder nicht.