«Ich hatte unwahrscheinliches Glück»
23.12.2025 Bremgarten, Porträt, Arbeit, Politik19 Jahre Stadtrat, 16 davon als Ammann: Raymond Tellenbach verabschiedet sich aus dem Amt
Er war immer mit vollem Engagement für Bremgarten im Einsatz. Nun tritt Stadtammann Raymond Tellenbach von der politischen Bühne ab und blickt zurück auf eine ...
19 Jahre Stadtrat, 16 davon als Ammann: Raymond Tellenbach verabschiedet sich aus dem Amt
Er war immer mit vollem Engagement für Bremgarten im Einsatz. Nun tritt Stadtammann Raymond Tellenbach von der politischen Bühne ab und blickt zurück auf eine intensive Zeit zwischen Verantwortung, Wandel und Vertrauen.
Sabrina Salm
Fast zwei Jahrzehnte politische Präsenz hinterlassen Spuren – in Dossiers, Projekten, Entscheidungen. Vor allem aber im kollektiven Gedächtnis einer Stadt. Raymond Tellenbach war mehr als ein Stadtammann. Er war Identifikationsfigur, Fixpunkt und Gesicht des Reussstädtchens. Kaum ein öffentlicher Anlass kam ohne ihn aus, kaum eine Veranstaltung, an der er nicht das Wort führte. Nahbar, präsent, einer von hier.
Seit 2010 stand er der Stadt als Ammann vor, seit 2007 gehörte er dem Stadtrat an. Nun ist Raymond Tellenbach nur noch wenige Tage im Dienst von Bremgarten. Dann beginnt ein neuer Lebensabschnitt. Erst nach dem Christchindli-Märt sei ihm bewusst geworden, dass er bald nicht mehr täglich ins Rathaus gehen wird, dass er nicht mehr länger die Geschicke der Stadt leitet, dass er sein Amt als Stadtammann niederlegt. «Dann kam dieser Moment, in dem es mich plötzlich eingeholt hat. Fast wie eine kleine Mini-Depression», gesteht er lachend. Am meisten Mühe bereitet ihm jedoch der Abschied von der Verwaltung. Von den Menschen. 19 Jahre Zusammenarbeit hinterlassen Spuren, Bindungen, Freundschaften. Da schwinge schon
Wehmut mit. «Aber inzwischen überwiegt die Freude.»
Motivation aus Vielfalt und Menschen
Dass der gebürtige Berner einst zum politischen Urgestein Bremgartens werden würde, war nicht geplant. 1996 zog der Diplomatensohn aus familiären Gründen in die Heimat seiner Frau. Und dass er so lange als Stadtammann die Entwicklung des Städtchens mitprägen würde, hätte er selber gar nicht gedacht. Er war ein Stadtammann «mit Leib und Seele». «Mich haben die Aufgaben an sich motiviert. Sie sind anspruchsvoll, vielfältig und verändern sich ständig.» Als Informatiker habe ihm Projektarbeit schon früh gefallen. «Etwas entwickeln, strukturieren, umsetzen und abschliessen. Genau das findet man auch in der Gemeindepolitik.» Mindestens genauso wichtig war ihm aber die Arbeit mit Menschen. Der Austausch mit Einwohnerinnen und Einwohnern, mit Verbandskollegen, mit der Verwaltung.
Unterschiedliche Meinungen in einem Team zusammenzuführen, sei herausfordernd, aber auch erfüllend. Gerade diese Vielfalt habe die Arbeit lebendig gemacht und ihn angespornt.
Dass dabei Beruf, Familie, Amt und unzählige Kommissionsmandate unter einen Hut passten, schreibt er vor allem seiner Familie zu. Anfangs habe er sich oft gefragt, wie das alles gehen solle. «Mit der Zeit lernt man, Prioritäten zu setzen, zu delegieren und zu vertrauen.» Dieses Vertrauen, sagt er, bringe Gelassenheit. Und Gelassenheit trage.
Rauerer Umgangston
Gelassenheit ist als Kommunalpolitiker sicher eine vorteilhafte Eigenschaft. Denn bekannterweise bringen öffentliche Ämter nicht selten Kritik mit sich. Damit umzugehen, sei nicht immer einfach, gibt Raymond Tellenbach zu. «Es gab Tage, da steckte ich Kritik problemlos weg. Und Tage, da nagte sie an mir.» Er sei aber zum Glück jemand, der Negatives relativ rasch wieder loslassen könne. Grundsätzlich halte er Kritik aber für wichtig. Sie zeige Schwachstellen auf. Entscheidend sei jedoch, wie sie geäussert werde. «Am liebsten ist mir Kritik mit Lösungsvorschlag.» Reines Kritisieren empfinde er als schwach.
Dass der Ton rauer geworden ist, daran hat Tellenbach keinen Zweifel. Soziale Medien hätten die Entwicklung beschleunigt. Heute werde schneller geschrieben, schneller reagiert. Oft ohne nachzudenken. Das schlage sich auch auf die Politik nieder. Mails unter der Gürtellinie seien keine Seltenheit mehr, auch gegenüber der Verwaltung. «Im Grossen und Ganzen sind wir bei uns an den Gemeindeversammlungen vergleichsweise glimpflich davongekommen», räumt er ein. Sein Rezept im Umgang damit sei warten. Erst abkühlen lassen, dann erklären. Oft zeigten sich die Leute danach einsichtig, manchmal entschuldigten sie sich sogar. Dennoch gebe es Momente, in denen ungerechtfertigte Vorwürfe belasten. «Gerade weil man als Stadtrat nicht immer alles offenlegen kann.»
Investieren statt kaputtsparen
Die finanzielle Lage Bremgartens gibt immer wieder Anlass für Diskussion. Für Kritik. Ob er in seiner Amtszeit es verpasst hat, sukzessiv zu investieren? Er widerspricht. «Gerade weil investiert worden ist, steht die Stadt heute dort, wo sie steht. Bremgarten hat eine intakte Infrastruktur, und wir haben in die nötigen sozialen Institutionen investiert. Deshalb haben wir so starke Angebote wie Schulsozialarbeit, Tagesstrukturen, Jugendarbeit, Bibliothek. Das sind unsichtbare Faktoren der Lebensqualität.» Weil man präventiv investiert habe und sie funktionieren, gäbe es weniger Probleme. «Wir haben Ruhe und Ordnung.» Die Lebensqualität komme nicht von ungefähr. «Qualität entsteht nicht durch reines Sparen.»
Gleichzeitig belasten Zentrumslasten die Finanzen. Das seien Lasten, bei denen kaum jemand helfe. Viele Herausforderungen seien strukturell bedingt.
Zwischen Autonomie und Kontrolle
Mit den Jahren gewandelt habe sich auch, dass der Kanton die Gemeinden deutlich stärker kontrolliere als zu Beginn seiner Amtszeit. «In den letzten Jahren habe ich mich wirklich mehrmals über den Kanton geärgert», sagt Raymond Tellenbach. Gesetze würden bis ins kleinste Detail ausgelegt, Spielräume kaum mehr genutzt. «Wegen einiger weniger Gemeinden werden alle stärker reguliert. Der Kanton legt nur noch juristisch aus, ohne dass man eine gewisse Flexibilität zeigt. Das ist schade und müsste nicht sein.» Gemeinden müssten letztlich den Kopf hinhalten für Vorgaben von oben. Das erschwere die Arbeit und führe zu Ermüdung.
Um eine stärkere Position gegenüber dem Kanton zu gewinnen, sieht Tellenbach die noch intensivere Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden als einzigen Weg. «In gewissen Bereichen muss noch mehr regionalisiert werden. Als Einzelkämpfer geht man unter.» Die Herausforderungen für Bremgarten und die Region nehmen nicht ab. Ist Raymond Tellenbach erleichtert, sich nicht mehr damit herumschlagen zu müssen? «Nein, ausgerechnet der Regionalisierungsteil ist etwas, das mir wirklich am Herzen liegt. Das hätte ich gerne weiterverfolgt.»
Lebensqualität bewahren
Weiter ist der Kommunikationsbereich eines der grossen Themen, die Bremgarten in Zukunft beschäftigen werden. «Man muss gezielter kommunizieren und bereits im früheren Stadium eines Projekts informieren, Inputs entgegennehmen und den Dialog aufbauen.» Der Stadtrat habe mit der offenen Kommunikation bereits angefangen und befindet sich da auf einem guten Weg. «Doch die Kommunikation gewinnt in Zukunft noch mehr an Bedeutung.»
Dem Städtli wünscht der abtretende Ammann, dass es seine gute Lebensqualität, mit Sicherheit, Ruhe, Kultur und Zusammenhalt, bewahren kann. Viele Tipps habe er bereits seinem Nachfolger Stephan Troxler und dem neu zusammengesetzten Stadtrat gegeben. Einen wichtigen Tipp findet Tellenbach: «Nicht nach jedem Hund, der bellt, einen Stein werfen.» Und seine Botschaft an die Bevölkerung ist einfach: Vertrauen. «Ich hoffe, dass die Bremgarterinnen und Bremgarten dem neuen Stadtrat ebenso viel Vertrauen entgegenbringen, wie sie es mir geschenkt haben. Ich hatte unwahrscheinliches Glück», meint er zufrieden. «Ich bin von einem Grossteil der Bevölkerung getragen worden und man liess mich meine Arbeit machen. Dafür bin ich dankbar.»
Vom Ammann zum Autor
19 Jahre hat sich der 71-Jährige mit viel Herzblut unermüdlich für das Städtli, aber auch für die ganze Region eingesetzt. Im neuen Jahr sieht das anders aus. Hat er keine Angst, dass ihm nun langweilig wird? «Nein, überhaupt nicht», sagt er und erzählt schmunzelnd: «Ich habe zu Hause eine lange Liste von der Familie zum Abarbeiten bekommen.» Er möchte sich neben Wanderungen, Skifahren und Reisen dem Lesen und Schreiben widmen. Er tauscht Aktenstudium gegen Buchklassiker und Redenschreiben gegen persönliche Schreibprojekte. «Ich werde Geschichten, die ich früher meinen Kindern erzählt habe, niederschreiben», verrät er.
Sein Einsatz für Bremgarten endet aber nicht ganz. Er will sich weiterhin für das Städtli engagieren. Sei es beim Komitee des Artwalk, beim Verein historisches Handwerk oder beim Glühweinmachen für den Christchindli-Märt. Auch ohne Amt bleibt er nahbar, präsent, ein stolzer Bremgarter – eben einer von hier.

