«Ich habe meiner Tochter geholfen»
10.09.2024 Hägglingen, Region UnterfreiamtEltern vor Gericht
Die Staatsanwaltschaft wirft einem Paar vor, ihr schwerstbeeinträchtigtes Kind getötet zu haben. Die Tat an der Dreijährigen ist in Hägglingen im Mai 2020 passiert. Seit gestern stehen die Eltern vor dem Bezirksgericht Bremgarten. ...
Eltern vor Gericht
Die Staatsanwaltschaft wirft einem Paar vor, ihr schwerstbeeinträchtigtes Kind getötet zu haben. Die Tat an der Dreijährigen ist in Hägglingen im Mai 2020 passiert. Seit gestern stehen die Eltern vor dem Bezirksgericht Bremgarten. Den Deutschen drohen eine 18-jährige Haft und ein Landesverweis. --sab
Gerichtsprozess um Tötungsfall eines dreijährigen Kindes in Hägglingen ist in Bremgarten gestartet
Seit gestern müssen sich vor dem Bezirksgericht Bremgarten Eltern für den Mord an ihrem schwer beeinträchtigten Kind verantworten. Ebenfalls angeklagt ist die Grossmutter wegen Gehilfenschaft zu Mord. Die Urteile sollen am Freitag verkündet werden.
«Ich habe meine Tochter nicht ermordet, sondern habe ihr geholfen», ist die 32-jährige Tatverdächtige überzeugt. Für sie gehe es in Ordnung, dass sie und ihr Partner, der 34-jährige Vater der ermordeten Tochter, wegen ihrer Tat vor Gericht stehen. Gesetzlich habe sie etwas Falsches gemacht. Doch sie würde wieder so handeln. «Wir haben es für sie gemacht.»
Was war geschehen? Den Eltern wird vorgeworfen, ihr eigenes Kind im Mai 2020 zuerst betäubt und dann durch Ersticken getötet zu haben. Und dies sei nicht der erste Versuch gewesen. Laut Anklageschrift hätten die Eltern ihre dreijährige Tochter als lästig empfunden. Das Kind kam mit einer schweren Zerebralparese zur Welt. Sie litt unter Krampfanfällen, konnte nicht eigenständig schlucken und hatte starke Schmerzen. «Die zeitintensive Betreuung führte bei der Mutter zur völligen Überforderung mit der Situation», heisst es und weiter: «Es entstand ein ausgeprägter Wille, das Kind loszuwerden.»
Am ersten Prozesstag wurden nun die Angeklagten und ein Zeuge befragt. Immer wieder betont die angeklagte Mutter, dass ihre Tochter für sie keine Last war. «Ich fühlte mich mit ihr auch nicht überfordert.» Zwar sei ihr Kind ein fröhliches Kind gewesen, aber diese Fröhlichkeit nahm mit der Zeit massiv ab. «Ich habe gemerkt, dass sie Schmerzen hatte.» Einen Termin für die Tötung oder einen Plan hätten sie nie gehabt. «Wir haben einfach darüber gesprochen, dass wir ihr helfen wollen.» Weil ihre Tochter kein schönes Leben hätte führen können, haben sie sich über die Tötung Gedanken gemacht. Eine Verbesserung ihrer Lebensumstände mit Therapien oder einer Magensonde zu erreichen, sah die Mutter nicht. Sie hätten bereits vieles unternommen, um den Zustand ihrer Tochter angenehmer zu machen. Ohne grosse Veränderung. In eine Institution wollte die Angeklagte ihre Tochter nicht bringen. «Ich hätte nicht bei ihr bleiben können. Sie wäre deshalb unglücklich geworden.» Die Mutter ist überzeugt, dass ihre Tochter keinen anderen ausser sie akzeptiert hätte. Wütend auf ihr Kind sei sie nie gewesen. «Sie konnte ja nichts dafür.» Sie sei ab und an wütend auf die Situation gewesen.
Hadert mit der Tat nicht
Als der erste Mordversuch im Oktober 2019 nicht geklappt hat, sei sie froh darüber gewesen. Sie sei auch nicht enttäuscht gewesen. Trotzdem flammte der Gedanke an die Tötung zwei weitere Male bei den Eltern auf. Einmal im März 2020, als die Mutter bereits eine Trinkflasche mit MDMA (Ecstasy) zubereitete, aber nicht verabreichen konnte. Und dann in der Nacht vom 6. auf den 7. Mai. Der Entschluss fiel spontan, sagte die Angeklagte. Der Tag und auch der Abend sei wie immer gewesen. Nachdem sie ihre Tochter gebadet und mit ihr Büchlein angeschaut hatte, verabreichte sie ihr den Gute-Nacht-Schoppen. Nach einigen Schlucken aus dem mit Ecstasy, einem Schlafmittel, Babymilchpulver und Erdbeerbrei präparierten Schoppen habe das Mädchen gespuckt. «Sie weinte und krampfte nicht. Sie litt nicht.» Die Mutter ging mit ihr ins Wohnzimmer, wo dann der Vater Mund und Nase des Kleinkinds zugehalten habe.
Sie und ihr Partner hätten sich, als ihre Tochter nicht mehr geatmet hat, von ihr verabschiedet. Die Mutter habe sie in ihr Bett gelegt und ihre Schlafmusik eingeschaltet. Das Paar habe ihrer Tochter einen Brief geschrieben und dann verbrannt. Erst am Morgen haben sie den Notruf angerufen. «Damit wir Zeit hatten, um uns zu verabschieden.» Für sie sei es schwer, dass ihr Kind nicht mehr da sei. Mit der Tat hadere sie jedoch nicht. «Für sie war es das Richtige. Ich bereue es für mich, dass sie nicht mehr bei mir ist.» Sie würde es wieder machen.
Die Staatsanwaltschaft wird auf Mord und versuchten Mord plädieren. Dies aufgrund «der besonderen Skrupellosigkeit bei der Tat». Sie will für die Mutter und den Vater je 18 Jahre Freiheitsstrafe und 15 Jahre Landesverweis fordern. Die lange Gefängnisstrafe mache ihr keine Angst. Sie sehe sich schon als genug bestraft. Der Landesverweis würde ihr mehr zusetzen, da sie nicht mehr bei ihrer Tochter wäre. Da laut Anklageschrift die Grossmutter über die Tötungsabsichten der Eltern Bescheid wusste, aber nichts unternahm, um die Tat zu verhindern, muss auch sie sich vor dem Gericht wegen Gehilfenschaft zu Mord verantworten. Der 53-Jährigen drohen 5 Jahre Freiheitsentzug und ebenfalls 15 Jahre Landesverweis. Die Urteilsverkündung wird am Freitag erwartet. --sab
Aus Zeitgründen konnte die Redaktion nicht am ganzen Prozesstag dabei sein.