Hinter den Kulissen
04.04.2023 BremgartenEine Aufführung der Operettenbühne Bremgarten
«Ui, jetzt ischer aber knapp dra gsi», flüstert ein Chormitglied, als Alfred alias Sebastian Fuchsberger die Treppe des Umkleideraums runterhechtet und im letzten Moment seine Zelle betritt, bevor sich die ...
Eine Aufführung der Operettenbühne Bremgarten
«Ui, jetzt ischer aber knapp dra gsi», flüstert ein Chormitglied, als Alfred alias Sebastian Fuchsberger die Treppe des Umkleideraums runterhechtet und im letzten Moment seine Zelle betritt, bevor sich die Vorhänge nach der Pause wieder lichten.
Momente wie diese bekommt das Publikum kaum je zu Gesicht. Genauso wenig wie den zwischenmenschlichen Umgang der Protagonisten untereinander. Und die unzähligen kleinen und grossen Schritte, die von über 100 Involvierten an jedem Abend der Operettensaison geleistet werden, damit eine Aufführung wie jene der «Fledermaus» überhaupt möglich ist. --huy
110 Zahnrädchen
Ein Abend hinter den Kulissen der Operettenbühne
Seit gut zwei Wochen verzückt das Ensemble der Operettenbühne mit der «Fledermaus» das Bremgarter Publikum durch Witz, Stimmwucht, Charme und imposante Strauss-Melodien. Die gelungene Aufführung des Meisterwerks verlangt von mehr als 100 Beteiligten Abend für Abend von Neuem vollen Fokus – und dies an unterschiedlichsten Fronten.
Marco Huwyler
Volker Vogel ist gut aufgelegt. Der Regisseur freut sich auf einen unterhaltsamen Abend. «Während der Aufführungen gibt es für mich nichts zu tun. Es ist die Zeit des Erntens. Ich geniesse es, einfach im Publikum zu sitzen und dabei zuzusehen, wie sich die Arbeit der vergangenen Monate bezahlt macht», lächelt der 73-Jährige. «Zu beobachten, wie sich die Darsteller nach all den gegebenen Inputs auf ihre Art und Weise in ihren Rollen entfalten und entwickeln, ist etwas Wunderschönes. Davon kriege ich nie genug», sagt der Regisseur, anlässlich der mittlerweile bereits sechsten Aufführung der Bremgarter Operettensaison.
Vogel freilich besitzt unter allen Beteiligten eine privilegierte Sonderstellung. Für wohl niemanden sonst ist ein Aufführungsabend dermassen stressarm wie für den tiefenentspannten Deutschen. Hinter dem Vorhang und in den Katakomben des Bremgarter Casinos herrscht ansonsten überaus emsiges Treiben.
Herzliche Nähe
Solisten, Balletttänzerinnen, Chormitglieder, Musiker, Techniker und allerlei sonstige Helfer wuseln auf engstem Raum aneinander vorbei. Der Backstage-Bereich des in die Jahre gekommenen Casinos bietet wenig Platz für Inszenierungen mit so vielen Involvierten. Hier kommt man sich zwangsläufig nah – wobei die Beteiligten zumeist den Eindruck machen, als sei ihnen das ganz recht. Immer wieder umarmt und herzt man sich kurz und tauscht dabei ein paar heitere Worte aus. Viele sind zum Scherzen aufgelegt. Bekanntlich ein gutes Mittel gegen Lampenfieber, das einen Künstler so kurz vor Auftritt wohl zwangsläufig befällt. Angela Kerrison, die bald als Rosalinde auf die Bühne tritt, flachst wenige Minuten vor Auftritt mit Kollegin Barbara Hensinger alias Prinz Orlofsky noch in der Garderobe – die sich männliche und weibliche Darsteller im Übrigen teilen. Andere sind in diesem Moment eher in sich gekehrt. Daniel Zihlmann, als Gabriel von Eisenstein in der Hauptrolle, wippt, bevor der Vorhang aufgeht, mit geschlossenen Augen auf der Stelle und murmelt vor sich hin. Und Sebastian Fuchsberger, bald als Gesangslehrer Alfred zu Unrecht arretiert, macht vor seinem impulsiven Einsatz noch ein paar Dehnungsübungen, die er vor dem leidenschaftlichen Kuss, der bald folgen wird, wohl gut gebrauchen kann.
Applaus von den Mitstreitern
Dann geht es los. Und es ist förmlich zu spüren, auch bei vielen, die auf ihren Einsatz noch warten, dass in jenem Moment bereits ein Teil der Anspannung weicht. Lediglich bei den sechs Balletttänzerinnen ist vor dem Gang auf die Bühne noch ein leichtes Zittern auszumachen. Wobei es gut sein kann, dass dieses eher einem Frösteln, denn der Nervosität geschuldet ist. Schliesslich treten die jungen Damen zu Beginn barfuss und im kurzen Röckchen auf.
Die bewegende Musik und der heitere Plot tragen das ihrige dazu bei, dass die Atmosphäre auch hinter der Bühne mit dem Fortschreiten der Aufführung zunehmend gelöster wirkt. Viele derer, die gerade nicht auf der Bühne stehen, folgen dem Geschehen unmittelbar dahinter. Und manch einer sieht sich dazu verleitet, nach besonderen Szenen in den Applaus des Publikums miteinzustimmen. Man ist eine Gemeinschaft, die hier zusammen am Werk ist. Das merkt man auch am Schulterklopfen, das oftmals einsetzt, wenn jemand in den Backstage-Bereich zurückkehrt.
Dorthin, wo es derweil immer enger wird, weil sich nun auch der 36-köpfige Chor vor seinem ersten Auftritt im zweiten Akt hinter der Bühne zu versammeln beginnt. Dazu will allerdings erst das Bühnenbild umgestaltet sein. Aus der Stube der von Eisensteins wird mitten während der Vorstellung binnen weniger Minuten mithilfe von flinken Helfern der grosse Ballsaal, wo das irrwitzige Spiel aus Verwechslungen, Flirts und Intrigen erst richtig Fahrt aufnimmt.
Znacht zur Pause
Nach gut 90 Minuten schliesslich ist Pause. Während sich das Publikum in Bar und Restaurant verwöhnen und erfrischen lässt, ist auch in den Katakomben unter der Bühne Verpflegung angesagt. Viele der hier Anwesenden hatten noch keine Gelegenheit zum Abendessen. Das wird nun hungrig nachgeholt. Wobei auch Süppchen und Kräuterteemischungen hoch im Kurs stehen. Manch einer ist gesundheitlich leicht angeschlagen in diesen Tagen. Da gilt es der Stimme gut achtzugeben. Nichtsdestotrotz bietet auch die Pause Anlass für viele Gespräche. Die aufgereihten Tische sind bunt durchmischt. Musiker, Solisten und Chormitglieder tauschen ihre Erfahrungen des Abends aus, bevor es weitergeht.
Einzelne sind unterdessen weiterhin mit Vorbereitungen zur zweiten Hälfte ihres Auftritts beschäftigt. Die Verrenkungen einer Balletttänzerin in einer stillen Ecke gemahnen an die Pantomime-Fahrten, die Skiläufer im Winter vor dem Start zuweilen absolvieren. Und für manch einen ist nun auch Umschminken angesagt. Von ausgelassen feiernd zum grossen Kater, lautet die Devise. Der gerade noch vorzüglich geschniegelte von Eisenstein etwa kommt nach dem Unterbruch ganz schön zerzaust daher.
Für den Chor ist derweil auch nach der Pause noch eine Weile Durchatmen. Und obwohl ein jeder das Stück zwangsläufig in- und auswendig kann, tummeln sich viele von ihnen auch im dritten Akt dicht an dicht hinter dem Vorhang, um dem Treiben auf der Bühne zu folgen. Dort, wo Beat Gärtner als Gefängniswärter Frosch gemeinsam mit den verkaterten Ball-Protagonisten auf den Plan tritt und sich die Verwechslungskomödie unter viel Gelächter langsam aufzulösen beginnt. Mit einem grossen Finale geht die «Fledermaus» schliesslich nach intensiven knapp drei Stunden zu Ende. Minutenlang ertönt der wohlverdiente Applaus, bevor Umziehen, Abschminken und kurz vor Mitternacht der Gang nach Hause auf dem Programm steht. Manch einer durchmischt sich davor noch mit dem Publikum und gönnt sich einen Schlummertrunk oder einen letzten kleinen Imbiss im Restaurantzelt «Zum Täubchen» oder im «Ticktack Ticktack».
Schlag auf Schlag
Über 20 Gastronomiemitarbeiter sorgen dort dafür, dass niemand hungrig oder durstig die Heimreise antreten muss. Auch sie sind Teil des grossen Ganzen, der vielen Rädchen, die ineinandergreifen. Und auch sie sind bereits am nächsten Tag wieder im Einsatz. «Morgen in alter Frische, auf ein Neues», scherzt Volker Vogel, als er seinen Protagonisten nach der Vorstellung zur gelungenen Darbietung gratuliert. Es sind wahrlich intensive Wochen für die pro Abend gegen 110 Involvierten, die an 23 Vorstellungen noch bis zum 13. Mai im Casino zur grossen bunten Operetten-Show laden. Doch Wochen auch, die nicht nur Vogel, sondern sämtliche involvierten Zahnrädchen in vollen Zügen geniessen.
Johann Strauss, «Die Fledermaus», inszeniert von der Operettenbühne Bremgarten. Aufführungstermine und Vorverkauf unter www.operette-bremgarten.ch.