Hilfe unter Generationen
09.08.2024 BremgartenSeniorinnen und Senioren an der Primarschule
Seit mehr als zehn Jahren werden die Primarschulen in Bremgarten und Hermetschwil-Staffeln durch freiwillige pensionierte Helfende unterstützt. Eine von ihnen ist die Seniorin Marianne Kistler.
...Seniorinnen und Senioren an der Primarschule
Seit mehr als zehn Jahren werden die Primarschulen in Bremgarten und Hermetschwil-Staffeln durch freiwillige pensionierte Helfende unterstützt. Eine von ihnen ist die Seniorin Marianne Kistler.
Gianna Schläpfer
Wer einige Tage vor den Sommerferien den Eingang zum Kellertheater Bremgarten betrat, konnte bereits im Gang hören, dass hier aus vollen Lungen geübt wird. «Schiff ahoi!», sang die zweite Klasse aus Staffeln unter Anweisungen der Klassenlehrerin im Chor. In der ersten Reihe sass jedoch noch jemand: Marianne Kistler besucht die erste und zweite Klasse in Staffeln jeden Mittwochmorgen und unterstützt dabei Kinder und Lehrpersonen.
Das Projekt «Generationen im Klassenzimmer» wird von der Pro Senectute Aargau oder, wie im Falle von Bremgarten, direkt von der jeweiligen Schule selbst organisiert. An je einem halben Tag pro Woche besuchten im abgelaufenen Schuljahr vier Seniorinnen und Senioren eine Schul- oder Kindergartenklasse. Bei der unentgeltlichen Freiwilligenarbeit begegnen sich somit drei Generationen im Klassenzimmer.
Auch Kistler bringt sich mit Zeit, Geduld und Lebenserfahrungen in diese besondere Form des Lebenskundeunterrichts ein. Sie will da dabei sein, wo sie etwas beitragen kann. Selbst hat sie eine KV-Ausbildung absolviert und arbeitete vierzig Jahre lang bei einer Bank. Sie verfügt zwar über keine pädagogische Ausbildung, hat früher aber ein Kinder-Schwimmen geleitet.
Ein langjähriges Herzensprojekt
Seit zwölf Jahren engagiert sich Kistler jedes Schuljahr für «Generationen im Klassenzimmer». Wie viele Seniorinnen und Senioren, welche dem Projekt mehrere Jahre lang treu bleiben, wurde sie frühpensioniert. «Leider», wie sie meint, denn sie habe sich schwergetan, mit dem Arbeiten aufzuhören. Zusammen mit ihrem Mann sei sie dann auf das Schul-Senioren-Projekt aufmerksam geworden: «Das wäre doch etwas für uns, meinte er da, und nun machen wir das bereits seit 2012», so Kistler. Das liefere auch Gesprächsthemen zu Hause.
Während ihr Ehemann sich den älteren Primarklassen widmete, blieb Kistler immer den Jüngeren treu, wo sie sich sicherer fühle: «Zwei mal zwei, das weiss ich noch sicher, auch wenn sie behaupten, es gäbe fünf.» Sie schätzt aber auch den persönlichen Bezug zu den Kindern. Ihr Mann habe mit den älteren Kindern nie solchen Kontakt gehabt, wie sie ihn erlebt: «Die Kleinen erzählen einem eher noch etwas von ihrem Tag oder Ausflug. Sie kommen mit ihren Sorgen, beklagen sich nach einem Streit.» Auch zu den Klassenlehrpersonen, von welchen Kistler über ihre Zeit an der Schule viele miterlebte, seien Beziehungen entstanden, welche sie sehr schätzt.
Vielfältige Arbeit
An diesem Tag übt die zweite Klasse auf ihr Abschlusstheater hin. Schon eine ganze Woche arbeiten sie im Kellertheater. Noch stehen die Hauptprobe und die Vorführung für die Eltern am nächsten Tag bevor. Marianne passt auf, dass die Kinder still bleiben hinter dem grossen Vorhang, und übt mit einzelnen den Text. Es ist nicht das erste Schulschlusstheater, welches sie miterlebt. In ihrer Unterstützungsfunktion begleitet sie auch Klassenausflüge und Schulprojekte.
In der Projektgestaltung ist Marianne Kistler weniger involviert. Grundsätzlich können Senioren auch den Schulunterricht mitgestalten, sagt die abtretende Bremgarter Schulzyklus-Leiterin Eva Knecht-Riniker, die das Projekt jahrelang betreute und begleitete. Sie weiss von ihrer Schwester zu erzählen, welche im Kindergarten auch schon Projekte organisierte. Das liege bei den Seniorinnen selbst. Die Aufgaben, welche sie sich mit aussuchen, bieten diversen und vielseitigen Spielraum.
Nach der Pause arbeitet die Klassenlehrerin mit einzelnen Kindern auf der Bühne weiter, während Marianne den Rest der Klasse beim Rechnen unterstützt. Auf den Tischchen der Kellertheater-Bar breiten die Kleinen ihre Hefte aus, arbeiten still und selbstständig. Kistler geht umher und beantwortet Fragen im Flüsterton. Während ihr das Basteln nicht liegt, fühlt sie sich beim Schreiben und Rechnen gut aufgehoben. Meistens läuft ihre Arbeit auf Einzelunterstützung hinaus. «Man lernt auch dazu oder entdeckt längst Vergessenes von früher neu. Zum Beispiel Vogelstimmen und Dinosauriernamen.»
Kistler findet es interessant, die Entwicklung der Kinder mitzuerleben. Über die Jahre konnte sie Änderungen im Schulstoff und der Unterrichtsform beobachten. Auch die Lösungswege haben sich geändert. Selbst in den ersten Klassen werde nun der Wochenplan etabliert. Vorträge vor der Klasse und freie Arbeitseinteilung, das hat sie selbst in ihrer Primarzeit nicht erlebt: «Es wird heute viel mehr Selbstständigkeit gefördert und den Kindern mehr zugetraut.»
Auch stressige Mittwochmorgen habe es schon gegeben. Kistler erinnert sich an das letzte Jahr, in welchem sie Mühe mit der besuchten Klasse hatte. Kinder, welche nicht nur Quatsch machten, sondern generell nicht zuhören wollten, hätten sie auch schon ihre Mitarbeit infrage stellen lassen. Die jetzige Klasse sei da zum Glück ganz anders, meint Kistler beruhigt.
Ein nachhaltiges Modell der Unterrichtsbereicherung
Aufseiten der Schulleitung bestehen die Schwierigkeiten in den organisatorischen Hürden. Die Schule Bremgarten ist bemüht, für die Senioren die passenden Tage und Klassenstufen zu finden und sie mit einer ihnen entsprechenden Lehrperson zu verbinden. «Für mich war einfach wichtig, dass die Senioren sich wohlfühlen, da sie freiwillig zu uns kommen. Bei dieser unentgeltlichen Arbeit muss eine andere Art von Bereicherung und Wertschätzung von uns ausgehen», so Knecht-Riniker, die aufs neue Schuljahr hin von Roberto Picariello als Verantwortliche abgelöst wird.
Wunsch nach Weiterführung
Bremgarten arbeitet seit etwa vierzehn Jahren mit Seniorinnen und Senioren zusammen. Die Bereicherung sieht Knecht-Riniker in erster Linie darin, dass jemand mehr im Schulzimmer mithilft oder konkret mit einzelnen Kindern arbeitet. Jedoch auch die generationenübergreifende Sicht betont sie: «Das Aufeinandertreffen von zwei Generationen, die einen noch am Anfang des Lebens und die anderen schon weit hinten, das ist für die Beteiligten interessant.»
Für die Zukunft des Generationen-Projektes sei es wichtig, dass sich weiterhin Leute mit unterschiedlichen Hintergründen willkommen und inspiriert fühlen: «Ich wünsche mir, dass das Projekt weitergeht, dass man für diese Erfahrung offen bleibt», sagt die abtretende Schulleiterin.
Am Projekt «Generationen im Unterricht» interessierte Seniorinnen und Senioren können sich jederzeit bei der Schulleitung Bremgarten melden: Roberto.Picariello@bremgarten.ch.