Heutige Bibliothek als Turnhalle
22.07.2025 Zufikon, Region BremgartenVom «Lagervirus» befallen
Serie «Weisch no»: Renate Schüepp aus Zufikon
Die Zufikerin Renate Schüepp lebt mit einem kurzen Unterbruch seit ihrer Geburt im Dorf. Sie weiss viele Geschichten zu ...
Vom «Lagervirus» befallen
Serie «Weisch no»: Renate Schüepp aus Zufikon
Die Zufikerin Renate Schüepp lebt mit einem kurzen Unterbruch seit ihrer Geburt im Dorf. Sie weiss viele Geschichten zu erzählen.
30 Jahre unterrichtete Renate Schüepp an der Zufiker Schule. Sie engagierte und engagiert sich aber auch sonst gerne im Dorf. Und sie erinnert sich noch genau, wie um 1950 das heutige alte Gemeindehaus von der Bevölkerung genutzt wurde. Dort fanden unter anderem Vorführungen von Märchen statt. An diesen beteiligten sich viele Leute im Dorf. Pfarrer Juchli steckte Renate Schüepp mit dem Lagervirus an, sodass sie als Erwachsene bei sehr vielen mithalf. --rwi
Sommerserie «Weisch no» mit Renate Schüepp aus Zufikon
Renate Schüepp ist eine der Personen, die nicht nur in Zufikon aufgewachsen sind, sondern das Dorf auch mitgeprägt haben. Mit Vergnügen schaut sie zurück auf frühere Zeiten.
Roger Wetli
«Die Märchenspiele von Zufikon waren Ereignisse. Die Leute kamen von weit her», strahlt Renate Schüepp. Sie denkt dabei an die 1950er-Jahre zurück. Wo heute im alten Gemeindehaus die Dorfbibliothek untergebracht ist, wurde einst geturnt, es gab dort Konzerte, Theater, die Gemeindeversammlungen und eben die Märchenspiele. «Der Gemeindeschreiber hatte in diesem Gebäude ein Kämmerlein, in dem er seine Arbeit verrichtete», weiss Schüepp.
Kulturförderer Pfarrer Juchli
Mit grossem Respekt spricht die Zufikerin von Pfarrer Juchli. «Er kam 1950 ins Dorf, als ich zehn Jahre alt war. Der Pfarrer spielte Klavier und brachte Märchen als Singspiele zur Aufführung, wobei jeder Schüler eine Rolle bekam.» Das erste Märchen sei Hänsel und Gretel gewesen, dann folgten König Drosselbart und Dornröschen. «Das ganze Dorf half mit – also bei der Gestaltung des Bühnenbildes, und meine Mutter nähte Kostüme», lächelt sie. «Auch für uns Kinder waren diese Aufführungen etwas Grosses.»
Renate Schüepp erinnert sich daran, dass Pfarrer Juchli auch die Tradition der Lager nach Zufikon brachte. «Er war zuvor in Bern aktiv und kannte diese Lager von den Pfadis. Dank seinem Kontakt zu einem Lehrer im Tessin in Brusino Arsizio durften die Zufiker Buben vor dessen Haus zelten.» Seien beim ersten Lager nur Knaben zugelassen gewesen, kamen danach auch die Mädchen mit. «Wir Mädchen übernachteten allerdings separat von den Buben in einem alten Haus, bei dem die Fenster fehlten. Wir mussten Deckenanzüge mitnehmen, die wir mit Stroh vor Ort zu Matratzen füllten.» Gekocht worden sei in diesen Lagern auf dem offenen Feuer durch Hedy Schüepp, eine Lehrerin, die weit aussen mit ihr verwandt gewesen sei.
Pfarrer Juchli habe zudem in Zufikon den Jugendchor aufgebaut, den es bis heute gibt.
Weite Felder und Wiesen
Spricht Renate Schüepp von «ihrem Dorf», entstehen farbige weite Bilder. «Das Belvédère-Quartier war noch leer von Häusern. In Richtung Emaus standen ausser dieser Einsiedelei erst das alte Restaurant und ein einziges Langhaus.» Sie selbst wuchs an der Zugerstrasse auf, welche Bremgarten mit dem Kelleramt verbindet. «Auch hier gab es fast keine Häuser, die Strasse war nur dünn besiedelt. Wo heute Benzin getankt wird, stand ein Bauernhof, der von den Tenischs aus dem Wallis bewirtschaftet wurde. Bei diesen Nachbarn halfen wir Kinder gerne beim Heuen und Mosten und bei der Herstellung der Träschstöckli, die im Winter verheizt wurden. Dieser Bauernhof war unser Eldorado beim Versteckspiel, und oft kletterten wir auch auf die Heubühne, was gefährlich und eigentlich verboten war», erinnert sie sich.
«In unserem Häuschen, wohl einem der ältesten von Zufikon, gab es einst eine Kachelibrennerei, deren Brennrohr noch im Keller zu sehen war.» Beim kürzlich erfolgten Aushub seien noch Kachelscherben aufgetaucht. Renate Schüepps Tante wohnte im Obergeschoss, ihre Eltern mit sechs Kindern im Erdgeschoss. Sie zählt auf: «Dazu gehörten eine Ecke ohne Fenster als Küche, die Stube, zwei Schlafzimmerchen und das Plumpsklo draussen im Schopf.» Geheizt worden sei mit einem Holzofen. Als Ortsbürger hätten sie Anrecht auf Holz aus dem Ortsbürgerwald gehabt.
Wenn Renate Schüepp zurückschaut, erinnert sie sich daran, dass sie wenig Kontakt mit anderen Kindern hatte. Auch in der Familie nicht, da ihre Schwester drei Jahre älter und der kleine Bruder drei Jahre jünger war. Aber bei den Nachbarn im Haus hinter ihnen gab es eine Schuhmacherwerkstatt, wo sie im Vorschulalter oft Herrn Gut bei der Arbeit zusah.
Die Unterstufenlehrerin wohnte im übernächsten Haus. «Ihr Schulweg führte bei uns vorbei. Ich war stolz, Fräulein Jetzer zu begleiten und den Schulschlüssel tragen zu dürfen.» Der Platz vor der heutigen Dorfbibliothek und damaligen Schule sei ein wichtiger Pausen- und Spielplatz gewesen. Ein Spiel der Oberstufen-Buben habe «Fuchs usem Loch» geheissen. «Ein Kind stand im Bogen der heutigen Bibliothek und musste von dort zu einem Baum rennen. Es wurde dabei von den anderen mit Stoffnastüchern geschlagen. Das ging so lange gut, bis darin Steine eingebunden wurden.»
Renate Schüepp erinnert sich daran, dass die Schüler auch mithelfen mussten, die schädlichen Insekten zu vernichten. Zum Beispiel frassen die Maikäfer ganze Bäume kahl. «Man machte sich frühmorgens mit Tüchern und Bränten auf zum Sädel. Dort schüttelte man die noch steifen Käfer herunter, sammelte sie in den Bränten und ein Bauer schüttete sie ins Jaucheloch.» Auch die Kartoffelkäfer mit den Larven und Eiern mussten abgelesen werden. «Das war ziemlich unappetitlich», schaudert es sie noch heute.
Schulbrunnen von 1968
Renate Schüepp besuchte die Bezirksschule in Bremgarten, bildete sich zur Primarschullehrerin aus und unterrichtete ein Jahr in Oberfrick, vier Jahre in Untersiggenthal und schliesslich drei Jahre in Madagaskar. «Als ich zurück in Zufikon war, fragte mich die Schulpflege, ob ich bereit wäre, als Sekundarlehrerin in Zufikon zu unterrichten. Man könnte eine Sekundarschule eröffnen, wenn man nur einen Lehrer oder eine Lehrerin fände. Ich wollte schon, konnte es mir aber nicht leisten, noch ein Jahr ohne Lohn für das erforderte Französischstudium einzusetzen.» Da sie aber in Madagaskar drei Jahre auf Französisch unterrichtet hatte, konnte sie die Prüfung direkt absolvieren – und Zufikon 1969 die Sekundarschule eröffnen. «Der noch heute beim Schulhaus stehende Brunnen der Zufiker Künstlerin Hegnauer wurde kurz vor meiner Heimkehr aus Madagaskar eingeweiht. Er begleitete mich all die 30 Jahre, an denen ich an der Zufiker Schule tätig gewesen bin.»
Bahn wartete auf verspätete Passagiere
Bis heute ist sie dem Dorf treu geblieben. «Ich hatte hier immer sinnstiftende Arbeiten», ist Schüepp dankbar. «Ich leitete die Turnerinnen im Turnverein und gründete eine Mädchenriege, nachdem mich ein paar Mädchen fragten: ‹Fräulein Schüepp: Die Buben dürfen turnen und wir nicht.›» Als ihr Bruder den Damenturnerinnen einen Volleyball schenkte, unter der Bedingung, dass diese den Sport auch spielen, waren die Damen mit Eifer dabei. Später entstand daraus eine eigene Volleyballgruppe. Auch den Jugend- und Kirchenchor leitete Renate Schüepp vierzig Jahre lang.
Sie sei damit immer gut vernetzt geblieben. «Und ich war ein Lagerfreak. Ob Pfarrei-, Ski- oder Schullager mit teilweise sechzig Schülern: Ich habe diese Lager immer gerne geleitet.» Durch all diese Tätigkeiten kenne sie heute noch viele ehemalige Schüler. «Und es ist immer ein Plausch, wenn mich diese Personen heute ansprechen», strahlt sie.
Eine lustige Erinnerung möchte sie noch zum Besten geben. «In den 50er-Jahren wartete die Bremgarten-Dietikon-Bahn teilweise noch auf Passagiere, wenn diese zu spät am Bahnhof waren. Meine Mutter war stark gehbehindert und brauchte lange für den Weg. So mussten wir Kinder vorausrennen und sagen: ‹Bitte, noni abfahre, s Mueti chunnt no.›» Der Bahnhof sei damals noch dort gewesen, wo jetzt die Postautos stehen. «Es gab wohl noch keinen Taktfahrplan. Dafür wurden während der warmen Jahreszeit offene Sommerwagen angehängt.»
«Weisch no»
In der diesjährigen Sommerserie «Weisch no» treffen sich Redaktoren und Redaktorinnen mit Menschen, die (fast) ihr ganzes Leben im gleichen Dorf verbracht haben, und sprechen mit ihnen darüber, wie es in ihrem Dorf früher ausgesehen hat, welche Erinnerungen an die alten Zeiten sie haben, was sie allenfalls vermissen, was heute vielleicht besser ist als früher und vielerlei mehr.