Grosses Jubiläum zum Abschied
11.04.2025 BremgartenNach 50 Jahren: Die Georg Utz AG verliert in diesen Tagen ihren treusten Mitarbeiter
Ein halbes Jahrhundert hat Urs Brun dem Bremgarter Traditionsunternehmen die Stange gehalten. Nun wird er pensioniert. Selbst für einen grossen Arbeitgeber wie die Utz ist seine ...
Nach 50 Jahren: Die Georg Utz AG verliert in diesen Tagen ihren treusten Mitarbeiter
Ein halbes Jahrhundert hat Urs Brun dem Bremgarter Traditionsunternehmen die Stange gehalten. Nun wird er pensioniert. Selbst für einen grossen Arbeitgeber wie die Utz ist seine jahrzehntelange Treue beispiellos. Und über all die Jahre hat sich viel Berichtenswertes ereignet.
Marco Huwyler
Über Georg Utz werden in Bremgarten viele Geschichten erzählt. Die meisten davon sind von Ehrfurcht geprägt. Schliesslich hat der Mann in Bremgarten so viel bewirkt wie kaum jemand sonst. Und doch sind sie langsam rar gesät, jene Menschen, die vom Alltag mit dem Gründer der grössten Bremgarter Firma aus eigener Erfahrung berichten können. Urs Brun ist einer von ihnen. Und der letzte Aktive bei der Georg Utz AG, der bereits unter dem Firmengründer gearbeitet hat.
Nicht für jeden erreichbar
Auch abgesehen vom charismatischen Patron von einst hat Brun über die Jahre einiges erlebt bei der Utz. Sein ganzes Berufsleben hat er dem Traditionsunternehmen gewidmet. Und ein ganzes Berufsleben ist im Falle des heute 65-Jährigen eine wahrhaft lange Zeit. Kaum jemand ist heutzutage überhaupt noch ein halbes Jahrhundert arbeitstätig – geschweige denn bei derselben Firma. Doch Brun hat es von der Lehre an stets gefallen in seinem Job als Erbauer von Formen aller Art. Und sein Bremgarter Arbeitgeber war auch immer angetan von dessen Leistungen.
Dennoch ist nun die Zeit des Abschieds gekommen. Am 16. April wird der Bremgarter auf den Tag genau 50 Jahre bei Utz beschäftigt gewesen sein. Zwei Wochen später, Ende April, ist für ihn endgültig Schluss. Wir haben uns vor diesen letzten Tagen mit dem aussergewöhnlichen Arbeitnehmer getroffen und mit Urs Brun zurückgeblickt auf die vergangenen fünf Jahrzehnte eines Berufslebens, das trotz beispielloser Konstanz nie eintönig war.
Abgang des Treusten
Urs Brun arbeitete 50 Jahre lang bei der Georg Utz AG
Er war der letzte Angestellte, der den charismatischen Firmengründer Georg Utz noch als Chef kennenlernte. Nun endet nach einem halben Jahrhundert die berufliche Karriere von Urs Brun. Eine Laufbahn, die er einzig und alleine dem Bremgarter Familienunternehmen widmete. Der gegenseitige Respekt ist gross. Genauso der Erinnerungsschatz.
Marco Huwyler
In knapp einer Woche, am 16. April, da feiert er ein Jubiläum, das es offiziell gar nicht gibt. Für 10, 20, 25, 30 und 40 Jahre Utz ist man beim Bremgarter Traditionsbetrieb gut vorbereitet. Da gibt es jeweils festgelegte Belohnungen, Gutscheine und Geschenke. Aber 50 Jahre? So was Aussergewöhnliches ist nicht reglementiert. «Ich bin deshalb gespannt, ob mich etwas erwartet», lächelt Urs Brun.
Dass der Tag und seine Bedeutung bei der Georg Utz AG ignoriert wird, scheint indes äusserst unwahrscheinlich. Schliesslich hat man den Vertrag mit seinem dienstältesten Mitarbeiter extra nochmals um einen Monat verlängert, damit er das halbe Jahrhundert tatsächlich komplettieren kann. Eigentlich wäre der 65-Jährige nämlich bereits Ende März pensioniert worden. Geschäftsführer Carsten Diekmann persönlich war aber auf den aussergewöhnlichen Umstand aufmerksam geworden und hatte die Verlängerung veranlasst. Für Brun ein Akt der Wertschätzung, der exemplarisch für die Menschlichkeit des Bremgarter Unternehmens steht, die er all die Jahre lang immer spürte. «Es sind wohl diese Dinge, die mich so lange hier gehalten haben», lächelt er.
Die Aura des Patrons
Urs Brun war noch ein Bub, als er 1975 erstmals mit seinem Vater das Firmengelände in der Unterstadt aufsuchte und seinen Lehrvertrag unterschrieb. «Etwas mit den Händen», habe er damals arbeiten wollen, «weil ich ein gewisses Geschick und Freude daran mitbrachte.» So habe ihn sein Vater eben zu Utz gebracht. Die erste Adresse für derlei in Bremgarten. Brun erinnert sich lebhaft an seine Anfangszeit als 15-jähriger angehender Werkzeugmacher. Eine Tätigkeit, die ihm von Anfang an behagte.
Besonderen Eindruck in dieser Zeit hinterliess beim jungen Bremgarter natürlich der Firmengründer Georg Utz, der damals noch höchstpersönlich nach dem Rechten sah. «Ich hatte einen Heidenrespekt vor ihm», sagt Brun. Wenn der oberste Chef den Raum betreten habe, sei sogleich ein Wechsel der Atmosphäre spürbar gewesen. «Der Puls schlug mir jeweils bis zum Hals und ich hatte ein schlechtes Gewissen, auch wenn ich gar nichts angestellt hatte», lacht Brun. Denn Georg Utz, Wirtschaftspatron, grosser Bremgarter Gönner und Ex-Stadtammann, ist damals eine Respektsperson sondergleichen im Städtli – und einer, der ein untrügliches Gespür für den Menschen mitbringt.
Der Chef findet Bier – Martha bringt «Znüni»
«Er durchschaute seine Angestellten jedes Mal», schmunzelt Brun. Etwa, wenn diese während der Arbeit Bier tranken, was damals in handwerklichen Betrieben noch durchaus Usus war. «Ich weiss noch genau, als die Handwerker die leeren Flaschen unter einem Eimer versteckten – und prompt hat er gefragt, ob mal jemand bitte diesen Eimer hochheben kann.» Hochgezogene Augenbrauen reichten, damit sich derlei so gewiss nicht wiederholte. «Auch zu spät zu kommen traute sich kaum jemand», erzählt Brun lächelnd. Denn Georg Utz pflegte am Morgen jeweils auf dem Bänkli vor seiner Firma zu sitzen. «Und er registrierte trotz Zeitungslektüre haargenau, wer wann und in welchem Zustand seinen Schichtbeginn antrat», schmunzelt Brun.
Die Entscheidungswege bei Utz in den 70er- und 80er-Jahren waren kurz und fast alle Chefsache. Wobei der Firmengründer bei Brun nicht nur wegen seiner Aura des Respekts in Erinnerung geblieben ist. «Wir Lehrlinge mussten manchmal auch bei ihm persönlich Dinge erledigen», erzählt der 65-Jährige. Vom Zuhause der Utz im Itenhard-Quartier ist ihm nicht nur das schöne Anwesen, sondern auch der herzliche Umgang, der dort herrschte, geblieben. «Und Martha Utz sorgte immer dafür, dass alle Arbeiter ein ‹rechtes Znüni› erhielten», lächelt Brun.
Arbeiten an der «Sonne»
Bis zu seinem Tod 1988 sei Georg Utz in der Firma präsent gewesen, selbst nach seinem Hirnschlag. «Auch wenn er ebenfalls viel seiner Zeit in die ‹Sonne› steckte, die ihm am Herzen lag wie kaum sonst etwas.» Auch Brun hat zuweilen Arbeiten im Hotel im Herzen der Altstadt erledigt, das nach dem Erwerb durch Utz von einem «Räuberlokal» zu einem wahren Schmuckstück wurde. «Die Grenzen für uns Angestellten waren fliessend damals – wir arbeiteten einfach für ihn. Meist in der Firma – aber, wenn es nötig war, auch andernorts», erzählt der langjährige Mitarbeiter. So ist es auch vorgekommen, dass Urs Brun in seinen Anfangszeiten mit den anderen Lehrlingen zum Heuen auf den Wiesen seines Chefs eingesetzt wurde. «Es war auf jeden Fall abwechslungsreich und immer spannend», lächelt Brun.
Auch nach dem Patron familiär geblieben
Natürlich hinterliess der Firmengründer eine grosse Lücke im Unternehmen. Aber eine, die von seinen Nachfolgern gut gefüllt wurde. «Auch nach dem Tod von Georg Utz ist es immer familiär geblieben. Das ist angesichts des Wachstums und der Grösse des Unternehmens nicht selbstverständlich», sagt Brun. Auch die Nachkommen des Patrons sind nach wie vor präsent, was nicht nur Brun, sondern auch andere Mitarbeitende schätzen. «Beispielsweise haben sie an Jahresendfeiern persönlich die Bar für uns betrieben», sagt er. «Solche Gesten machen viel aus und sind ein Grund, weshalb man sich mit einem Betrieb identifiziert.»
Beinahe ein Irak-Abenteuer
Die Wertschätzung zwischen Brun und der Georg Utz AG beruhte indes all die Jahre lang auch auf Gegenseitigkeit. «Als ich einmal ein lukratives Angebot von der Konkurrenz erhielt, hat man mir klar zu verstehen gegeben, dass man mich unbedingt in Bremgarten behalten möchte – verbunden mit einer Lohnerhöhung», erzählt Brun lächelnd. Dennoch ist seine aussergewöhnliche Treue durchaus auch auf die Probe gestellt worden und hing einmal an einem seidenen Faden. «Nach der Jahrtausendwende hatte ich die Gelegenheit, im Irak am Aufbau einer Produktionsfirma mitzuwirken.» Das Abenteuer in der Ferne und die besondere Herausforderung hätte Brun gereizt. «Ich hätte wohl letztlich angenommen», erzählt er unverblümt.
Stattdessen eine Weltreise
Doch just dann brach die USA einen Krieg mit dem Land von Saddam Hussein vom Zaun – und die Pläne waren vom Tisch. Das Projekt wurde nie umgesetzt und Brun blieb in Bremgarten. «So war es letztlich auch Schicksal, dass ich mein ganzes Berufsleben bei der Utz verbrachte», sagt Brun. Statt zum Arbeiten begab sich der Bremgarter ferienhalber auf fremde Kontinente. Ein Jahr ging er nach dem gescheiterten Irak-Abenteuer auf Weltreise. Auch dies gebilligt durch seinen Arbeitgeber, der ihn nach der Rückkehr wieder mit offenen Armen in Bremgarten empfing.
Ganz viel Wandel erlebt
Damit Brun ein halbes Jahrhundert als Formenbauer bei Utz aktiv sein konnte, bedurfte es auch einiges an Anpassungsfähigkeit in einer Branche, die sich zuweilen rasend entwickelte. «Man muss definitiv mit der Zeit gehen», sagt der 65-Jährige. Er hat den kompletten Wandel von der manuellen Mechanik hin zur umfassenden Digitalisierung mitgemacht. «Während wir früher noch mit der Handkurbel arbeiteten, geht heute ganz vieles über den Computer.»
Im Fall der Georg Utz AG ist es aber nicht nur die Technik, sondern auch die Produktepalette gewesen, die all die Jahre stets im Wandel begriffen war und sich der Nachfrage des Marktes anpasste. «Früher haben wir auch noch Alltagsartikel wie Babybadewannen, Wäschezeinen oder Fasnachtsplaketten hergestellt», erzählt Brun. Eine Diversifizierung, die sich der Weltmarktführer für massgeschneiderte Mehrwegverpackungen längst nicht mehr leistet.
Mit dem Nachfolger schliesst sich ein Kreis
Trotz allen Veränderungen blieb Brun, der sich ständig weiterbildete, stets wertvoll für die Firma, der er sich verschrieben hatte. Zuletzt in diesen Wochen und Monaten auch noch zur Einarbeitung seines eigenen Nachfolgers. Eine Arbeit, die ihn erfüllt – denn auch Brun ist es wichtig, dass es nach ihm nahtlos weitergeht. Mit seinem rund zehn Jahre jüngeren Erben bei Utz versteht er sich bestens. «Es ist lustig – ich kannte ihn bereits von vor vielen Jahren, als er sich hier bei uns in der Firma seine ersten Sporen abverdiente und ich schon etwas älter war. Auch mein Nachfolger hat Georg Utz noch kurz erlebt, bevor es ihn anderswohin verschlug.» So bleibt diese besondere Erfahrung dem Unternehmen trotz dem Abgang seines mit Abstand Dienstältesten erhalten. «Auch ein schöner Kreis, der sich schliesst», findet Brun.
Künftig ein Hundebesitzer
Vor der Zeit als Pensionär hat der Ur-Utzler zwar Respekt – doch Brun freut sich auch sehr darauf. «Ich habe viele Ideen, was ich die nächsten Jahre noch alles machen könnte», lächelt er. «Es wird mir bestimmt nicht so schnell langweilig, auch wenn natürlich ein grosser Teil des Lebensinhaltes wegbricht.» Eines steht schon jetzt fest: Brun wird sich einen Hund zutun. «Die Suche danach ist im Gange», sagt er. Ein Tier, das wie kein anderes im Ruf steht, eine treue Seele zu sein. Wie passend. Die beiden werden sich gut verstehen.



