Gemeinsam ein Hobby begraben
30.12.2022 BremgartenBesondere Momente im Redaktionsalltag: Treffen mit Federer-Maler Edgar Gächter
Marco Huwyler
Nein, eigentlich war die Nachricht vom 15. September keine grosse Überraschung. Gerüchte gab es seit Wochen. Und von einem 41-Jährigen ...
Besondere Momente im Redaktionsalltag: Treffen mit Federer-Maler Edgar Gächter
Marco Huwyler
Nein, eigentlich war die Nachricht vom 15. September keine grosse Überraschung. Gerüchte gab es seit Wochen. Und von einem 41-Jährigen mit lädiertem Knie, der deshalb seit über einem Jahr keinen Tennismatch mehr bestritten hatte, konnte man nach rationalen Massstäben kaum mehr ein wunderhaftes Comeback auf der Weltbühne des knallharten Leistungssports erwarten. Dennoch war die Meldung von Roger Federers Rücktritt ein kleiner Schock für mich.
Schliesslich war das Verfolgen der Spiele und Mitfiebern über die ganze Karriere des Baselbieters hinweg über all die Jahre, wie für so viele Schweizer, ein richtig lieb gewonnenes Hobby gewesen. Jeder Federer-Match bei jedem noch so kleinen Turnier war ein Highlight, das ich mir wenn möglich nicht entgehen liess. Ich freute mich über seine zahlreichen Rekorde, als wären es meine eigenen. Und wir hatten noch Ziele miteinander. Auch wenn sie mit jedem Tag, der ins Land ging, ohne dass der Maestro wieder spielte, ein wenig unrealistischer geworden waren.
Endgültigkeit hinterlässt Leere
Erreichen wollte ich nicht bloss die offensichtlichen, wie etwa Rafael Nadal als Grand-Slam-Rekordsieger wieder abzulösen. Nein, längst war ich über die Jahre zum Statistikfreak geworden. Sowohl was das grosse Ganze, aber auch was die Details anbelangt.
So jubilierte ich bei jedem Titel auch deshalb, weil sich der Abstand zum Rekord von Jimmy Connors weiter verringerte (bei 103 zu 109 war leider Schluss). Bei den Masters-Turnieren von Rom und Monte Carlo fieberte ich jahrelang besonders intensiv mit, weil es die einzigen waren, die Federer nie gewinnen konnte. Und selbst bei jedem geschlagenen Ass des Schweizers freute ich mich, dass die Lücke zu den Aufschlagsriesen Karlovic und Isner in der All-Time-Statistik ein winziges bisschen kleiner wurde (sein letztes und 11 478stes schlug Federer verletzt bei der krachenden Niederlage im Wimbledon-Viertelfinal gegen Hubert Hurkacz, womit er hier die Nummer 3 bleibt).
Beispiele wie diese gibt es unzählige. Über all die Jahre war ich zu einem richtigen Experten des Tenniszirkus geworden und kannte alle Facetten des Spiels und seiner Darsteller bis ins Kleinste.
Ohne Federer auf der Tour aber interessiert mich das alles nicht mehr. Auf einen Schlag, auch wenn er sich ankündigte, war alles vorbei. Ich begann Tennis zu schauen wegen Federer und werde mit seinem Abgang auch wieder damit aufhören. Zu eng verknüpft ist für mich die Sportart mit seiner Person. Zu schön war sein Spiel, an dessen Grazie einfach kein anderer auch nur annähernd herankommt. Die Endgültigkeit und Gewissheit darüber, dass ich mit seinem Rücktritt auch eines meiner Hobbys unwiederbringlich verloren hatte, hinterliess eine schmerzhafte Leere, das will ich nicht verhehlen.
Kunst zur Verarbeitung
Deshalb tat es mir gut, dass ich just in jenem Moment beruflich jemandem begegnen durfte, dem es genauso ging. Allermindestens. Der frühere Bremgarter Pöstler Edgar Gächter hatte die Karriere von Roger Federer nämlich zu seiner eigenen grossen Leidenschaft gemacht, indem er sie nicht bloss intensiv verfolgte, sondern darüber hinaus auch noch künstlerisch begleitete. Über 70 Bilder des Maestros hat er im Verlaufe von dessen Karriere gemalt. Ich durfte Gächter im Vorfeld einer Ausstellung treffen, die er zu Ehren der Karriere Federers veranstaltete und wo er all seine über die Jahre entstandenen Werke vom Schweizer Weltsportler nochmals einer breiten Öffentlichkeit präsentierte.
Auch Gächter hat über all die Jahre kaum ein Spiel von Federer verpasst. Wenn diese in Australien oder den USA stattfanden, dann verzichtete er selbstverständlich auf Schlaf. Bei wichtigen Spielen ging er später zur Arbeit. Und Siege und Niederlagen, die ihm persönlich gleichermassen nahegingen, verarbeitete er in seinen Bildern, die so auch zu einem Abbild von Federers Karriere wurden.
Für Gächter war Federers Rücktritt deshalb auch das Ende eines eigenen Lebensabschnitts. Jahrelang zeichnete der passionierte Künstler ausschliesslich den Tennis-Maestro. Mit der Malerei wird er vorerst ganz aufhören. Genauso wie ich den Tenniszirkus, wenn überhaupt, nur noch am Rande verfolgen werde. Gemeinsam begruben wir also bei unserem Treffen sozusagen ein lieb gewonnenes Hobby. Eines, das für ihn gar noch viel mehr als das gewesen war.
Faszinierende Geschichte als Maler
Normalerweise dauern Interviews für eine Zeitung selten länger als zwei Stunden. In Gächters Wohnung aber war ich den ganzen Nachmittag. Wir liessen sportliche Erinnerungen Revue passieren und fachsimpelten über so manches. Alles in der überaus passenden Gegenwart zahlreicher beeindruckender Bilder von einzigartigen Momenten einer beispiellosen Karriere.
Doch nicht bloss Federer gab Anlass für stundenlanges Reden, sondern vor allem auch der Bremgarter, der ihn malte. Ich erfuhr, wie Gächter den Maestro einst persönlich getroffen hatte. Dass er mit dessen Mutter im Austausch ist und vom Management des Weltstars die offizielle Erlaubnis hat, Bilder von Federer zu verkaufen. Ich lauschte gebannt der faszinierenden Geschichte hinter Edgar Gächters Wirken als Maler, der neben seinem Hauptberuf als Bremgarter Pöstler nicht bloss Federer, sondern auch zahlreiche weitere Weltstars aus Sport- und Showbusiness kennenlernte, indem er sie malte und mit dem Ergebnis konfrontierte.
Andenken für zweierlei
Am Ende dieses äusserst kurzweiligen Nachmittags war der Schmerz in mir über den Verlust vom Federer-Tennis als Hobby zumindest ein wenig gelindert. Gächter wird es allenfalls ähnlich gegangen sein. Auf jeden Fall überraschte er mich zum Abschied, indem er mich mit einem kleinen Federer-Porträt aus seiner Feder beschenkte. Dieses wird mich fortan nicht bloss an die grossartige Karriere des besten Schweizer Sportlers aller Zeiten, sondern auch an die Begegnung mit einem besonderen Maler und Menschen aus Bremgarten erinnern.