Geht nicht gibts nicht
12.09.2025 Dintikon, Region Unterfreiamt, GewerbeDie Viktor Rätzer AG in Dintikon feiert das 100-Jahr-Jubiläum mit einem Tag der offenen Tür
Mit einer kleinen Werkstatt für Velos in einem Schopf neben dem Haus hat einst alles angefangen. Heute hat sich die Viktor Rätzer AG mit ihren ...
Die Viktor Rätzer AG in Dintikon feiert das 100-Jahr-Jubiläum mit einem Tag der offenen Tür
Mit einer kleinen Werkstatt für Velos in einem Schopf neben dem Haus hat einst alles angefangen. Heute hat sich die Viktor Rätzer AG mit ihren Dienstleistungen und Produkten weltweit einen Namen gemacht. Mit Remo und Martin Müller ist die vierte Generation am Ruder.
Chregi Hansen
«Viele meinen noch immer, dass wir hier einfach Veloteile herstellen», sagt Rolf Müller lächelnd beim Gang durch die Hallen. Nur wenige wissen, dass in der Stanzerei der Viktor Rätzer AG in Dintikon die weltweit qualitativ besten Erdkabelzangen für Schweissgeräte sowie Erdungszangen für die Elektrostatik hergestellt werden – Produkte, die Abnehmer auf der ganzen Welt finden. Wobei: Wenn ein Freiämter noch ein Ersatzteil braucht für die jahrzehntealte Velopumpe, dann bekommt er dieses immer noch. «Unsere grosse Stärke ist unsere Vielfalt», betont Rolf Müller.
Die Verdienste des Firmengründers ehren
Diese Vielfalt will das Unternehmen am 20. September präsentieren. Aus Anlass des 100. Geburtstags lädt die Viktor Rätzer AG zum Tag der offenen Tür. «Wir haben uns viele Gedanken gemacht, wie wir dieses Jubiläum feiern wollen», sagt Remo Müller, der neue Geschäftsleiter. «Für uns war klar, dass wir die Organisation in den eigenen Händen behalten. Wie eigentlich alles, was wir machen.» Ziel sei es, den Menschen zu zeigen, was in den Hallen geleistet wird – darum läuft an diesem Tag auch die Produktion. Aber es soll auch gefeiert und angestossen werden. Nicht zuletzt mit vielen ehemaligen Mitarbeitern. Rund 160 Personen fanden in der Firmengeschichte hier Arbeit und Verdienst, sagt Rolf Müller stolz.
An diesem Tag sollen aber auch die Verdienste des Firmengründers geehrt werden. Viktor Rätzer, geboren 1902, gestorben 1999, hat vor 100 Jahren den Grundstein für den Erfolg gelegt. Wenn der ehemalige Geschäftsführer und heutige Verwaltungsratspräsident Rolf Müller über seinen Grossvater spricht, kommt er ins Schwärmen. «Er war ein Tüftler, fast schon ein Genie. Er hatte immer neue Ideen und hat die Firma stets den veränderten Rahmenbedingungen angepasst», sagt er. Und Viktor Rätzer war seiner Zeit stets voraus. Er hat schon früh eine Galvanikabteilung aufgebaut für die Metallveredlung. 1938 gewann der Dintiker an der Erfindermesse in Brüssel eine Goldmedaille für den stufenlosen Riemenantrieb, Variator genannt – eine technische Revolution zu jener Zeit. «Er war der Erste im Dorf mit einem Telefon und fuhr auch als Erster ein Auto und bot auch Taxidienste an», berichtet sein Enkel. Viktor Rätzer hat schon vor Jahrzehnten ein erstes Trottinett mit Elektroantrieb entwickelt – also lange vor dem Boom der E-Scooter. Er hat Werkzeuge von Hand gezeichnet, an denen damalige CAD-Programme gescheitert sind. «Er hat alles, was er gemacht hat, ständig weiterentwickelt und noch besser gemacht», so Rolf Müller.
Prototypen aus dem 3D-Drucker
Heute sind die Urenkel von Viktor Rätzer am Steuer. Remo Müller als Geschäftsführer und Leiter Verkauf, Einkauf und Spedition. Bruder Martin als Leiter Finanzen und Personalwesen. Zudem hat Martin Müller vor zehn Jahren eine eigene Firma gegründet, die BeschrifTinu Werbetechnik GmbH, welche in den bestehenden Fabrikräumen in Dintikon eingemietet ist und am 20. September ebenfalls Jubiläum feiern kann – den 10. Geburtstag. «Ein Kollege hat mir vor einigen Jahren seinen Plotter überlassen und ich habe angefangen, nebenbei Folien zu bedrucken, etwa für Autos. Das Ganze ist immer grösser geworden, sodass ich vor zehn Jahren eine eigene Firma gegründet habe», erzählt der gelernte Polymechaniker.
Heute ist das Unternehmen Spezialist für Beschriftungen, Stickereien und Textildruck, bietet den Firmen und Vereinen individuelle Onlineshops an, wo die in Dintikon produzierten Produkte bequem und einfach bestellt werden können. «Wir sind enorm gewachsen in den letzten Jahren», erklärt Martin Müller stolz.
Rolf Müller freut sich über den Erfolg von Sohn Martin. Er hat zudem in den letzten Jahren Sohn Remo immer mehr Verantwortung abgegeben und ihm letztes Jahr die Geschäftsleitung übertragen. «Das ist der optimale Fall, so hat jeder der beiden seinen Bereich, für den er zuständig ist», sagt er. Dass Remo seine Nachfolge antrat, ist nicht selbstverständlich. Der gelernte Automatiker besass eine gute Anstellung als Produktions- und Prüffeldleiter in einer anderen Firma «Aber die Viktor Rätzer AG ist für uns eine Herzensangelegenheit. Wir möchten das weiterführen, was unsere Vorfahren aufgebaut haben», sagt der neue Geschäftsführer. Und auch er hat bereits Ideen. So setzt die Firma jetzt auch 3D-Drucker ein. «So können wir Prototypen von Teilen entwickeln und mit den Kunden anschauen, ob es funktioniert, bevor wir in die Serienproduktion gehen», sagt er.
Flexibel für Kleinmengen
Vater Rolf Müller machte ebenfalls erst Karriere in einem anderen Unternehmen, bevor er ins Familienunternehmen zurückkehrte und 2004 die Nachfolge seiner beiden Onkel Werner und Ernst Rätzer übernahm. Er hat das Unternehmen seines Grossvaters erfolgreich in die Zukunft geführt. «Wir haben immer auf Qualität gesetzt. Wir waren vielleicht etwas teurer als die Konkurrenz, aber dafür auch besser», betont der Verwaltungsratspräsident. Der Firmengründer hat viele seiner Entwicklungen patentieren lassen, so etwa die Marke Original Fix, die allen Schweissern weltweit ein Begriff ist. «Wir liefern unseren Schweisszubehör in die ganze Welt. 80 Prozent unserer Produktion gehen in den Export», erklärt Remo Müller.
Neben diversen Standardprodukten setzt das Unternehmen aber auch stark auf Kundenaufträge. «Wir sind klein und flexibel. Es gibt fast nichts, was wir nicht möglich machen. Und wir können auch kleinere Mengen produzieren», sagt der jetzige Geschäftsführer. «Mit der Konstruktion, dem Werkzeugbau und der Produktion können wir für Kunden die komplette Lösung von der Entwicklung bis zum fertigen Teil anbieten.» Und man reagiert schnell. Nachdem mehrere Stanzereien in der Umgebung den Betrieb einstellen, will die Viktor Rätzer AG diesen Bereich ausbauen.
Sich antizyklisch verhalten, das war schon immer ein Credo des Dintiker Unternehmens. Das hat auch Gründer Viktor Rätzer bewiesen, als er 1942 mit dem eigenen Maschinenbau begann, als wegen des Zweiten Weltkriegs die Lieferungen ausblieben. Auch wurde immer wieder in den Betrieb investiert – und zwar immer dann, wenn auch Geld da war für eine neue Maschine. «Um in Krisen investieren zu können, braucht es ein gutes Fundament», weiss Rolf Müller. Heute beschäftigt das Unternehmen rund ein Dutzend Mitarbeiter. Die meisten kommen aus der Region, viele blieben und bleiben dem Unternehmen über Jahrzehnte treu. Darum freuen sich die Inhaber auch, dass sich für das Jubiläum rund 40 Ehemalige angemeldet haben.
Tradition und Moderne vereint
«Die drei Generationen vor uns haben die Firma und die Abläufe immer wieder angepasst, jetzt liegt es an uns, das Familienunternehmen zu modernisieren und erfolgreich in die Zukunft zu führen», sagt der neue Geschäftsführer. So hat die Firma beispielsweise seit Kurzem eine moderne Website. In diesem Jahr wurde auch der neue Folgeverbund-Stanzautomat in Betrieb genommen, um Produktionsprozesse weiter zu optimieren. Schliesslich ist man weltweit tätig und nicht mehr nur eine Velohandlung im kleinen Dintikon.
«Wir wollen nur moderat grösser werden. Klein zu sein, hat auch Vorteile, wir können viel schneller reagieren und unsere Produktion anpassen», sagt Rolf Müller. Die Firma mag bereits 100 Jahre auf dem Buckel haben, sie ist trotzdem modern geblieben. Ob kundenspezifische Herstellung von Schweiss- und Erdungszubehör oder die Konstruktion und Fertigung komplexer Stanzwerkzeuge bis hin zur Klein- und Mittelserienproduktion von Stanzteilen – die Viktor Rätzer AG macht fast alles möglich. Früher. Heute. Und ganz sicher auch in Zukunft.