Marco Huwyler, Redaktor.
Kürzlich fuhr ich, wie so oft, mal wieder im Zug von Wohlen nach Bremgarten. Die Doppelkomposition ist proppenvoll – an einem Freitagnachmittag. Meine Verwunderung drüber aber nur kurz – ...
Marco Huwyler, Redaktor.
Kürzlich fuhr ich, wie so oft, mal wieder im Zug von Wohlen nach Bremgarten. Die Doppelkomposition ist proppenvoll – an einem Freitagnachmittag. Meine Verwunderung drüber aber nur kurz – Christchindli-Märt… Logisch. Also in den sauren Apfel beissen und mich zu Fremden ins Abteil gesellen. Immerhin erspähe ich einen Vierer, wo erst jemand sitzt. Glück gehabt. «Isch da no frei?» (natürlich ist es – seh ich ja – aber man will ja höflich sein). Mein Gegenüber nickt, ein junger Mann. Er beäugt mich lange. Bis mir fast unwohl wird. Dann plötzlich seine ersten Worte: «Möchtsch au e Schoggi?» Er streckt mir einen Adventskalender entgegen – die Version einer Schokoladenmarke mit entsprechendem Inhalt. Es ist erst der 6. Dezember, aber schon über die Hälfte der Türchen ist geöffnet. Überrascht lächelnd lehne ich dankend ab. Und muss dabei unweigerlich an den Film der Filme denken.
An Tom Hanks, wie er auf dem Bänkli sitzt, Wildfremden Pralinen anbietet, die er eigentlich später seiner Jenny schenken will. Und dabei, selbst naschend, seine herzzerreissend schön-traurige Lebensgeschichte erzählt. Auch mein Forrest beginnt während der Fahrt und dem genüsslichen Verspeisen des Türchen-Inhalts zu erzählen. Seine Geschichte ist nicht so spektakulär wie die im Oscar-Film, aber keinen Deut weniger herzlich. Sie handelt von der Arbeit bei der Integra, dem täglichen Weg dorthin, von «unmöglichen Leuten», darüber, dass man sich über volle Züge nicht aufzuregen braucht («Die wänd au alli nur hei, wie mer, weisch, die chönd au nüüt defüür.») und dass er das doch manchmal tut, weil er zu viel Nähe und Trubel nicht mag. Ich muss lachen, wie mein Forrest an jeder Station jubelt, wenn sich niemand zu uns gesellt. Und wie er, als das dann doch jemand tut, eine Grimasse schneidet. Unser neuer Nachbar trägt aber Ohrstöpsel und ist ins Smartphone versunken. So sind wir weiter quasi unter uns, als das Gespräch Richtung Weihnachtsmärkte abdriftet («Wär ja scho schön. Aber nüt für mich. Z vil Lüüt.»).
Schliesslich muss ich – mit all den Leuten – in Bremgarten aussteigen. Die Arbeit ruft. Ich bedaure es und schüttle meinem Mitfahrer zum Abschied die mir entgegengestreckte schokoverschmierte Hand. Volle Züge können auch ihr Gutes haben. Sie bescherten mir in der Weihnachtszeit eine besondere Begegnung. Das Leben ist wie ein (Schoggi)-Adventskalender. Man weiss nie, was man kriegt.