Fast wie «Adieu Heimat»
28.06.2024 Mutschellen, WidenVier Jahrzehnte für die Schule
In wenigen Wochen verliert die Schule Widen zwei Mitarbeiterinnen, die über 40 Jahren wirkten. Yvonne Cherkaoui und Katja von Burg werden pensioniert. Nachdem von Burg frisch aus dem Seminar als Kindergärtnerin angefangen ...
Vier Jahrzehnte für die Schule
In wenigen Wochen verliert die Schule Widen zwei Mitarbeiterinnen, die über 40 Jahren wirkten. Yvonne Cherkaoui und Katja von Burg werden pensioniert. Nachdem von Burg frisch aus dem Seminar als Kindergärtnerin angefangen hatte, war sie die letzten 17 Jahre als Musikgrundschullehrerin tätig. Yvonne Cherkaoui blieb in all den Jahren in ihrem Traumberuf und begleitete Hunderte von Kindern. --sab
Nach über 40 Jahren verlassen Katja von Burg und Yvonne Cherkaoui die Schule Widen
Hunderte von Widener Kindern gingen zu Yvonne Cherkaoui und Katja von Burg in den Kindergarten. Ende dieses Schuljahres ist Schluss. Dann verabschieden sich die beiden in ihre wohlverdiente Pension.
Sabrina Salm
«Wir haben zusammen hier angefangen und verlassen die Schule Widen auch gleichzeitig», sagt Katja von Burg und ihre Kollegin Yvonne Cherkaoui, die ihr gegenübersitzt, ergänzt lachend: «Und wir haben sogar am gleichen Tag unsere Kinder geboren.» Diese Gemeinsamkeiten sind per Zufall entstanden. Doch diese Gemeinsamkeiten verbinden auch. «Wir haben uns von Anfang an gut verstanden», sagen sie einstimmig. In ihrer Berufsbahn haben sich ihre Wege immer wieder gekreuzt, verschiedene Projekte haben sie mit ihren Kindergartenkindern gemacht und bis zuletzt stand der «Räbeliechtli»-Umzug unter ihrer Planung.
Vier Jahrzehnte lang waren sie Arbeitskolleginnen. Beide haben sie damals sich auf die eine ausgeschriebene Stelle als Kindergärtnerin (heute Kindergartenlehrperson) beworben. «Und wir waren nicht die Einzigen. 30 Personen wollten den Job», erzählt Cherkaoui, damals noch Indergundt. Sie bekam die Stelle auch. «Doch die Gemeinde hatte mehrere zu vergeben und eine davon erhielt auch ich», ergänzt von Burg, ledig noch Pfister. «Ich hätte jedoch nicht damit gerechnet. Denn zu dieser Zeit war es üblich, dass die Kindergärtnerin in der gleichen Gemeinde wohnt.» Dies war bei beiden nicht der Fall und damit waren sie die ersten Kindergartenlehrpersonen in der Gemeinde, die nicht in Widen wohnten.
Das Schul-Mami
Angefangen hat von Burg damals im Kindergarten Dorngasse, der dort stand, wo heute die Asylunterkünfte stehen. «Dieser war auf Stelzen gebaut. Nach einem Unglück in einer anderen Gemeinde mit dieser Bauart mussten wir von einem auf den anderen Tag den Standort wechseln.» Als ihr erstes Kind auf die Welt kam, machte sie eine Arbeitspause und eine Pause mit der Schule Widen. «Danach stieg ich in der Zwischenzeit als Musikgrundschullehrerin in kleineren Pensen in Oberwil-Lieli sowie Bellikon wieder in die Berufswelt ein.» Bis die Schule Widen auf sie zukam. «Ich sollte Musik für die 1.- bis 6.-Klässler geben.» Für sie war schnell klar, dass sie das Angebot annehme. «Es war wie ein Nach-Hause-Kommen für mich, denn die Schule Widen ist ein Stück Heimat für mich», gesteht von Burg. Sie wohnt ganz in der Nähe der Schule und wird von ihren Arbeitskollegen als das «Schul-Mami» bezeichnet.
Kindergärtnerin als Berufung
«Kindergärtnerin – nichts anderes», sei der Berufswunsch von Yvone Cherkaoui gewesen. «Meine eigene Kindergärtnerin Fräulein Knüsi hat mir sehr imponiert. Für mich war klar, ich werde ebenfalls Kindergärtnerin.» Es sei für sie mehr als ein Beruf, es sei ihre Berufung. Noch heute kenne sie jeden Namen ihrer Kindergartenkinder – seit ihrer ersten Gruppe. Widen war ihr zweiter Arbeitsort. Zuvor hat sie in einem Bauerndorf im Appenzell zwei Jahre in einem Kindergarten gearbeitet. Sie kennt jeden Standort der Kindergärten in Widen, ob Schachenfeld, Kelleräcker oder Lehnisweid – sie war schon in allen. Ihren Abschluss macht sie nun bei Letzterem.
Kraft für ihren Job nahm sie sich jeweils bei Reisen. Für drei Monate gönnte sie sich jeweils so etwa im Zehnjahrestakt eine Auszeit. Bereiste Indien, Neuseeland oder Australien. «Danach war ich wieder frisch und voller Tatendrang», meint sie lächelnd. «Es war dann jeweils wie ein Nach-Hause-Kommen für mich.» Und so blieb sie. «Obwohl ich anfangs nur ein, zwei Jahre bleiben wollte. Doch es hat mir den Ärmel hineingezogen.»
Viele Veränderungen mit Hochs und Tiefs
Im Lauf ihrer Tätigkeit in Widen haben sie viel erlebt. Die Gemeinde ist seit Beginn von Yvonne Cherkaoui und Katja von Burg enorm gewachsen. Von damals 1000 Einwohnerinnen und Einwohnern auf heute gegen 4000. Diverse Schulreformen, wie die 6-Tage-Woche, die Einführung der Blockzeiten oder des Lehrplans 21, haben sie miterlebt. Negative wie positive Sachen seien im Wandel vorgekommen. Ebenfalls in der Schulleitung sei nicht immer alles rosig gewesen. «Heute ist die Schule aber gut aufgestellt und die beiden Schulleiterinnen machen das toll.»
Auch der Umgang mit den Eltern hat sich gewandelt. «Früher waren Kindergartenlehrpersonen wie Kolleginnen, man hat sich geduzt. Jeden Tag wurde man zum Mittagessen eingeladen», erinnert sich von Burg. «Heute wird man wirklich als Lehrperson wahrgenommen.»
Medienkonsum eine Herausforderung
Cherkaoui und von Burg finden nicht, dass Eltern heute viel schwieriger sind als früher. «Sie waren entspannter. Aber es gibt solche und solche.» Wie bei den Kindern, die sich im Allgemeinen ebenfalls nicht wesentlich verändert haben. «Sie waren etwas verspielter und vielleicht sind sie heute nicht mehr so sozial. Jeder schaut nur für sich», sinnieren die beiden. Deshalb sei ihnen das Vermitteln des «Wir»-Gefühls wichtig gewesen. «Es soll ein Miteinander sein.» Herausfordernd seien die neuen Medien. Diese hätten aber Vor- und Nachteile. Der richtige Umgang sei wichtig. Weiter sei auch nicht immer einfach, dass die Kinder mit 4 Jahren in die obligatorische Volksschule kommen. «Viele sind zwar schon so weit, aber es gibt auch solche, bei denen es besser wäre, man hält sie noch ein Jahr zurück», finden Cherkaoui und von Burg. «Sie müssen selbstständig aufs WC gehen können. Dass wir ihnen das Füdli putzen, gehört nicht in die Rolle einer Kindergärtnerin.» Den Kindern keinen Druck machen und lieber noch ein Jahr warten. «Wenn man sie zu früh einschult, zieht sich das wie ein Rattenschwanz nach. Da macht man den Kindern keinen Gefallen.»
Ein Kapitel von vielen Kindern mitgeschrieben
Nach den Sommerferien kommen die beiden Lehrkräfte nicht mehr in die Schule beziehungsweise in den Kindergarten Widen. «Es war 41 Jahre lang mein Leben. Was soll ich jetzt bloss tun?», scherzt Cherkaoui. Es werde komisch für sie sein, aber sie freue sich auch. Nun kann sie ganz frei ihrer Leidenschaft, dem Reisen, nachgehen. «Und wir werden Marokko, das Land, aus dem mein Mann stammt, mehr geniessen können.»
Von Burg kehrt der Schule Widen noch nicht vollends den Rücken. Sie macht eine Ehrenrunde. Sie wird wiederkommen und eine Zeit lang zwei Lektionen für 1.-Klässler geben. «Aber erst im Verlauf des Schuljahrs. Denn es ist so, dass man nach der Pension drei Monate nicht wieder im Beruf arbeiten darf.» Trotzdem wird es anders sein. «Aber ich bin schon froh, ist es nicht ganz vorbei», meint sie lächelnd. Beide Frauen sind sich einig: «Wir werden es vermissen.» Nicht nur ihr «super» Team der Schule Widen, in dem sie sich absolut wohlfühlten. Eines der Hauptziele in ihrer Berufszeit war, dass die Kinder gerne zu ihnen in den Unterricht kamen. Ihnen eine gute Zeit zu geben. Sie haben das Gefühl, dass sie das meist auch erreichen konnten. Obwohl beide streng waren, wie sie selber sagen. «Der Kindergarten ist so wichtig. Wie ein leeres Buch, in dem zu dieser Zeit das erste Kapitel geschrieben wird», sagt Cherkaoui. «Und wir durften Teil davon sein.» Das mache sie und auch von Burg glücklich.