«Es wurde viel Blödsinn erzählt»
09.09.2025 BremgartenFakten über Fäkalien
Zu Besuch in der Kläranlage nach dem Wirbel dieses Sommers
Die vermeintliche Verschmutzung der Reuss bei Bremgarten sorgte vor ein paar Wochen national für Schlagzeilen. Der Klärmeister ordnet ein. ...
Fakten über Fäkalien
Zu Besuch in der Kläranlage nach dem Wirbel dieses Sommers
Die vermeintliche Verschmutzung der Reuss bei Bremgarten sorgte vor ein paar Wochen national für Schlagzeilen. Der Klärmeister ordnet ein.
Marco Huwyler
Für den Normalbürger ist es eigentlich kein Thema. Denn wenn der Himmel seine Schleusen öffnet, verspürt man gemeinhin nicht unbedingt Lust in einen tosenden Fluss wie die Reuss zu steigen. Und doch sorgte die Berichterstattung dieses Sommers auch bei Otto Normalbürger für Stirnrunzeln. Bei Starkregen würden von den Kläranlagen im grossen Stil Fäkalien in die Reuss geleitet, wurde von grossen Medienhäusern des Landes insinuiert. Und dadurch würden jene gleich reihenweise krank, die sich nicht trotz, sondern gerade wegen des Starkregens in den Fluss wagen. Surfer beispielsweise. Oder Rettungsschwimmer bei der Simulation von Ernsteinsätzen unter schwierigen Bedingungen.
Erzählen nach dem Wirbel
«Es war viel Falsches im Umlauf», erzählt der Bremgarter Klärmeister Patrick Jaehn, als wir ihn in diesen Tagen besuchen. Mittlerweile ist der Wirbel um Wasser, Abwasser, Flusswasser und deren Qualität in und um Bremgarten etwas abgeklungen. Darüber ist Jaehn froh. Dennoch nimmt er den Besuch der Lokalpresse gerne wahr, um Stellung zu nehmen. Begleitet wird er dabei von Michael Stampfli vom kantonalen Departement für Umwelt. Die beiden klären darüber auf, was tagtäglich im Hintergrund geschieht, damit unser Wasser so sauber ist wie möglich.
Klärmeister Patrick Jaehn leitet die Bremgarter ARA und säubert täglich unser Wasser
Vor ein paar Wochen war Bremgarten und die Verschmutzung der Reuss in den nationalen Schlagzeilen. Wir sprechen mit dem Betriebsleiter der Bremgarter Kläranlage über seinen Betrieb – und darüber, wie es tatsächlich bestellt ist, um das Wasser der Reuss und die darin enthaltenen Fäkalien.
Marco Huwyler
In jüngerer Vergangenheit wurde viel über das Bremgarter Wasser und Abwasser berichtet. Wie war es für Sie, plötzlich im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses zu stehen?
Patrick Jaehn: Ich war zum Glück in den Ferien, als der ganze Zirkus losging (lacht). Aber natürlich habe ich das mitbekommen. Es wurde viel geschrieben. Viel Blödsinn vor allem. Auf uns und unsere Arbeit hatte das aber keinen Einfluss. Der Kanton hatte schon bald die Kommunikationshoheit übernommen. Darauf konnte man hier bei Anfragen verweisen und in Ruhe weiterarbeiten.
Mit etwas Abstand – was hat die Berichterstattung aufgedeckt? Was bleibt? Und was ist vielleicht auch hilfreich?
Eigentlich gar nichts. Hier wurde, basierend auf einzelnen Vorfällen, die Normalität völlig hochstilisiert. Das Abwassersystem rund um die Reuss funktioniert im Grundsatz seit 60 Jahren gleich. Gleich auch wie bei fast allen Schweizer Gewässern. Und dieses System funktioniert auch nach wie vor einwandfrei und ist im internationalen Vergleich sehr sauber. Dass wir bei Regen Fäkalien in die Reuss laufen lassen stimmt einfach nicht. Und auch nicht, dass unsere ARA (Abwasserreinigungsanlage, d. Red.) bei viel Regen überläuft. Zudem wird das gereinigte Abwasser der Kläranlage Bremgarten unterhalb der Surferwelle in die Reuss geleitet.
Dann erklären Sie doch mal möglichst einfach, wie die ARA funktioniert und was bei Starkregen passiert.
Unsere Kläranlage in Bremgarten kann pro Sekunde 400 Liter Wasser reinigen. Bei Normalbetrieb – also bei Schönwetter oder leichtem Schauer – reicht das problemlos für alles Abwasser, das zu uns gelangt. Bei Starkregen vermischt sich dieses aber in der Kanalisation mit grossen Niederschlagsmengen. Dann kann die Kläranlage nicht mehr alles ankommende Wasser sofort reinigen. Der Überschuss fliesst dann in sogenannte Rückhaltebecken. Die ARA Bremgarten betreibt 12 davon. Das Wasser, das dort gesammelt wird, wird später gereinigt, wenn wieder Schönwetter herrscht.
Es wurde jedoch berichtet, dass diese Becken regelmässig überlaufen – und alles, was dort nicht aufgenommen werden kann, ungefiltert in die Reuss fliesst.
Das stimmt aber so eben nicht. Bei uns läuft nichts über. Sind die Becken voll – was wirklich nur bei starkem Regen vorkommt –, wird das dann überschwappende Wasser zwar kontrolliert in die Reuss geleitet, aber zuerst gefiltert. Dreck und Fäkalien bleiben im Rückhaltebecken zurück. Das überlaufende Wasser ist mechanisch sauber. Und vermischt sich überdies rasch mit den grossen Niederschlagsmengen.
Biologisch und chemisch sauber, wie nach dem Durchlauf der Kläranlage, ist es aber nicht.
Das stimmt. Es enthält natürlich noch Bakterien und Verschmutzungen. Ich würde niemandem empfehlen, unbekümmert einen Schluck direkt aus dem Abfluss des Überlaufs eines Rückhaltebeckens zu nehmen (schmunzelt). Aber Spass beiseite – das macht ja auch niemand. Genauso, wie man bei einem solchen Einlass nicht baden geht. Schon gar nicht bei Starkregen. Aber das muss man den Menschen doch auch nicht erklären – so was gehört zum gesunden Menschenverstand.
Die Berichterstattung verwies aber auf die hohe Bakterienbelastung des Reusswassers nach Regenfällen.
Wir können die Wasserqualität im Fluss selbst nur bedingt beeinflussen. Was wir können, ist das Abwasser kontrollieren, das unsere Anlage verlässt oder bei uns eintrifft. Und das tun wir täglich. Es gibt Grenzwerte. Und diese haben wir 2024 kein einziges Mal überschritten. Auch 2025 bisher nicht. Und ich gehe auch nicht davon aus, dass dies noch geschieht.
Wie kommen denn die hohen Bakterienwerte im Fluss zustande?
Erst mal sind wir in Bremgarten vor allem davon abhängig, was flussaufwärts geschieht. Da sind alleine sechs weitere ARAs angesiedelt. Wobei ich davon ausgehe, dass auch dort die Arbeit korrekt und gewissenhaft verrichtet wird. Ich sehe die Kläranlagen höchstens mitverantwortlich für die Bakterienkonzentrationen im Fluss. Man muss sehen: Bei Starkregen fliesst das Wasser von überallher auf allen möglichen Wegen in die Reuss. Auch via Erde, Strassen und Bäche. Wir können nicht beeinflussen, in welchem Ausmass so beispielsweise Gülle oder Pestizide in den Fluss gelangen. Ich würde behaupten, solcherlei hat einen weit grösseren Einfluss auf die Bakterienlast als eine Kläranlage, in der sauber gearbeitet wird.
Inwiefern hätten denn die ARAs selbst noch Verbesserungspotenzial?
Man kann überall daran arbeiten, noch besser zu werden. Auch bei Kläranlagen – und das geschieht auch laufend. In den letzten 20 Jahren hat sich die Technik massiv verbessert. Genauso, wie die Ausbildung unseres Personals. Vorgegebene Grenzwerte wurden zudem deutlich gesenkt. Entsprechend hat sich die Wasserqualität seit der Jahrtausendwende auch nochmals stark erhöht. Auch in der Reuss. Im Normalfall ist diese heute sauberer denn je.
Die ARA Bremgarten wird bald 50 Jahre alt. Ist sie noch zeitgemäss?
Technisch und bezüglich Infrastruktur sind wir gut gerüstet, ja. Da hat man ja auch laufend modernisiert. Aber bezüglich Kapazität werden wir irgendwann an unsere Grenzen stossen. Nur schon wegen dem Bevölkerungswachstum. Momentan wird hier inklusive Industrie Abwasser im Verbrauchswert von 25 000 Einwohnern gereinigt. Tendenz steigend. Ein Ausbau ist deshalb in Planung. Wobei man hier ganz viele Faktoren und Anspruchsgruppen zu berücksichtigen hat und vor einem Projekt gut überlegen muss, welche Richtung man einschlägt.
Wie meinen Sie das?
Die Gesellschaft und die Politik müssen sich Gedanken darüber machen, wie sie mit ihrem Abwasser umgehen. Momentan beschäftigt man sich auf kantonaler Ebene etwa mit dem Thema «Schwammstadt». So was könnte dereinst auch für Bremgarten interessant sein. Das Regenwasser mit Kühlung und Bewässerung von Städten kombinieren, statt alles via Kanalisation in die Kläranlagen isoliert irgendwo am Rand des Stadtgebiets zu leiten. Doch so was ist Zukunftsmusik.
Apropos – kann man dereinst bedenkenlos bzw. ohne Infektionsgefahr in der Reuss baden und surfen, auch wenn es geregnet hat?
Nein, ich denke nicht. Und wenn, dann erreicht man dies nicht primär über die Kläranlagen. Man wird schlicht weiterhin seinen gesunden Menschenverstand einsetzen müssen, wenn man in einen Fluss steigt. Und dieser besagt: Ist das Wasser trüb, gehe ich besser nicht baden, denn es ist dreckig. Ist es klar, dann kann ich in der Regel zwei bis drei Tage nach Starkregen bedenkenlos rein. Das war früher so, ist heute so und wird auch in Zukunft so sein.
Haben Sie einen Tipp für die Surfer oder Polizeischulen, welchen das Baden in der Reuss nicht gut behagte?
Sich selbst informieren, Vorkehrungen treffen und sich des Risikos bewusst sein. Denn ein solches geht man ein, wenn man in einen Fluss steigt. Auch bei Schönwetter, aber vor allem bei Regen. Und zwar längst nicht nur wegen der Bakterienlast.
Das Gespräch mit Patrick Jaehn fand im Beisein von Michael Stampfli, Fachspezialist Abwasser von der kantonalen Abteilung für Umwelt, statt.
Die Vorgeschichte
Ende Juli berichtete «20 Minuten» zum ersten Mal über einen Surfer, der in der Reuss bei Bremgarten unterwegs war und danach erkrankte, weil er hier «unwissentlich» in Kontakt mit durch Fäkalien verunreinigtem Wasser gekommen sei. Das Medium «deckte danach auf», dass pro Jahr angeblich rund 100 Mal ungeklärtes Abwasser direkt in den Fluss geleitet werde – jeweils nach Regenfällen. Eine von der Zeitung genommene Probe des Reusswassers vor Bremgarten nach einem Regenfall zeigte, dass die Belastung mit Darmbakterien weit über den unbedenklichen Werten liegt. Das sei zudem kein Einzelfall.
Der Artikel von «20 Minuten» wurde danach aufgegriffen und von zahlreichen lokalen und nationalen Medien nacherzählt und weitergesponnen. An den Folgetagen wurde immer wieder berichtet von Surfern und anderen, die in Kontakt mit dem Reusswasser gekommen sind und danach von Durchfall und Übelkeit geplagt wurden – einzelne hätten sogar das Spital aufsuchen müssen. Schlagzeilen machte zudem eine Polizeischule, von der angeblich ebenfalls die Mehrheit krank wurde, nachdem man eine Rettungsübung in der Reuss absolviert hatte. Auch Politiker nahmen das Thema auf und forderten Massnahmen. --huy