«Es wäre ein Traum ...»
30.08.2024 Sport, FussballInterview mit dem Freiämter Marvin Keller, der mit YB in die Champions League einzieht
Der BSC Young Boys bezwingt auswärts Galatasaray Istanbul mit 1:0 und schafft es in die Champions League. Im Tor steht Marvin Keller, weil Stammgoalie David von Ballmoos ...
Interview mit dem Freiämter Marvin Keller, der mit YB in die Champions League einzieht
Der BSC Young Boys bezwingt auswärts Galatasaray Istanbul mit 1:0 und schafft es in die Champions League. Im Tor steht Marvin Keller, weil Stammgoalie David von Ballmoos angeschlagen auf der Bank Platz nehmen muss. Keller sagt: «Dieser Sieg ist riesig für YB, für den Schweizer Fussball, und es war mein grösstes Spiel meiner bisherigen Karriere.»
Stefan Sprenger
Die Heimstätte von Galatasaray Istanbul gilt als lautestes Stadion der Welt. Es wurden 131 Dezibel gemessen. Das ist der Wert eines Düsenflugzeugs. War es wirklich so laut?
Marvin Keller: Ja (lacht). Wir haben im Vorfeld viel gehört über dieses Stadion und die Fans. Und so war es auch. Sehr laute Fans, eine giftige und hitzige Stimmung. Aber wir haben uns top darauf vorbereitet, sind super ins Spiel gekommen und haben auch diesem lauten Faktor standgehalten.
3:2 im Hinspiel. 1:0 im Rückspiel. YB zieht in die Champions League ein. Und Sie stehen im Tor, zeigen eine coole und souveräne Leistung. Wie fühlt sich das für Sie an?
Ich bin glücklich. Für unseren Verein ist dieser Sieg riesig. Für den ganzen Schweizer Fussball war der Einzug in die Champions-League-Gruppenphase sehr wichtig. Und für mich war es das bislang grösste Spiel meiner Karriere. Auf internationalem Parkett so einen Erfolg zu feiern, ist etwas Grosses. Eine wertvolle und tolle Erfahrung. Und wie gross die Tragweite ist, spürte ich anhand der Reaktionen vieler Menschen.
Erzählen Sie.
Ich habe aussergewöhnlich viele Nachrichten und Meldungen gekriegt. Alle haben gratuliert. Es gab viele schöne Worte. Meine Freunde in Berikon gehörten auch zu den Gratulanten. Das alles freut mich sehr.
Und ich nehme an, Ihre Familie in Berikon freute sich ebenfalls?
Ja (lacht). Meine Familie ist natürlich auch überglücklich über diesen Sieg und dass ich spielen durfte. Am Dienstag war das Spiel, am Mittwoch sind wir nach Hause geflogen. Nach einem kurzen Training konnte ich abends nach Hause. Gemeinsam mit meiner Familie durfte ich zu Abend essen und habe in Berikon geschlafen, bevor ich am Donnerstag zurück nach Bern durfte. Das war sehr schön. Denn: zu Hause ist es doch am schönsten.
Sie leben alleine in Bern, sind als Fussballprofi viel unterwegs. Was für einen Stellenwert hat Ihre Familie in Berikon?
Die Familie ist mir enorm wichtig. Mein kleiner Bruder ist mein grösster Fan – und umgekehrt. Wenn ich frei habe, gehe ich immer nach Berikon. Einmal pro Woche liegt das drin, und der Besuch in der Heimat ist für mich auch eine Abwechslung zu meinem Alltag. Ich geniesse es, dass wir in der Familie eine harmonische Beziehung haben. Sie besucht mich oft an den Spielen. Ich kann nur schlecht in Worte fassen, wie wichtig das für mich ist.
Wichtig ist auch, dass Sie spielen können. In der letzten Saison waren Sie an den FC Winterthur ausgeliehen und die Nummer 1. Nach Ihrer Rückkehr zu YB sind Sie hinter David von Ballmoos die Nummer 2. Sie spielten in beiden Partien gegen Galatasaray, weil er sich verletzte. Wie ist Ihr Verhältnis zu David von Ballmoos?
Sehr gut. Wir verstehen uns gut und unterstützen uns gegenseitig. David von Ballmoos ist sehr professionell und das schätze ich sehr an ihm.
In Online-Abstimmungen von «20 Minuten» oder «nau.ch» befand der Grossteil der Abstimmenden, dass Sie jetzt die neue Nummer 1 bei YB sein sollten.
Das wusste ich nicht. Es freut mich, aber ich will dem nicht allzu grosse Beachtung schenken. Wenn ich meine Chance kriege, dann will ich Leistung zeigen und dem Team helfen. Wer spielt, entscheidet der Trainer. Ich mache einfach meinen Job. Und mein Job ist «Tschutten». Aber klar ist, dass jeder Fussballer immer spielen will. Ich will bei YB natürlich regelmässig zum Einsatz kommen, aber die Konkurrenz ist gross. Letzte Saison spielte ich immer bei Winterthur, das war sehr wertvoll für meine Entwicklung und hat gutgetan. Jetzt braucht es Geduld. Aber es hat sich nichts daran geändert, dass ich früher oder später die Nummer 1 im Tor von YB sein will.
Vom glorreichen Sieg in den Champions-League-Play-offs geht es am Samstag in der Meisterschaft weiter. Im Heimspiel wartet Lausanne. YB ist aktuell Tabellenletzter. Wie erklären Sie sich diese zwei Gesichter?
In den ersten Partien haben wir den Tritt nicht gefunden. In den letzten Spielen wurden die Leistungen besser. Und ich glaube, dass der Erfolg in Istanbul auch in der Meisterschaft etwas auslösen wird. Das war sehr gut für uns auf vielen Ebenen. Wir wollen diesen Schwung mitnehmen und in der Liga Vollgas geben und natürlich Punkte sammeln.
In einem Beitrag für diese Zeitung schrieben Sie vor zwei Jahren: «Ich werde weiter hart arbeiten, nicht zu weit in die Zukunft schauen, an mich und meine Ziele glauben, aber trotzdem vom Sprung in eine grosse europäische Liga träumen. Denn alles ist möglich.»
(Lacht) Das würde ich heute noch immer genau so sagen.
Nur sind Sie jetzt mindestens einen Schritt weiter als damals, als Sie noch beim FC Wil in der Challenge League waren.
Das stimmt. Ich versuche jeden Tag das Beste zu geben. Ich geniesse es, dass ich meinen Traumberuf machen darf. Und ich will mich nicht verstellen. Ich bin, wie ich bin. Ich glaube, Ehrlichkeit und Authentizität sind wichtig.
Im Vorfeld der Fussball-Europameisterschaft durften Sie mit der A-Nati die Vorbereitung absolvieren. Wann folgt das erste Aufgebot?
(Lacht) Nächste Woche ist Zusammenzug der U21-Nati. Dort bin ich dabei und wir haben zwei wichtige EM-Qualifikationsspiele am 6. September gegen Albanien und am 10. September gegen Montenegro. Das zählt für mich aktuell. Dass ich bei der A-Nati reinschnuppern durfte, war aber natürlich sehr toll. Und natürlich wäre es ein Traum, einmal für die A-Nati im Tor zu stehen. Aber dazu muss ich zuerst konstant und stark für eine längere Zeit auf hohem Level spielen.
Viel Erfolg dabei.
Danke. Ich gebe mein Bestes.