«Es tut mir weh für Bremgarten»
20.05.2025 Bremgarten, GewerbeStädtli verliert Schuhladen
Das Schuhhaus Borner im Herzen der Altstadt schliesst voraussichtlich Ende August
Nach über 100 Jahren ist Schluss. Am Ende der Sommersaison schliesst das Schuhgeschäft Borner seine Türen für ...
Städtli verliert Schuhladen
Das Schuhhaus Borner im Herzen der Altstadt schliesst voraussichtlich Ende August
Nach über 100 Jahren ist Schluss. Am Ende der Sommersaison schliesst das Schuhgeschäft Borner seine Türen für immer. Bremgartens Altstadt verliert damit einen weiteren Traditionsladen – nicht irgendeinen überdies.
Marco Huwyler
Mit dem Verkauf seiner Liegenschaft wollte Othmar Borner im hohen Alter auch die Zukunft seines ehemaligen Schuhladens regeln. Und eigentlich sah es vielversprechend aus, dass das Schuhhaus Borner auch unter den neuen Hauseigentümern ein erfolgreiches Dasein als Altstadt-Schuhladen hätte fristen können. Mit Sonja Conrad hatte der einstige Patron seine Nachfolgerin als Gesicht des Ladens eh schon vor bald drei Jahrzehnten auserkoren. Sie führte das Geschäft in den vergangenen Jahren stets mit so viel Herzblut, als wäre es ihr eigenes. Der Laden war immer profitabel. Und doch kommt es nun anders. Eine Verkettung von mehreren Umständen führt nun dazu, dass sich Bremgarten nach über 100 Jahren von seinem Traditions-Schuhgeschäft mitten in der Altstadt verabschieden muss.
Das Haus wird umgebaut
Damit verliert das Städtli nach einigen schmerzhaften Schliessungen und Leerständen in den vergangenen Jahren nun auch noch seinen flächenmässig grössten Laden, der dank seinem exzellenten Ruf und der jahrzehntelangen lokalen Verankerung für die umliegenden Geschäfte auch als Kundenmagnet fungierte. Wie es geschäftemässig weitergeht an der Marktgasse 21, ist noch nicht klar. Zuerst wird das Gebäude voraussichtlich ab dem kommenden Jahr umgebaut. Klar ist, dass es wieder einen Laden geben soll im zentral gelegenen Altstadthaus. Um das Schuhhaus Borner wird es sich dabei jedoch nicht mehr handeln. Dessen Schliessung ist fix. Wir haben mit Sonja Conrad über die Gründe, den Status quo, Vergangenheit und Zukunft gesprochen.
Das Schuhhaus Borner im Herzen der Altstadt muss schliessen
Eine unglückliche Kombination mehrerer Faktoren führt dazu, dass der Schuhladen in der Marktgasse seine Türen für immer schliessen muss. Es ist ein Ende, das alle bedauern. Ein schwerer Schlag für die Fachgeschäfte in der Altstadt. Und auch für Geschäftsführerin Sonja Conrad ein einschneidender Schritt.
Marco Huwyler
Wir schreiben das Jahr 1998. Frankreich wurde eben zum ersten Mal Fussballweltmeister. Der Stadtammann Bremgartens heisst Peter Hausherr. Und ein 15-jähriges Mädchen namens Sonja Belser beginnt ihre Lehre in einem Bremgarter Schuhgeschäft namens Borner. «Ich wollte eine Arbeit, bei der ich Kontakt mit den Menschen hier habe», erinnert sie sich. «Die Entscheidung habe ich nie bereut. Sie war eine der besten meines Lebens.» Belser – die heiratsbedingt mittlerweile Conrad heisst – arbeitet nämlich auch 27 Jahre danach immer noch bei Borner. Und längst tut sie dies als Geschäftsführerin des Bremgarter Traditionsgeschäfts. Borner ist zu «ihrem» Laden geworden.
Renovation des Hauses steht an
Es sind freilich schwierige Tage, welche die heute 42-Jährige durchlebt. Vor einigen Wochen hat sie entschieden, dass es nicht mehr weitergeht mit dem Bremgarter Schuhgeschäft. «Als wir die Herbstkollektion hätten bestellen müssen, wurde es definitiv», seufzt sie. Conrad verzichtete darauf und besiegelte damit das Ende von Borner nach über 100 Jahren.
Dass sie nichts Neues mehr bestellte, hat indes gute Gründe. Denn obwohl der Laden bis zuletzt profitabel war, ist es gleich einer ganzen Reihe von unglücklichen Umständen geschuldet, dass es mit Borner nicht mehr weitergeht. Da wäre einmal die Tatsache, dass sich der bisherige Eigentümer des Schuhgeschäfts, Mike Studhalter, der das Schuhhaus vor 13 Jahren von Othmar Borner erwarb, altershalber zurückzieht. Conrad stand vor der Entscheidung, ob sie den Laden gemeinsam mit Kollegin Gaby Russenberger auf eigene Faust weiterbetreiben wollte. «Wir wären dazu wohl bereit gewesen», sagt sie.
Just in jenem Entscheidungsprozess ereilte die Geschäftsführerin aber die Nachricht, dass der von Studhalter gekündete Vertrag nicht wie beabsichtigt von ihr und Russenberger erneuert werden kann. Grund dafür sind die neuen Besitzverhältnisse des Gebäudes der Marktgasse 21. Othmar Borner hatte die Liegenschaft vergangenes Jahr verkauft. Und nun möchten die neuen Eigentümer renovieren. In den Obergeschossen sollen neue Wohnungen entstehen. «Man kam offenbar zum Schluss, dass ein Umbau bei gleichzeitigem Weiterbetrieb des Ladens zu kompliziert wäre», erzählt Conrad.
Provisorium zu riskant
Ein Jahr hätte das Schuhhaus Borner deshalb ungefähr pausieren – oder in ein Provisorium ausweichen müssen. «Wir haben uns diese Möglichkeit intensiv überlegt», sagt die Geschäftsführerin. Die Stadt in Person des Citymanagers Ralph Nikolaiski hätte dafür auch Hand geboten und wohl eine Lösung analog derjenigen der «Stierli-Metzg» im Beller-Haus ermöglicht. Doch letztlich entschieden sich Russenberger und Conrad dagegen. «Wir haben die Szenarien hin und her überlegt und durchgerechnet», sagt Conrad. «Doch mit einer Verlegung des Standorts hätten wir wohl einen Einbruch der Laufkundschaft in Kauf nehmen müssen.» Ein grosses wirtschaftliches Risiko für jemanden, der zum ersten Mal einen Laden auf eigene Rechnung hätte betreiben müssen. «Hinzu wäre der grosse Aufwand mit Umzügen gekommen.»
Beraten und unterstützt von Othmar Borner, der auch in hohem Alter bis zuletzt eine Vaterfigur für Conrad war, erteilte man der Provisoriumslösung eine Absage. Der 80-jährige langjährige Ladenführer verstarb danach nach langer Krankheit vergangenen Monat. Und er ging mit dem Wissen, dass sein Bremgarter Lebenswerk nun definitiv verschwindet. «Das ist alles sehr traurig», findet Conrad, der der Abschied von ihrem Mentor sehr naheging.
Mit 17 in der Verantwortung
Borner war es, der Conrad schon als Teenager immer vertraut hatte, an ihre Fähigkeiten glaubte und ihr früh Verantwortung übertrug. Bereits unmittelbar nach ihrer Lehre betraute er sie mit der Leitung des Tagesbetriebes des Schuhgeschäfts – Conrad war damals erst 17 Jahre alt. «Er wollte sich damals – nach einem personellen Abgang – nicht wieder mit der Verkaufsfläche auseinandersetzen», erzählt Conrad. «Und in mir sah er offenbar, trotz meines Alters, die Eignung, das Geschäft in jenem Bereich zu führen», erinnert sich die Bremgarterin lächelnd.
So funktionierte das Gespann jahrelang. Conrad im Laden und Borner im Hintergrund, der Einkauf, Bürokratie und Lagerhaltung regelte. Bis der langjährige Eigentümer 2012 den Schuhladen altershalber an Studhalter verkaufte. «Auch danach interessierte sich Othmar aber immer noch sehr für den Geschäftsgang und hat oft für ein Bsüechli im Laden vorbeigeschaut», erzählt Conrad. Ihrem Ehemann sagte er einst bei der Hochzeit, dass dieser gut auf sie achtgeben solle. «Und dass er wohl weiterhin mehr Zeit mit mir verbringt als er», lacht die 42-Jährige.
Bis zu sieben Filialen
Das Schuhhaus Borner als sein Lebenswerk lag Othmar Borner am Herzen. All die Jahre lang führte er es mit viel Leidenschaft fürs Schuhhandwerk und grossem Know-how. Die Ursprünge des Familienbetriebs liegen noch bei seinen Vorfahren. Bereits der Grossvater von Othmar Borner betrieb vor weit mehr als 100 Jahren in der Unterstadt eine Schuhmacherei. Als von der Familie der jetzige Laden in der Marktgasse eröffnet wurde, tat er dies ursprünglich in Koexistenz zum Restaurant Bären im selben Haus. Erst als dieses zuging, wurde der Schuhladen erweitert auf die heutige Ladenfläche. Es folgte die goldene Ära des Schuhhauses Borner.
Man expandierte und öffnete weitere Filialen überall in der Region. Zeitweise waren es bis zu sieben – und zwei gleichzeitig im Städtli.
Stammkunden von weither
Mit dem Aufkommen des Online-Handels und dem Lädeli-Sterben musste indes auch Borner sukzessive kleinere Brötchen backen. Doch der grosse Schuhladen mitten in Bremgarten war bis zuletzt gut besucht und stets in der Gewinnzone. Das verdankte er vor allem seinem guten Ruf. «Unser Material und den Preismix konnten wir immer attraktiv für die Kundschaft halten», sagt Conrad. Die gute Qualität, verbunden mit kompetenter, persönlicher und herzlicher Beratung, bei der man sich oftmals auch Zeit für einen Schwatz nahm, führte dazu, dass das Schuhhaus Borner einen grossen, treuen Kundenstamm hatte. «Ich hörte oftmals von Leuten, die sagten: ‹Schuhe kaufe ich nur bei Ihnen›», lächelt Conrad. Anders als andere Branchen habe ein Schuhladen auch das Glück, dass physisches Anprobieren vor dem Kauf wichtig geblieben sei. «Deshalb mussten wir auch durch das Internet keine massiven Einbrüche hinnehmen.»
Ab heute ist Ausverkauf
Und trotzdem ist nun bald Schluss. Ab heute Dienstag startet Borner den Ausverkauf. Eine Bremgarter Traditionsmarke verschwindet. «Mir graut ein wenig vor dem, was nun kommt», gibt Conrad unumwunden zu. Der emotionale Abschied von ihrem Laden, der immer näher rückt. Aber auch die zu erwartenden Schnäppchenjäger, die zuvor nie im Laden zugegen waren. Sie wird Conrad gewiss nicht vermissen – wohl aber all die anderen. Die jahrzehntetreuen Stammkunden, mit denen man teilweise auch persönliche Beziehungen aufbaute, die anderen Altstadt-Lädeli-Besitzer, «die ich immer als grosse Familie wahrgenommen habe», ihre Mitarbeiterinnen um Gaby Russenberger – «und einfach das Städtli und seine Leute», sagt Conrad. «Für Bremgarten tuts mir am meisten weh. Das lebendige Altstadt-Miteinander verliert nun einen weiteren Puzzle-Stein.»
Nochmals neu anfangen
Conrad selbst wird nach dem Abschied von ihrem Laden im Spätsommer beruflich etwas ganz anderes in Angriff nehmen. «Noch einmal komplett neu anfangen», wie sie sagt. Bei der hobbymässigen Leitung eines Muki-Turnens habe sie gemerkt, dass ihr die Arbeit mit Kindern grossen Spass bereitet. Conrad sucht deshalb eine Stelle an einer Schule. «Klassenassistenz zum Beispiel könnte ich mir vorstellen», sagt sie. Wichtig sei ihr, dass sie weiterhin in Kontakt mit Menschen bleibe. Wie damals schon, als sie 1998 Othmar Borner ansprach und ihn mutig fragte, ob sie vielleicht einmal schnuppern dürfe.
Das Schuhhaus Borner hat noch bis zum Ende der Sommersaison – voraussichtlich Ende August – geöffnet. Ab heute beginnt der Ausverkauf.
«Megaverlust»
Biggi Winteler von der Vereinigung Fachgeschäfte Altstadt (FAB) nimmt den Verlust des flächenmässig grössten Altstadtladens mit grossem Bedauern zur Kenntnis. «Es ist nicht nur ein grosses Stück Städtli-Geschichte, das verloren geht, sondern auch für den attraktiven Lädeli-Mix der Altstadt ein herber Schlag», sagt die Inhaberin des Heilstein-Ladens gleich gegenüber von Borner. «Der Schuhladen, der einen exzellenten Ruf genoss, war auch ein Kundenmagnet. Teilweise kamen Menschen von anderen Gemeinden extra deswegen nach Bremgarten.»
Mit Sonja Conrad verliert Winteler darüber hinaus eine gute Freundin und langjährige Weggefährtin. Während der FAB-Präsidentschaft von Winteler war auch Conrad langjähriges verdientes Vorstandsmitglied und Kassierin des Vereins. «Sie war eine gute Seele, die sich immer engagierte und für nichts zu schade war.»
Winteler hofft nun, dass schnellstmöglich ein Nachfolger für Borner gefunden wird. «Es ist wichtig für alle, dass dieses zentrale und wichtige Geschäft nicht lange leer bleibt.» Je länger der Leerstand, desto grösser der Schaden für das Altstadt-Image und dessen Fachgeschäfte. «Wenn der Laden wirklich nahezu ein Jahr umgebaut werden müsste, wäre das schlimm für alle.» --huy