Ein beeindruckendes Comeback
02.05.2025 Sport, KampfsportKarate: Nach einem Töffunfall verlor sie fast ein Bein, doch Simena Moos kämpfte sich zurück und wurde Schweizer Meisterin
Ein Unfall vor genau zwei Jahren verändert das junge Leben von Simena Moos. Doch die 18-Jährige zeigt eindrucksvoll, was ...
Karate: Nach einem Töffunfall verlor sie fast ein Bein, doch Simena Moos kämpfte sich zurück und wurde Schweizer Meisterin
Ein Unfall vor genau zwei Jahren verändert das junge Leben von Simena Moos. Doch die 18-Jährige zeigt eindrucksvoll, was Kampfgeist bedeutet. Bei ihrem Comeback vor wenigen Tagen wird sie Schweizer Meisterin. «Eine unglaubliche Geschichte», sagen ihre Teamkameraden vom Karate-Club Anglikon.
Stefan Sprenger
Jener Tag veränderte alles. 28. April 2023. Ein Samstagabend. Simena Moos aus Sarmenstorf, damals 16 Jahre jung, sitzt auf dem Motorrad eines Kumpels als Beifahrerin. «Irgendwie bin ich abgerutscht», sagt sie. Was genau passiert, weiss sie nicht mehr. Sicher ist: Ihr linkes Bein gerät in die Kette des Motorrads und wird zerfetzt. «Blackout. Ich habe erst wieder eine Erinnerung, als ich im Spital war.»
Amputation des Beines knapp verhindert
Ihre Prognosen waren bitter, ja düster. Eine Amputation des Beines stand rund zwei Wochen lang im Raum. Die Ärzte konnte nicht voraussagen, ob ihr Bein gerettet werden kann. Jene Zeit war «unglaublich hart», wie sie sagt. Nach der dritten (von total vier) Operationen dann die Entwarnung: «Das Bein bleibt dran, die Erleichterung war riesig.» Doch ihr Weg zurück hat gerade erst begonnen.
Simena Moos findet Kraft im Sport, erhält Trost und Unterstützung von ihrem Team, dem Karate-Club Anglikon. «Sie waren immer da für mich. Ich kann kaum in Worte fassen, wie viel mir das bedeutet», sagt die junge Frau, die heute eine Lehre als Bäcker-Konditoreifachfrau bei Ruckli in Sarmenstorf absolviert.
Ihre Leidenschaft ist das Karate. Und das startet schon früh. Ein Vertreter des KC Anglikon macht im Kindergarten und der Unterstufe in Sarmenstorf Werbung für den Sport. Simena Moos ist von Anfang an begeistert. Ihre Mutter weniger. Aber weil das kleine Mädchen nicht locker lässt, darf sie mit sieben Jahren erstmals ins Training.
Schon als Kind war klar: «Simena ist anders»
Was man damals noch nicht ahnen konnte: Eine weitere Top-Karateka aus Sarmenstorf war geboren. Nach Simone Muntwyler und Angela Felber entwickelt sich Simena Moos erst von einer starken Anfängerin zu einem Toptalent. Das Kyokushinkai-Karate – ein harter Vollkontaktstil – ist genau ihr Ding. Ihre Klubkollegin Simone Muntwyler kennt sie von der ersten Stunde an. Sie sagt: «Schon als Kind war klar: Simena ist anders. Während andere noch spielerisch ihre Richtung suchten, zeigte sie eine bemerkenswerte Reife, eiserne Disziplin und einen unerschütterlichen Ehrgeiz. Es war nicht nur ihr Talent, das auffiel – es waren ihre Haltung, ihr Fokus, ihre Bereitschaft, an sich zu arbeiten. Jeden Tag.» Mit 12 Jahren geht sie schon ins Training der Erwachsenen, «ohne zu zögern und ohne Angst», wie Muntwyler erklärt.
Simena Moos wird für die Junioren-Nati nominiert, sammelt erste Erfahrungen an ausländischen Turnieren und es zeigte sich immer mehr, dass sie für die Nachwuchskategorien eigentlich schon zu gut ist. «Sie kämpfte mit der Härte einer jungen Erwachsenen und dem Köpfchen einer erfahrenen Wettkämpferin», sagt Muntwyler, die auch ihre Trainerin war.
Trotz Bäckerlehre in jedem Training
Der Übergang in die Elite-Kategorie rückt im Alter von 16 Jahren immer näher. An jenem Punkt scheitern viele und geben auf. Doch irgendwie war klar, dass für Simena Moos ihr Weg erst so richtig losgeht.
Am 22. April 2023 – also wenige Tage vor dem folgenschweren Unfall – tritt Simena Moos in der U18-Kategorie (+55 kg) bei der Weltmeisterschaft in Armenien an. Dieses Highlight erlebt sie in absoluter Topform. «Das hatte sie sich alles hart erarbeitet. Trotz Bäckerlehre mit Arbeitsbeginn um 3 Uhr – auch an Wochenenden – verpasste sie kein Training», sagt Muntwyler.
Es folgt der Unfall, jener 28. April 2023. Vier Operationen. Schmerz. Ungewissheit. Innerer Kampf. Einen Monat später darf sie das Spital verlassen. Zu jenem Zeitpukt war nicht klar, wie viel ihr Bein aushält – und ob sie jemals wieder Karate machen kann. «Es war eine harte Zeit. Ich war den ganzen Sommer mehr oder weniger eingesperrt», sagt Simena Moos. Als 16-Jährige verbrachte sie die schönsten Monate des Sommers zu Hause. «Das schlug auch auf die Psyche.»
Ihr grosses Vorbild übernimmt ihre Physiotherapie
Anfang September feiert Sarmenstorf sein 850-Jahr-Jubiläum. Ein Anlass dabei war auch ein sportliches Podium mit den besten Sportlern des Dorfes. Die Schwingerbrüder Döbeli und Joho waren dabei, genauso wie Angela Felber, die Spitzen-Karateka, die an Weltund Europameisterschaften schon Medaillen holte und zu den besten Schweizer Karatekas aller Zeiten zählt. Und auf der Bühne steht auch das grosse Karate-Talent Simena Moos. Damals wollte sie nicht über den Unfall sprechen, die Wunden waren noch zu gross, ihre Zukunft zu ungewiss.
Doch schon damals ist sie bereits auf dem Weg zurück. Familie, Freunde und der Karate-Club Anglikon unterstützten sie, wo es nur geht. Und eine besondere Rolle nimmt auch Angela Felber ein. «Sie ist mein Vorbild, sie ist die Beste», sagt Simena Moos. Da Felber auch Physiotherapeutin ist, übernimmt sie die Reha ihrer Teamkollegin Moos. Schritt für Schritt kämpfte sie sich zurück. «Oft musste man sie bremsen – so gross war ihr Wille, wieder auf die Matte zu stehen», erinnert sich Simone Muntwyler.
Vor wenigen Wochen erlebt sie mehr als ein Comeback
Nach über einem Jahr nach dem Unfall – am 15. Juni 2024 – stand sie erstmals wieder auf der Matte. Der Kampf ging verloren. Und doch hat sie an jenem Tag gewonnen. An Zuversicht, an noch mehr Ehrgeiz. Ihr Comeback an einem offiziellen Wettkampf gab sie Anfang April in der Hofmattenhalle in Wohlen. An den Schweizer Meisterschaften. Es war zugleich ihr erster Kampf ausserhalb der Nachwuchskategorien und innerhalb der Elite. Was dann geschieht, lässt jeden, der ihre Geschichte kennt, beeindruckt zurück. Simena Moos gewinnt alle drei Kämpfe. Und dies souverän und deutlich. Mit Entschlossenheit, mit Willen, mit Stärke. Sie kürt sich zur Schweizer Meisterin in der Elitekategorie im Leichtgewicht.
Der Karate-Club Anglikon widmet Simena Moos ein kurzes Statement: «Dein Comeback ist mehr als ein sportlicher Erfolg. Es ist ein Symbol für Stärke, für Hoffnung – und vor allem für die unglaubliche Willensleistung, die in dir steckt. Du hast nicht nur den Kampf auf der Matte gewonnen, sondern auch den weitaus härteren Kampf deines Lebens. Mit jedem Schritt zurück hast du bewiesen, was möglich ist, wenn man an sich glaubt und niemals aufgibt. Wir sind alle wahnsinnig stolz auf dich.»
Nichts scheint unmöglich bei ihr
Simena Moos sagt: «Bei einem Wetterwechsel spüre ich mein Bein. Auch die Beweglichkeit ist nicht mehr wie vorher.» Aber: «Ich bin enorm glücklich, wieder auf der Matte zu stehen. Den Titel zu holen – und das in Wohlen – ist eine riesige Motivation. Nach dieser enorm schwierigen Zeit ist es einfach nur wundervoll.» Moos hat es geschafft – von ganz unten kletterte sie an die Spitze des nationalen Karatesports. Und träumt nun von Turnierteilnahmen im Ausland, von Welt- und Europameisterschaften. Der KC Anglikon traut dieser Kämpferin alles zu. Bei Simena Moos scheint nichts unmöglich. Sie selbst sagt: «Jener Unfall hat mich viel über das Leben gelehrt. Und ich bin heute stärker als je zuvor.»