Durchs Leben gerudert

  23.07.2024 Sport

Die ganze Familie fiebert mit

Der Beriker Tim Roth kurz vor seinem Start an den Olympischen Spielen

Tim Roth macht eine ganze Ruder-Familie happy. Schon sein Grossvater ruderte.

Stefan Sprenger

Am Sonntag gilt es ernst. Tim Roth startet an den Olympischen Spielen. Der Freiämter kann es kaum erwarten, bis es endlich losgeht. «Mal schauen, wie weit es reicht», sagt der 22-Jährige. Sollten es der Beriker und seine drei Teamkollegen im Vierer ohne Steuermann in den Final schaffen, wäre dieser am Schweizer Nationalfeiertag. «Eine Medaille wäre eher unerwartet, aber es ist nicht unmöglich», sagt Vater Tomas Roth. Und auch er hat viel Erfahrung in diesem Sport. Tomas Roth holte selbst nationale Meistertitel und fuhr an Weltmeisterschaften. Er erbte die Passion für den Sport wiederum von seinem Vater. Das Rudern ist bei der Familie Roth also eine generationenübergreifende Angelegenheit. Neben Tim ist auch seine Schwester Olivia an der Spitze des Sports angelangt. «Natürlich erfüllt mich dies als Vater mit Stolz», sagt Tomas Roth, der in Paris live dabei sein wird. Er spricht über seine Erwartungen an seinen Sohn und wieso er ihn nie in den Rudersport gedrängt hat. Der 62-Jährige erzählt auch die Geschichte der Familie und wie man über die ehemalige Tschechoslowakei und Deutschland nach Berikon fand.


Rudern: Der Vater von Tim Roth war selbst ein starker Ruderer, nun fiebert er den Olympischen Spielen entgegen

Am Wochenende startet der Freiämter Tim Roth an den Olympischen Spielen. Vater Tomas Roth ist voller Stolz und Vorfreude. «Das ist einzigartig», sagt der 62-Jährige aus Berikon. Er ist der Grund, wieso alle seine Kinder mit dem Rudersport verbunden sind. Er erzählt seine Lebensgeschichte, die vom Sport auf dem Wasser geprägt ist.

Stefan Sprenger

Tomas Roth ist äusserlich ein Bär von einem Mann. Innerlich hat er ein friedliches Gemüt. Der perfekte Ruderer also. Mit purer Muskelkraft ein Boot über ein ruhiges Gewässer möglichst schnell ins Ziel zu bringen, ist irgendwie seine Lebensaufgabe. Er erzählt seine Geschichte auf dem Balkon seines Hauses in Berikon. Eine Geschichte, die 1961 beginnt. Damals wurde er in Prag geboren. Über seine Kindheit verliert er nicht viele Worte. «Wir sind sportlich aufgewachsen», sagt er.

«Er wollte aus mir einen Weltmeister machen»

Sein Vater ist Kanu gefahren. «Kanadier, wie man es nennt.» 1968 spült ihn das Leben in die Schweiz. «Als damals die Russen einmarschiert sind, kamen wir hierher.» Roth beschreibt sich heute als «Schweizer mit Wurzeln in Tschechien».

Wie sein Vater beginnt auch er mit dem Rudern. Der Vater immer unterstützend im Hintergrund, ja fast ein wenig fordernd. «Er wollte aus mir einen Weltmeister machen», sagt er. Dazu reicht es nicht ganz. Aber Tomas Roth holt sich nationale Meistertitel, nimmt an Weltmeisterschaften teil. «Für den Sport habe ich viel geopfert aber auch viel zurückgekriegt», sagt er. «Im Rudern ist man eine grosse Familie.»

Weltrekord-Halter im Dauerrudern

Der Rudersport ist prägend für sein Leben. Das zeigt schon nur der spannende Fakt, dass Tomas Roth 1990 für kurze Zeit Weltrekordhalter-Halter war – im 24-Stunden-Dauerrudern an einer Rudermaschine. Daneben gibt es eigentlich nur noch ein Thema, was wichtiger ist in seinem Leben: die Liebe. Sie heisst Ingrid. Vor rund 30 Jahren arbeitet Tomas Roth in der Immobilienbranche, er zügelt nach Deutschland. Ingrid, eine Deutsche, war seine Mitarbeiterin in der Firma. Sie verlieben sich. Sie heiraten. Sie gründen eine Familie. 2001 kommt Tim zur Welt, 2003 folgt Olivia. Beide werden in Duisburg geboren. «Wir wollten zurück in die Schweiz, sobald Tim in den Kindergarten musste.»

In Berikon glücklich

2005 ist es so weit. Die Eltern haben ihren beruflichen Mittelpunkt in Zürich. «Doch wir wollten eher ländlich leben. Für uns, für unsere Kinder.» Sie wählten Berikon. Zuerst leben sie in einer Wohnung. In jener Zeit kommt das dritte Kind Tessa zur Welt. 2008 ziehen sie in ihr Haus, wo sie auch heute noch leben. Und dort sitzt Tomas Roth auf dem Balkon und erzählt aus seinem Leben. Im Garten spielt der Hund friedlich und alleine mit einem Ball. «Ich glaube, wir haben ein sehr schönes Leben», sagt Roth, der heute als Berater im IT-Bereich arbeitet.

Tim startete beim HC Wohlen-Freiamt

Etwas, was er von seinem Vater mitgekriegt hat, gab er auch seinen Kindern weiter: die Liebe zum Sport. «Ich habe meine Kinder nie in den Rudersport pressen wollen. Ich wollte sie nicht drängen. Mein Vater wollte aus mir einen Weltmeister machen. Ich wollte, dass meine Kinder ihren Sport selbst aussuchen können», sagt er. Tim beginnt erst mit Eishockey. Beim HC Wohlen-Freiamt ist er im Nachwuchs, Vater Tomas war der Konditionstrainer des Teams. «Er war kein Supertalent im Eishockey. Vielleicht, weil er fast zu gross ist für den Sport», sagt der Vater, knapp 1,90 m gross, über seinen Sohn Tim, heute 2,03 m gross.

2011 besucht Tim einen Ruder-Schnupperkurs. «Es gefiel ihm», sagt der Vater – und sein Lächeln verrät, dass er sich darüber freut. Tim ist talentiert, Tim trainiert viel, Tim hat Spass – und Erfolg. Er gewinnt an der Junioren-Weltmeisterschaft und Junioren-Europameisterschaft die Bronzemedaille. «Natürlich erlebte er auch Rückschläge», sagt sein Vater. «Aber er hat alles gemeistert, immer an sich geglaubt, immer hart trainiert.» Und sein Sohn richtet sein Leben nach dem Rudersport aus. In Kalifornien erhält er ein Stipendium aufgrund seines Rudertalents. Er kann studieren und optimal trainieren. Dasselbe Studium an derselben Universität (Berkeley, USA) startet auch Tochter Olivia in diesem Sommer. Auch sie gehört zu den besten Nachwuchstalenten im Rudersport.

Tomas Roth ist stolz, natürlich. Seine Kinder Tim und Olivia sind an der nationalen Spitze angekommen, bewegen sich Richtung Welt-Elite. Tochter Tessa – die ebenfalls ruderte und Nachwuchs-Titel gewann – hat ihre Leidenschaft mittlerweile im Reitsport gefunden. «Hauptsache man tut das, was man gern hat», sagt der Vater. «Es erfüllt mich mit Stolz, wie sportlich meine Kinder sind.»

Auch Tims Freundin startet in Paris

Olympia ist für einen Sportler das Grösste. Natürlich auch für den Vater eines Sportlers. Und nun steht der grosse Tag kurz bevor. Am Wochenende startet Tim Roth an den Olympischen Spielen in Paris. Gemeinsam mit Patrick Brunner, Kai Schätzle und Joel Schürch wird er im Vierer ohne Steuermann antreten. Übrigens – auch Tims Freundin Celia Dupré aus Genf, mit der er seit 2019 liiert ist, wird an Olympia starten (im Doppelvierer).

Swiss Rowing reist mit sechs Booten und 17 Ruderinnen und Ruderern an die Olympischen Spiele und stellt in Paris das grösste Ruderteam seit über einem halben Jahrhundert. Dass sein Sohn Tim dabei ist, «sei einzigartig». Nun spürt man die grossen Emotionen des ruhigen Gemüts des Vaters. «Einmalig. Unfassbar. Schon die Qualifikation war sehr emotional», sagt er. Vater Tomas, Mutter Ingrid und Schwester Tessa werden in Paris live vor Ort sein und Tim anfeuern. «Die Preise waren saftig», wie er sagt. «Aber dieses Erlebnis ist sowieso unbezahlbar.»

Nur ein Haus weiter von der Familie Roth lebt übrigens eine weitere Olympionikin. Bobfahrerin Melanie Hasler – die 2022 in Peking dabei war – und ihre Familie wohnt auch schon seit Jahren dort. Ein gutes Omen? «Vielleicht», sagt Tomas Roth lachend.

Was liegt sportlich drin für seinen Sohn? «Die Rennen im Vierer ohne Steuermann sind immer eng. Ich glaube, eine Medaille wäre eher unerwartet, aber es ist nicht unmöglich. Sie sollen versuchen, die anderen Nationen so gut es geht zu ärgern. Eine Finalteilnahme wäre schon richtig stark.» Tomas Roth weiss, dass die ganze Truppe des Schweizer Vierers ohne Steuermann noch sehr jung ist. Und sie planen jetzt schon für die Olympischen Spiele 2028 in Los Angeles. Genauso wie seine Tochter Olivia. «Da liegt dann sicherlich mehr drin», meint er. Doch aktuell spielt das keine Rolle. «Jetzt wollen wir Olympia in Paris geniessen», sagt der Vater und meint: «Ich werde vor dem Start von Tim vermutlich nervöser sein als er.»


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