Die Weichen gestellt
29.10.2024 BremgartenEin deutliches Ja
Bremgarten stellt seine Weichen Richtung Zukunft
Mit 260 zu 29 Stimmen entscheiden sich die Stimmbürger klar für eine Annahme der neuen BNO. Ein jahrelanges Werk steht damit vor der Finalisierung.
...Ein deutliches Ja
Bremgarten stellt seine Weichen Richtung Zukunft
Mit 260 zu 29 Stimmen entscheiden sich die Stimmbürger klar für eine Annahme der neuen BNO. Ein jahrelanges Werk steht damit vor der Finalisierung.
Marco Huwyler
Die Entschuldigungen hat Raymond Tellenbach schnell durch. Eigentlich ist praktisch alles und jeder hier, dem die politischen Geschicke Bremgartens am Herzen liegen. Sogar der Balkon – ansonsten Auswärtigen und Journalisten vorbehalten – wird für die letzten Stimmbürger noch aufgestuhlt.
Das Interesse zeigt: Was an diesem Herbstabend im Casino entschieden wird, ist wichtig und nicht alltäglich. Es hat bei so mancher Diskussion im Städtli stets mitgeschwungen in den vergangenen Jahren: Eine neue Bauund Nutzungsordnung (BNO) als essenzielles Planungs- und Entwicklungsinstrument steht seit Längerem auf der Prioritätenliste des Stadtrats ganz oben. «Sie ermöglicht uns eine nachhaltige, langfristige Entwicklung. Als Bezirkshauptort und regionales Zentrum», betonte der Stadtammann am Donnerstagabend in einem längeren Informationsteil vor der finalen Abstimmung nochmals. Und bemühte zur Untermauerung seiner Worte gar den Begründer der Philosophie. «Das Geheimnis der Veränderung ist, alle Energie nicht auf den Erhalt des Alten zu legen, sondern auf den Aufbau des Neuen», zitierte Tellenbach zu Beginn des Abends den grossen Sokrates.
Nun auch Hermetschwil-Staffeln integriert
Über drei Stunden später, nach 23 Uhr, war es dann so weit. Nach intensiven Diskussionen, vier Anträgen und vielen Voten und Beratungen entscheidet sich eine klare Mehrheit für ein Ja zur Gesamtrevision Nutzungsplanung Siedlung und Kulturland. Damit dürfte Bremgarten in absehbarer Zeit und über 10 Jahre nach der Fusion mit Hermetschwil-Staffeln erstmals eine gemeinsame BNO mit seinem neusten Stadtteil erhalten, welche die Spielregeln rund um das Bauen und Planen auf dem gesamten Gemeindegebiet Bremgartens definiert. Ein wichtiger Schritt in Richtung Zukunft.
Bremgarten sagt deutlich Ja zur neuen BNO
Nach Jahren der Vorbereitungen, Anpassungen, Mitwirkungen und Diskussionen wurde die neue Bau- und Nutzungsordnung in Bremgarten angenommen. Ein Mammutprojekt, das die Beteiligten lange beschäftigte. Nun dürfte für weit mehr als ein Jahrzehnt das Fundament für Projekte und Bauvorhaben gelegt sein.
Marco Huwyler
Der Schluss war fast schon kitschig. Nach dem frenetischen Applaus des ganzen Saals wandte sich eine sichtlich gerührte Doris Stöckli nochmals an die Gekommenen und bedankte sich mit brüchiger Stimme für das Vertrauen. Zuvor hatte sich Raymond Tellenbach seinerseits bei seiner Vize bedankt. «Denn die BNO ist ihr Kind», wie es der Stadtammann ausdrückte.
Jahrelange Arbeit
Seit 2017 hatte eine 11-köpfige Begleitkommission aus diversen Interessengebieten, Experten und Erfahrenen unter der Führung Stöcklis an der Gesamtrevision Nutzungsplanung und Bau- und Nutzungsordnung (BNO) gearbeitet.
Ein Regelwerk, das die Rahmenbedingungen für die städtebauliche Entwicklung setzt. Arbeitsgrupppen wurden gebildet, Experten beigezogen, Analysen und Prognosen erstellt – und ständig wieder verworfen bzw. überarbeitet. Denn in den siebeneinhalb Jahren wandelten sich die Umstände und Parameter immer wieder. Gesetze änderten sich, eine Teilzonenabstimmung wurde verloren (2020, Oberebene), die BNO durchlief ein Mitwirkungsverfahren, mehrere Prüfungen durch den Kanton erfolgten, eine öffentliche Auflage brachte Anpassungen – und, und, und.
Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die Verantwortlichen in den letzten Wochen und Monaten zunehmend angespannter waren, als die ausserordentliche Gemeindeversammlung und damit der Stichtag darüber, ob das Werk endlich finalisiert werden kann, immer näher rückte. Nicht nur für Doris Stöckli, sondern für den Gesamtstadtrat und die zuständigen Gremien stand viel auf dem Spiel. Und ein Gesamtregelwerk wie die BNO bietet Angriffsflächen an vielen Fronten.
Viel Überzeugungsarbeit
Dafür verlief der Abend der Wahrheit am vergangenen Donnerstag vergleichsweise sehr gesittet. Nur, als das Reizthema Bahnhof/Obertorplatz erwartungsgemäss aufs Tapet kam, wurde es kurz hitzig – sonst blieb das vom Stadtrat gefürchtete Hickhack grösstenteils aus. Denn was das grosse Ganze anbelangt, dominierte ein erstaunlicher Konsens. Ein Resultat gewiss auch der kommunikativen Offensivstrategie der Bremgarter Regierung in den letzten Monaten und Jahren. Mit diversen Infoanlässen, Schreiben, Medieninformationen und einer eigens eingerichteten Onlineplattform versuchte man einiges, um die Bevölkerung von der Richtigkeit des Weges und der Wichtigkeit der BNO zu überzeugen. Eine Strategie, die am Donnerstag eine Fortsetzung erfuhr – rollte man doch nochmals weit über eine Stunde das Regelwerk in all seiner Komplexität auf und versuchte Umfang und Zusammenhänge zu erklären. Genauso die Auswirkungen eines potenziellen Neins – welches wiederum jahrelange Verzögerungen und Ressourceneinsätze bedeutet hätte.
Widerstand gegen Substanzschutz
Die Strategie trug schliesslich Früchte. Viele Votanten schienen nach dem langen Informationsteil tunlichst darauf zu achten, das Gesamtwerk mit ihren Wortmeldungen nicht zu gefährden. In drei Einwendungen ging es um Einzelparzellen in Privateigentum. Über jene Anträge konnte am Donnerstag herausgelöst von der BNO entschieden werden. Sowohl Guido Wehrli (vgl. auch Leserbrief in dieser Zeitung vom 15.10.) als auch die Erbengemeinschaft von Johanna Knecht-Schneider monierten, dass ihre Häuser in der neuen BNO unter Substanzschutz hätten gestellt werden sollen. Und beide verfingen mit ihrer Argumentation, wonach der Schaden für ihr Privateigentum in keinem Verhältnis zum Nutzen für die Allgemeinheit gestanden hätte.
Ihre Anträge wurden deutlich angenommen. Anders jener von Vital Ruoss. Seine Parzelle wird auch künftig nicht vollumfänglich der Wohn- und Arbeitszone zugewiesen, wie es der Antragssteller und seine Mitstreiter es gerne gehabt hätten.
Grössere Dachdurchbrüche
Die einzige Änderung an der BNO mit Auswirkungen für die Allgemeinheit ging aus einem Antrag von Andreas Rauch hervor. Er forderte, dass Dachdurchbrüche bei Privathäusern – also Dachaufbauten, die der Vergrösserung der Nutzfläche dienen – künftig zwei Drittel statt nur ein Drittel der Fassadenlänge betragen dürfen. «Denn so ist künftig mit bestehender Bausubstanz eine ökologische und nachhaltige Verdichtung möglich», wie Rauch ausführte. Eine sinnvolle Änderung, wie der Souverän befand. Mit bloss 14 Gegenstimmen hiess er den Antrag gut.
Bahnhof als Reizthema
Dass mit den Plänen beim Bahnhof und beim Obertorplatz einige in Bremgarten nicht sonderlich gut leben können, ist hinlänglich bekannt. Auch am Donnerstag wurde dies nochmals deutlich. Sowohl der Stadtammann als auch Abteilungsleiter Bau, Stefan Walder, wiesen deshalb nochmals darauf hin, dass ein Ja zur BNO nicht automatisch ja zu den Bahnhofsplänen mit Busbahnhof und künftiger Obertorplatzgestaltung bedeutet. Dennoch war die ÖV-Situation in Bremgartens Zentrum am Donnerstag Gegenstand eines regen Austauschs.
Walter Oettli, Vorstandsmitglied der städtischen SVP, forderte, dass die mehrfach geäusserten Lippenbekenntnisse des Stadtrats, wonach man sich für den Erhalt der Obertor-Bahnhaltestelle einsetzt, im Zuge der BNO reglementarisch festgehalten werden. «Es kann doch nicht so schwer sein, einen Satz diesbezüglich in die Verordnung zu schreiben.» Da diese Möglichkeit von den städtischen Verantwortlichen negiert wurde, gipfelte sein Votum in einem Ablehnungsantrag gegen die gesamte BNO – womit er letztlich chancenlos blieb. Wohl auch, weil sich AVA-Verwaltungsratspräsident Roland Abt in die Diskussion einschaltete und sich öffentlich zur Haltestelle Obertorplatz bekannte. «Wir setzen uns selber dafür ein. Wir wollen diese beliebte Haltestelle nicht aufgeben», sagte er.
Mehr Weitsicht gewünscht
Gemässigter als Oettli meldeten sich Heinz Briner und Bernhard Greber zum selben Thema zu Wort. Beide bekräftigten, die BNO zu befürworten. «Aber das jetzige Bahnhofsprojekt ist nicht die beste Lösung.» Beide formulierten in ihren Voten einen Auftrag an den Stadtrat, das Projekt nochmals zu überdenken. «Denn Bremgarten braucht beim Bahnhof Visionen. Wie damals die Umfahrung Bremgarten eine war. Die jetzt vorliegende Lösung beim Bahnhof ist dies nicht», sagte Greber.
Auf der Zielgeraden
Dass die beiden – wie auch Oettli bei seinem Votum für die Obertorplatzhaltestelle – kräftigen Applaus ernteten, zeigt, dass das Thema Zentrumsgestaltung und ÖV Bremgarten noch länger begleiten dürfte. Auch wenn jetzt die Rahmenbedingungen definiert wurden.
Was die BNO betrifft, ist man dagegen auf gutem Weg, unter eine langwierige Geschichte und Mammutaufgabe einen Haken setzen zu können. Mit 260 Ja- gegenüber bloss 29 Nein-Stimmen hiessen die Stimmberechtigten in der Schlussabstimmung die Gesamtrevision klar gut. Wird der Entscheid rechtskräftig, herrscht ein gutes Stück mehr Planungssicherheit in Bremgarten. Beispielsweise wird damit aus dem Gebiet Oberebene aus einer reinen Arbeitszone eine Mischzohne. Neues Wohngebiet kann entstehen. Und Bremgarten hat 10 Jahre nach dem Zusammenschluss mit Hermetschwil-Staffeln endlich eine gemeinsame BNO mit seinem neusten Ortsteil.
Ganz im Trockenen ist das neue Regelwerk mit dem Entscheid am Donnerstag aber noch nicht. Die drei angenommenen Anträge müssen noch integriert und vom Kanton genehmigt sowie zwei Einsprachefristen von je 30 Tagen abgewartet werden. Das Gröbste scheint aber geschafft. Und so war der intensive Abend am Donnerstag letztlich ein grosser Erfolg für den Stadtrat und zukunftsweisend für Bremgarten. «Danke für Ihr Vertrauen», sagte die erleichterte Stöckli abschliessend. «Das gibt mir und uns allen ganz viel Energie und Kraft für Neues.»



