Die Wandelbare
17.03.2023 Bremgarten
Barbara Berner hat beim Kellertheater eine besondere Stellung inne
Die 69-Jährige schlüpft im Kellertheater seit Jahren in fast jede Rolle – und das praktisch zeitgleich im selben Stück. Die momentan laufende Eigeninszenierung «Bezahlt wird ...
Barbara Berner hat beim Kellertheater eine besondere Stellung inne
Die 69-Jährige schlüpft im Kellertheater seit Jahren in fast jede Rolle – und das praktisch zeitgleich im selben Stück. Die momentan laufende Eigeninszenierung «Bezahlt wird nicht» verlangt der verblüffenden Flexibilität Berners besonders viel ab.
Marco Huwyler
Wer nicht besonders aufmerksam zuschaut, dem dürfte es zuweilen wohl entgehen. Dass der Mann, der hier todernst den misstrauischen Polizisten mimt, eigentlich eine Frau ist, die vor wenigen Minuten noch als schrilles Huhn und Beteiligte einer Zirkusvorstellung mit farbigen Haaren auf der Bühne stand.
So bunt wie noch nie zuvor
«Manchmal muss ich ganz schön pressieren, um rechtzeitig in der richtigen Aufmachung wieder hier oben zu sein», lacht Barbara Berner. Die Wahlbremgarterin gilt seit Jahren als die Wandelbare im Ensemble des Kellertheaters. Bei bislang acht Auftritten an Eigeninszenierungen besetzte sie sechs Mal mehr als nur eine Rolle in den jeweiligen Stücken. «Ich weiss auch nicht, weshalb das so ist. Offenbar traut man mir die grösseren Rollen mit viel Text nicht zu», scherzt sie. In Tat und Wahrheit ist es vielmehr so, dass die Flexibilität von Berner und ihre Fähigkeit, viele verschiedene Rollen zugleich glaubwürdig zu verkörpern, nicht selbstverständlich und im Theatermetier sowohl gefragt als auch hochgeschätzt sind.
Bei der aktuellen Eigeninszenierung «Bezahlt wird nicht», einer Farce von Dario Fo, repräsentiert Berner wohl so schräge Rollen wie noch nie zuvor. «Es ist mein buntestes, lustigstes Stück bisher. Als Schauspieler kann man dabei alle Register seines Könnens ziehen», sagt die 69-Jährige. «Und dennoch bietet es auch viel Drama und Tiefgang, die vielleicht nicht jeder auf den ersten Blick wahrnimmt.» Für ihre Interpretation des breiten Spektrums der von ihr gespielten Charaktere erntete Berner, genauso wie der Rest des Ensembles, bislang vom Publikum viel Lob. «Das tut gut und dennoch gebe ich nicht allzu viel darauf. Wenn es schlecht wäre, würde es mir ja doch niemand sagen», lacht sie. Noch gut zwei Wochen lang kann man sich im Kellertheater seine eigene Meinung darüber bilden – und sich vergewissern, ob man das Zirkushuhn im Polizisten entdeckt.
«Mein Selbst bleibt in der Garderobe»
Gleich ein halbes Dutzend Charaktere spielt Barbara Berner in der Eigeninszenierung «Bezahlt wird nicht!»
Seit Jahren gehört die 69-Jährige zu den Konstanten im Ensemble des Kellertheaters. Berners Flexibilität, Einsatzbereitschaft und Wandelbarkeit sucht ihresgleichen. So ist sie auch in diesen Tagen wieder in unterschiedlichsten Rollen im Schellenhaus zu sehen. Und weibelt auch hinter den Kulissen an zahlreichen Fronten.
Marco Huwyler
Elf Jahre lang lebt Barbara Berner nun in Bremgarten. Dass es sie hierher verschlagen hat, war ein spontaner Bauchentscheid. «Ich spazierte eines Tages von meinem damaligen Wohnort Niederrohrdorf der Reuss entlang Richtung Bremgarten», erzählt sie. «Dann sah ich den Aushang, wonach in der Altstadt eine Wohnung frei geworden sei – und habe mich kurzerhand dafür entschieden, ‹die nehme ich, hier ist es schön, hier will ich bleiben›.» Bereut hat sie den Entscheid seither keine Sekunde. «Irgendwie hatte ich von Anfang an Heimatgefühle fürs Städtli, die ich mir kaum erklären kann. Ich gehöre wohl einfach hierher», lacht sie.
Schauspiel als Lebensschule
Berner, die einst bei ihrer Ankunft keine Menschenseele ihrer neuen Wahlheimat kannte, ist mittlerweile fest verwurzelt in Bremgarten. Und insbesondere in dessen kultureller Institution, dem Kellertheater, kaum mehr wegzudenken. «Dabei hatte ich eigentlich, bis ich hierherkam, mit Theater mein ganzes Leben lang nichts zu tun», lacht sie.
Doch das Kellertheater, mit dem sie durch ihre neue Nachbarin in Kontakt kam, faszinierte Berner. Wenige Wochen nach ihrer Ankunft trat sie dem Verein bei. Und nach drei Jahren schauspielerisch passiver Mitgliedschaft beschloss sie, es auch selbst einmal mit dem Theaterspielen zu versuchen. Ganz offensichtlich brachte sie dafür ein gewisses Talent mit. Denn Berner wurde prompt für eine Rolle auserkoren. «Seither bin ich infiziert. Ich sehe das Theaterspielen auch ein wenig als Lebensschule und würde es jedem empfehlen. Aufmerksamkeit, Fokus, Achtsamkeit, Anpassungsfähigkeit und Teamwork – all dies ist dabei in einem so hohen Mass gefragt, dass es einen formt und die Sinne schärft – auch für das Leben ausserhalb.» Für das Kellertheater stellte sich Berners entfachte neue Leidenschaft als grosses Glück heraus. Denn die Frau bringt die besondere Gabe mit, sich auf alles einzulassen, in jeder Rolle eine gute beziehungsweise glaubwürdige Figur zu machen und sich blitzschnell auf eine komplett neue Sichtweise eines anderen Charakters einzustellen.
Zum achten Mal dabei
Eigenschaften, die von den Regisseuren der Bremgarter Eigeninszenierung ganz offensichtlich geschätzt werden. Bereits zum achten Mal hintereinander wurde sie heuer bei der Besetzung des Ensembles berücksichtigt. «Dabei gäbe es eigentlich in den meisten Stücken nicht viele Rollen für eine alte Frau wie mich», lacht die 69-Jährige. Doch Berner kann eben nicht bloss «alte Frau».
Das zeigt sich exemplarisch bei der aktuellen Eigeninszenierung. In der Farce «Bezahlt wird nicht!» schlüpft die Rentnerin in nicht weniger als sechs verschiedene Charaktere. Mal ist sie als Frau des Volkes zu sehen, das sich in seinem Aufbegehren wild hamsternd, ohne zu bezahlen, die Produkte eines Lebensmittelgeschäfts unter den Nagel reisst. Dann wieder als Polizist, der auf der Suche nach ebenjenen Plünderern Razzien in Mailand durchführt. Später assistiert sie als extravagante Gehilfin einem Zirkusclown bei dessen Schabernack, preist als Marktschreierin Produkte an, kümmert sich als Leichenbestatter (vermeintlich) um Tote, schmettert als Sängerin die Internationale und fungiert dabei gleichzeitig als Animatorin des Publikums.
Es geht Schlag auf Schlag
«Es ist schon einiges diesmal», lächelt Berner. «So viele verschiedene und vor allem diametral unterschiedliche Rollen hatte ich bisher wohl noch nie.» Die Herausforderung sei es vor allem, sich auf jeden zu spielenden Charakter und seine Eigenheiten hundertprozentig zu fokussieren, um dessen Handeln authentisch wirken zu lassen.
«Dabei ist schnelles Umstellen gefragt. Und eine gewisse Spontanität, obwohl man die Dialoge eigentlich ja in- und auswendig kennt. Trotzdem darf es natürlich nicht klingen wie auswendig Gelerntes. Ich versuche deshalb jeweils so zu spielen und die Sätze so zu sprechen, als wüsste ich nicht, was als Nächstes kommt. Zudem muss man in der Figur aufgehen, die man darstellt. Barbara lasse ich deshalb jeweils komplett in der Garderobe. Für die Dauer des Stückes bin ich jemand anderes. Beziehungsweise viele andere», schmunzelt sie.
Die mentale Flexibilität, die Berner dabei an den Tag legt, ist beeindruckend. Denn zuweilen folgen die verschiedenen Rollen Schlag auf Schlag. Nur zwei Minuten vergehen in einer Szene von ihrem Abgang als Zirkusfigur bis zu ihrem Auftritt als Polizist. «Dabei leisten auch die Helfer im Hintergrund tolle Arbeit. Ich werde förmlich umgezogen, umfrisiert, mit Schnauz beklebt und auch sonst neu verkleidet. Die Abläufe sind super eingespielt.»
Vielfältig engagiert auch neben der Bühne
Berner ist zufrieden mit der Vielfalt, die sie in Bremgarten auf der Bühne repräsentieren darf. «Ich muss keine Hauptrolle haben, um Freude am Theaterspielen zu haben», sagt sie. «Je nachdem, wie man sie interpretiert und sich engagiert, kann man auch kleinen Rollen grossen Wert geben. Vor allem in der Summe.»
Und Engagement ist etwas, das Berner eigentlich immer aufbringt, wenn es ums Kellertheater geht. Neben ihrer schauspielerischen Tätigkeit ist sie auch im Vorstand des Vereins und betreut das Ressort Gastronomie. Jahrelang war sie als Mitglied der Gastspielgruppe mitverantwortlich für das Gastprogramm. Berner half auch, als beim Figurentheater Not an der Frau war. Und sprang als rüstige Rentnerin sogar der jungen Bühne zur Seite. Die Wahlbremgarterin ist verlässlich da, wo sie gebraucht wird – ob auf der Bühne oder im Hintergrund. «Wir sind eine tolle Gruppe, mit viel Charme, in der man viel bewirken kann, deshalb mache ich das alles gerne hier», sagt Berner.
Immer wieder zum letzten Mal
Wie lange dies noch so sein wird, kann die 69-Jährige indes nicht sagen. «Ich posaune jedes Jahr vor der Eigeninszenierung, dass dies mein letztes Mal sein wird», lacht sie. Bislang stand sie im Folgejahr dennoch immer wieder auf der Matte, als es um die Neubesetzung des Ensembles ging. Der Zeitpunkt des Rückzugs Berners scheint so wandel- und unvorhersehbar zu sein wie die vielen Rollen, die sie gespielt hat – und weiterhin spielen wird. Dieses Jahr beginnend mit der Vorstellung von heute Freitag noch genau sieben Mal.
«Bezahlt wird nicht!» im Kellertheater läuft noch bis zum 1. April. Tickets und weitere Informationen unter www.kellertheater-bremgarten.ch.