«Die Wahl als Ehre empfunden»
16.05.2025 Region Wohlen«Wichtig für Demokratie»
Ex-Verleger Christof Nietlispach im Interview
Im Präsidium Schweizer Medien hat er sich starkgemacht für die kleinen Zeitungen. Nun geht er.
20 Jahre lang nahm Christof Nietlispach ...
«Wichtig für Demokratie»
Ex-Verleger Christof Nietlispach im Interview
Im Präsidium Schweizer Medien hat er sich starkgemacht für die kleinen Zeitungen. Nun geht er.
20 Jahre lang nahm Christof Nietlispach Einsitz im Verlegerverband. Der Verwaltungsratspräsident dieser Zeitung war das Sprachrohr für die kleinen Verlagshäuser und Zeitungen. Nun tritt er zurück. Im Interview spricht er über die Medienlandschaft und dass qualitativ gute Medien wichtig sind für die Demokratie. «In diesem Punkt sind sich alle einig. Menschen, die nicht oder einseitig informiert sind, können kaum die richtigen Entscheide fällen», sagt er. Die Welt sei eben so komplex geworden, es brauche eingehende Informationen. Ohne qualitative Medien würde die «direkte Demokratie massiv leiden», so Nietlispach. --dm
Interview mit Christof Nietlispach: Der VR-Präsident dieser Zeitung verlässt das Präsidium Schweizer Medien
Im Präsidium Schweizer Medien machte sich Christof Nietlispach für die kleinen Verlagshäuser stark. Nun zieht sich der VR-Präsident der Freiämter Regionalzeitungen AG von diesem Posten zurück. «Bei kleineren Zeitungen zählt das Herzblut für die Region und ein enormer Leistungswille des ganzen Teams», betont er.
Daniel Marti
Sie waren 20 Jahre lang Mitglied des Präsidiums beim Verlegerverband Schweizer Medien. Warum haben Sie sich damals wählen lassen?
Christof Nietlispach: In den Jahren davor war ich bereits in diversen Gremien dieses Verbands aktiv. Dabei habe ich feststellen können, wie wichtig diese Arbeit für die Branche als Ganzes und besonders für uns Lokalund Regionalzeitungen ist. In kleinen Verlagen hat es kaum Fachspezialisten. Hier macht der Verleger vieles selbst, so gut er es eben kann. Ein Verband ist deshalb sehr wertvoll, nicht zuletzt durch das Netzwerk, das sich so ergibt. Als ich die Chance bekam, ins Präsidium gewählt zu werden, habe ich diese mit Freude ergriffen. Und ich habe die Wahl als Ehre empfunden.
Welches sind die Gründe, aus dem Präsidium auszutreten?
Die Verlagsbranche wandelt sich stetig, besonders in letzter Zeit mit der Digitalisierung und der künstlichen Intelligenz. Für solche Themen ist weniger eine grosse Erfahrung als mehr Spezialwissen aus der Praxis gefragt.
Wie sieht Ihre Bilanz aus? Haben Sie alle Ziele im Verlegerverband erreicht?
Alle Ziele habe ich nicht erreicht, dies zu behaupten, wäre auch vermessen. Durch seriöse Arbeit konnte ich für mich Respekt erarbeiten. Dies hat mir ermöglicht, die Belange lokaler und regionaler Verlage einzubringen. Belange, die einfach vergessen gegangen wären.
Welches wesentliche Ziel blieb denn unerfüllt?
Vieles wurde fliessend erarbeitet und führte zu guten Kompromissen. Darum kann ich nicht behaupten, dass irgendein Resultat enttäuschend ausgefallen ist. Wir alle sind uns im Präsidium nähergekommen, das ist die Hauptsache.
Sie waren im Präsidium der Vertreter für die kleineren Verlagshäuser. Was haben Sie für die Kleinen herausgeholt?
Grosse oder kleinere Zeitungen herauszugeben, bringt unterschiedliche Herausforderungen mit sich. Grosse Verlage haben beziehungsweise hatten früher enorme Ressourcen, sei es in finanzieller, personeller oder technologischer Hinsicht. Bei kleineren Zeitungen zählt dagegen das Herzblut für die Region und ein enormer Leistungswille des ganzen Teams. Wichtig war mir, dass ich die Kolleginnen und Kollegen aus den grossen Medienhäusern für die Probleme und die Möglichkeiten der kleineren Verlage sensibilisieren konnte. Nur so konnten wir gemeinsam Lösungen finden, die den Grossen und den sogenannt Kleinen gedient haben.
Haben Sie von den Grossen gegenüber den Kleinen die nötige Akzeptanz gespürt?
Die musste ich erkämpfen. Aber meistens sind die grossen Verlagshäuser fair zu den kleinen.
Beim Mediengesetz, das vom Schweizer Stimmvolk abgelehnt wurde, waren Sie Lobbyist für die Kleinen. Wie haben Sie dabei die Haltung der Politik zur Schweizer Medienwelt erlebt?
Die enormen Vorarbeiten für das damalige Mediengesetz dauerten rund drei Jahre. Für mich war es gänzlich neu, im Bundeshaus lobbyieren zu gehen. Die Parlamentsmitglieder haben diese Kontakte geschätzt. Bei unseren Gesprächen haben wir unterschiedliche Haltungen angetroffen. Nicht alle konnten akzeptieren, wenn Medien sie kritisierten, oder noch schlimmer, wenn sie von den Medien ignoriert wurden. Erfreulich war festzustellen, dass lokale und regionale Zeitungen einen sehr guten Namen in Bundesbern haben. All diese Politikerinnen und Politiker schätzen in der Regel die Zeitung vor Ort besonders. Vor Ort kennt man sich und man geht korrekt miteinander um. Die Arbeit grösserer Zeitungen wurde eher kritisiert.
Die Stärkung der Branche ist eines der Ziele des Verbandes. Ist sich die Branche einig, wohin der Weg führen soll?
In vielen Bereichen ist sich die Branche einig, aber es gibt wie überall auch Querelen oder ärgerliche Indiskretionen. Gemeinsam kämpfen wir für möglichst gute Rahmenbedingungen. In letzter Zeit steht das sogenannte Leistungsschutzrecht im Zentrum. Dabei geht es um Lösungen, damit die Inhalte von Medien nicht einfach angezapft und durch grosse Tech-Plattformen zu deren kommerziellen Zwecken verwendet werden, ohne dass dafür bezahlt wird. Die künstliche Intelligenz bringt hier nochmals eine Steigerung dieser Machenschaften.
Gibt es weitere Probleme?
Auch gegen Werbeverbote treten wir an. Produkte, die frei gekauft werden können, sollten auch beworben werden dürfen. Grosse Unterschiede gibt es bei einem wesentlichen Aspekt: Insbesondere grosse Medienhäuser stellen viele Informationen gratis zur Verfügung. Dies führte zu einer Gratismentalität und zu der Problematik, dass viele jüngere Menschen für Informationen nichts mehr bezahlen wollen.
Sie können gut vergleichen: Wie hat sich die Schweizer Medienlandschaft in den letzten 25 Jahren verändert?
Die Medienlandschaft hat sich sehr verändert. Insbesondere in den letzten rund zehn Jahren gab es sehr viele Zusammenschlüsse und immer weniger Redaktionen, die den gesamten Inhalt ihrer Zeitung selbst schreiben. Wo früher stark auf Agenturmeldungen gesetzt wurde, werden heute ganze Zeitungsbünde von anderen Verlagen übernommen und nicht mehr selbst geschrieben. Die Qualität wird dadurch möglicherweise besser, aber die Meinungsvielfalt leidet darunter. Getrieben wird diese Entwicklung durch massiv schwindende Einnahmen im Bereich der Werbung. Positiv sind die neuen Möglichkeiten der digitalen Nutzung.
Der Print hat keinen leichten Stand – steigende Preise beim Vertrieb, Druck, Papier, sinkende Werbeeinnahmen. Warum ist der Print dennoch so wichtig?
Eine gedruckte Zeitung hat sehr viele Vorteile. Der allergrösste Teil unserer Leserschaft schätzt die Zeitung auf Papier. Die Übersicht ist wesentlich besser, man kann alles direkt lesen, ohne den Text auf dem Bildschirm vergrössern zu müssen. Auch Inserate werden direkt beachtet, ohne dass sie vergrössert werden müssen. In digitalen Produkten ist die Werbung wesentlich weniger beliebt, sie stört teilweise. Studien haben zudem gezeigt, dass gedruckte Zeitungen klar intensiver genutzt werden und dass man sich so gelesene Texte wesentlich besser merken kann.
Heute ist die Jagd nach digitalen Klicks und nach Tempo oft wichtiger als die seriöse Quelle einer Nachricht. Wie ist Ihre Haltung zu diesem Trend?
Ich verabscheue diesen Trend. Seriös recherchierte Texte sind das A und O, um sich informieren zu können. Kurzfutter, überrissene Schlagzeilen und dergleichen schaden der Glaubwürdigkeit der Medien ungemein.
Und alles darf heute abgeschrieben werden, früher sagte man dem «abkupfern». Dies steigert die Qualität der Medien nicht …
Ich kann mich erinnern, dass zu meinen Anfangszeiten in dieser Branche auch hin und wieder abgekupfert wurde. Wir haben uns damals jedes einzelne Mal darüber geärgert. Leider hat diese Unart in letzter Zeit sehr stark zugenommen. Meiner Meinung nach ist dies Diebstahl. Ganz schlimm ist auch, dass abgekupferte Inhalte häufig nicht überprüft werden. Wir erlebten bereits mehrfach, dass so Unwahrheiten weiterverbreitet wurden. Auch dies trägt nicht zur Glaubwürdigkeit bei.
Früher gab es einen Berufsstolz in der Medienlandschaft. Der Verlegerverband sollte sich doch stärker dafür einsetzen.
Ich bin davon überzeugt, dass es den Berufsstolz nach wie vor gibt. All unsere Redaktorinnen und Redaktoren sind mit Sicherheit stolz auf ihre Zeitung. Wenn aber bei einer Zeitung der Leistungsdruck mehr und mehr zunimmt, bedingt durch die schwindenden Einnahmen, und die eigentlich benötigte Zeit für eine seriöse Recherche fehlt, dann leidet sicherlich der Berufsstolz.
Ein wiederkehrendes Thema: die Presseförderung. Wie sieht Ihr idealer Lösungsvorschlag aus?
Als Unternehmer möchte man selbstverständlich ohne staatliche Förderung auskommen. Dies ist im Bereich der Lokal-/Regionalzeitungen jedoch heute nicht mehr möglich. Will man heute und in Zukunft eine redaktionell stark gemachte Zeitung herausgeben, dann braucht es eine Presseförderung. Heute wird der Vertrieb, also die Postzustellung, vergünstigt. Dieses System wird früher oder später abgeschafft, da mehr und mehr Zeitungen digital gelesen werden. Da auch digitale Medien nicht kostendeckend erstellt werden können, braucht es in ein paar Jahren ein neues System. Eine sehr gute Lösung wäre die Umsetzung einer Motion von Barbara Schaffner, sie ist GLP-Nationalrätin aus dem Kanton Zürich. Sie ist sinnigerweise die Tochter von Annemarie Schaffner, der ersten Einwohnerratspräsidentin von Wohlen.
Ein Verlagshaus in Wohlen und eine Nationalrätin mit Wohler Wurzeln. Das ist ja wie ein Heimspiel …
Die Idee hinter ihrer Motion ist die Förderung journalistischer Leistung, unabhängig ob gedruckt oder online. Ich hatte schon mehrfach Kontakte mit ihr. Die GLP ist ja eher gegen die Presseförderung. Ich konnte ihr jedoch erklären, dass 99 Prozent unserer Leserschaft eine Zeitung wollen und nicht eine digitale Version. Der Vorschlag von Barbara Schaffner zielt dahin, dass die Presseförderung allen Erzeugnissen zugutekommt, also Kanal-unabhängig ist. Nationalrätin Schaffner kennt unsere Zeitung und sie weiss deshalb, was eine gut gemachte Regionalzeitung ist. Das ist von grossem Vorteil, da sie so die Wichtigkeit lokaler, regionaler Berichterstattung kennt – ob gedruckt oder digital.
Die grossen Tech-Häuser wie Google oder Facebook schneiden sich immer mehr vom Werbekuchen auch in der Schweiz ab. Warum ist man da auf politischer Seite so zurückhaltend?
In der EU gibt es Gesetze, welche die Verlage in eine bessere Position bringen und die Tech-Konzerne zu Verhandlungen verpflichten. Wie es scheint, sind diese Gesetze zahnlos. In der Schweiz sind die Bestrebungen recht weit. Nun hat aber der Bundesrat das Tempo rausgenommen, wie es scheint, um US-Präsident Trump nicht zu provozieren. Unser Verband bleibt dran, und die schweizerische Lösung soll wesentlich besser als jene im EU-Raum werden.
Wie sehen Sie die Zukunft der Medienlandschaft?
Rosig ist die Zukunft nicht, im Gegenteil. Wenn es uns nicht gelingt, dass die Medien, insbesondere die Zeitungsverlage, stärker unterstützt werden, dann wird es mehr und mehr zu Einstellungen von Lokal- und Regionalzeitungen kommen. Die Politik konnten wir zweimal von dieser Notwendigkeit überzeugen. Leider haben bei der letzten Referendumsabstimmung die populistischen Argumente der Gegner beim Volk verfangen. Auch bei der aktuell vom Parlament beschlossenen Erhöhung der Presseförderung ist ein Referendum am Laufen. Sollte das Referendum zustande kommen, dann müssen wir damit rechnen, dass die Gegner wiederum mit höchst fragwürdigen und teils falschen Argumenten in den Abstimmungskampf steigen werden.
Sie haben die Führung des Verlages Freiämter Regionalzeitungen AG mit «Bremgarter Bezirks-Anzeiger», «Der Freiämter» und «Wohler Anzeiger» vor acht Jahren an Ihren Sohn übergeben. Ein Wort zur Entwicklung «Ihres» Verlages?
Die Entwicklung macht mir grosse Freude. Die Übernahme des «Freiämters» hat den Verlag als Ganzes gestärkt. Das Freiamt ist eine der weniger werdenden Regionen, in welchen es eine redaktionell ausgezeichnet gemachte Lokal-/Regionalzeitung gibt. Die Firma an meinen Sohn zu übergeben, war die beste Entscheidung in meinem Unternehmerleben. Es braucht fähige, mutige, fleissige und zuversichtliche Menschen, damit kleinere Zeitungen überleben können.
Danke fürs Kompliment betreffend ausgezeichnet gemachte Lokal-/Regionalzeitung …
Das ist sogar eine objektive Einschätzung und es ist meine volle Überzeugung. Früher haben wir uns oft mit dem «Willisauer Boten» verglichen, dieser war lange Zeit die am besten gemachte Lokalzeitung in der Deutschschweiz. Der «Willisauer Bote» war uns mit seiner Kantonsseite voraus. Eine Aargauer Berichterstattung könnte für uns nach wie vor ein Wunsch sein. Wir wissen, dass es dafür eine Top-Leistung benötigt, aber nicht zulasten von anderem. So nebenbei erwähnt, der Regierungsrat ist betreffend Presseförderung immer noch eine Antwort auf einen Vorstoss schuldig. Wenn der Regierungsrat mehr Aargauer Themen in den Lokalzeitungen möchte, dann kann er das so in seiner Antwort signalisieren. Aber das Lobbyieren ist nun definitiv die Sache meines Sohnes.