«Die kleinen Dinge bewirken viel»
18.08.2023 Zufikon, Region BremgartenNachbarschaftshilfe auf Kurs
240 Genossenschafterinnen und Genossenschafter zählt KISS Reusstal-Mutschellen. Mit der regionalen Nachbarschaftshilfe fördert die Genossenschaft die Gemeinschaft untereinander und bringt Mitglieder, die etwas geben möchten, mit ...
Nachbarschaftshilfe auf Kurs
240 Genossenschafterinnen und Genossenschafter zählt KISS Reusstal-Mutschellen. Mit der regionalen Nachbarschaftshilfe fördert die Genossenschaft die Gemeinschaft untereinander und bringt Mitglieder, die etwas geben möchten, mit Mitgliedern zusammen, die etwas brauchen. «Es verbindet Menschen über Generationen hinweg», ist der Präsident Martin Villiger überzeugt. Längst richten sich die Leistungen nicht mehr nur an Seniorinnen und Senioren, die Unterstützung benötigen.
Martin Villiger und die Co-Geschäftsleiter Helen Bieler und Ruedi Aschmann sprechen im Interview über den Sinn und Zweck der Genossenschaft. Ebenfalls berichten sie über die finanziellen Schwierigkeiten und den Generationenwechsel im Vorstand. --sab
«Auf einen Kaffee mit ...» den Verantwortlichen der KISS-Genossenschaft Reusstal-Mutschellen
Seit sechs Jahren ist die Genossenschaft «Keep it small and simple» Reusstal-Mutschellen, kurz KISS, mit Sitz in Zufikon aktiv. Präsident Martin Villiger und die Co-Geschäftsleiter Helen Bieler und Ruedi Aschmann sprechen über deren Entwicklung, Wirkung und die Herausforderungen.
Sabrina Salm
Im Juli 2017 wurde die KISS-Genossenschaft gegründet. Was hat sich seit da getan?
Martin Villiger: Nachdem wir im kleinen Kreis als Verein begonnen haben, stiegen die Mitgliederzahlen ab dem Infoanlass im Jahr 2018 im JoJo Bremgarten schnell an. In Zahlen Stand heute heisst das 240 Genossenschafterinnen und Genossenschafter.
Ruedi Aschmann: In all den Jahren sind etwas mehr als 10 000 Stunden Freiwilligenarbeit geleistet worden. Wir haben an die 190 Einführungsgespräche geführt.
Helen Bieler: Und 48 Anlässe wie KISS-Café, Generalversammlungen, Grillfeste und Apéros wurden durchgeführt.
Was ist die Idee hinter KISS?
Villiger: Es ist begleitete Nachbarschaftshilfe mit Zeitnachweis. Wir organisieren Anlässe, damit sich die Interessierten und die Mitglieder noch besser kennenlernen. Eine überschaubare Gruppe von vertrauten Menschen gibt und empfängt gegenseitig auf unbürokratische Art Unterstützung bei Aufgaben des täglichen Lebens.
Zeitnachweis – Was heisst das?
Aschmann: Kiss macht Freiwilligenarbeit sichtbar. Leistungen, die man erbringt, werden aufgeschrieben und man erhält es wieder zurück, wenn jemand diese Tätigkeit anbietet. Unsere Vision ist, neben AHV, BVG und dritter Säule eine vierte, geldfreie Säule, die eben mit Zeit funktioniert, auch wenn kein Recht auf Unterstützung besteht.
Ist es nicht eine Konkurrenz zu anderen Organisationen wie Spitex oder zu Pro Senectute?
Aschmann: Nein, auf keinen Fall. Wir sind eine Ergänzung zu anderen Institutionen und arbeiten mit allen zusammen, die mit uns arbeiten möchten. Wenn schon eine Organisation ein Angebot hat, wird es bei uns nicht angefragt und auch nicht angeboten, da unsere Mitglieder dies ja auch wissen. Wir grenzen uns auch klar von Pflegearbeit ab. Unsere Aufgaben liegen in der Begleitung und Betreuung.
Bieler: Nicht immer können Angehörige helfen, da kommt die Nachbarschaftshilfe ins Spiel um sie zu entlasten.
Wie können solche Aufgaben aussehen?
Bieler: Unsere Dienstleistungen sind sehr vielfältig und umfassen eine Riesenpalette. Das kann von Natel-Einrichten, gemeinsamer Gartenarbeit über Spaziergänge-Machen bis hin zu Fahrdiensten oder einfach Gesellschaft-Leisten gehen. Unser Angebot ist übrigens nicht nur für Seniorinnen und Senioren. Wir haben auch immer mehr alleinstehende Frauen oder Paare, die keine Familie in der Nähe haben und unsere Freiwilligenarbeit annehmen und geben.
Villiger: Auf den ersten Blick erscheinen diese Hilfestellungen klein. Doch es sind genau diese kleinen Dinge, die viel bewirken und wichtig sind.
Was bewirken sie denn?
Villiger: Die Leistungen sind für Gebende und Nehmende bereichernd. Auch wird durch die Freiwilligenarbeit unserer Genossenschafterinnen und Genossenschafter die Gemeinschaft gestärkt und Vereinsamung vermindert. Es verbindet Menschen über Generationen hinweg. Auch ist niemand Bittsteller. Weil wir uns auf Augenhöhe begegnen, wird es für die Menschen einfacher, Hilfe anzunehmen.
Bieler: Es bewirkt auch, dass Menschen im Alter oder in schwierigen Lebenssituationen länger in ihrer gewohnten Umgebung bleiben können, da sie durch Freiwillige gut betreut werden.
Zusammengefasst lässt sich die KISS-Genossenschaft Reustal-Mutschellen als Erfolg bezeichnen. Gab es auch Rückschläge?
Bieler: Hinsichtlich Finanzen und Mithilfe in der Organisation sind wir nicht optimal aufgestellt. Die Genossenschaft finanziert sich selber über Spenden, Stiftungen, die Kirche und dank Unternehmen. Aber um die Qualität in der Organisation zu erhalten, braucht es eben finanzielle Mittel. Da fehlt uns der Zustupf der Gemeinden.
Villiger: In unserem Einzugsgebiet, in dem 12 Gemeinden sind, hat es 35 000 Einwohnende. Wir bräuchten nicht einmal 2 Franken pro Einwohner und Jahr, dann würde es reibungslos funktionieren.
Warum ist es so schwierig, finanzielle Unterstützung der Gemeinden zu erhalten?
Aschmann: Es fehlt zum Teil an der Anerkennung der Situation. Unsere vielfältigen Leistungen werden unentgeltlich durch Freiwillige erbracht. So wird die Zivilgesellschaft gestärkt und ein bedeutender Beitrag zur Entlastung im Gesundheits- und Sozialwesen geleistet.
Villiger: Die Investitionen sind eine längerfristige Angelegenheit und die Einsparungen bei den Pflegekosten können im Budget nicht klar vorausgesehen werden. Wir können den Gemeinden nicht nachweisen, wie viele Menschen durch uns in ihren eigenen vier Wänden bleiben und so nicht auf die Unterstützung der Gemeinden angewiesen sind.
Die Mithilfe in der Organisation wurde angesprochen. Was fehlt konkret?
Aschmann: Der Generationenwechsel im Vorstand und in der Geschäftsleitung steht an. Leute zu finden, die helfen wollen, ist kein Problem. Aber Leute, die Verantwortung übernehmen möchten, schon. Wir wollen jemanden finden, der die Idee der Genossenschaft weitertragen kann.