Der Verteidiger der Reformation
30.01.2024 Mutschellen, WidenBullinger im Fokus
Frühstückstreff lud zum Vortrag ein
Über 60 Personen nahmen kürzlich am Frühstückstreff der Reformierten Kirche Bremgarten-Mutschellen in Widen teil. Sie hörten gespannt den Ausführungen des ...
Bullinger im Fokus
Frühstückstreff lud zum Vortrag ein
Über 60 Personen nahmen kürzlich am Frühstückstreff der Reformierten Kirche Bremgarten-Mutschellen in Widen teil. Sie hörten gespannt den Ausführungen des Bremgarter Stadtführers Reto Jäger zu. Dieser stellte den Reformator Heinrich Bullinger vor, welcher von 1504 bis 1575 lebte. In Bremgarten aufgewachsen und hier zwei Jahre als Stadtpfarrer aktiv, übernahm er im Alter von 27 Jahren die Nachfolge von Huldrych Zwingli in der Stadt Zürich. Jäger erklärte, welche Wirkung Bullingers Schaffen hatte und wo er heute noch in Bremgarten anzutreffen ist. --rwi
Am Frühstückstreff referierte der Bremgarter Stadtführer Reto Jäger über Heinrich Bullinger
Die reformierte Kirche Bremgarten-Mutschellen lud zu einem Frühstückstreff mit einem Vortrag über Heinrich Bullinger ein. Der Nachfolger von Huldrych Zwingli wuchs in Bremgarten auf. Entsprechend war der Anlass mit über 60 Teilnehmenden sehr gut besucht.
Roger Wetli
«Es sind wohl noch nie so viele Leute an den Frühstückstreff gekommen», schwärmte Sozialdiakonin Maria Trost-Hansemann. Die Anwesenden wurden nicht enttäuscht. Der ehemalige Geschichtslehrer und Stadtführer in Bremgarten, Reto Jäger, gab spannende Einblicke in das Leben von Heinrich Bullinger. Und er stellte klar: «Manchmal wird er mit seinem Vater verwechselt, der lange Jahre Stadtpfarrer von Bremgarten war und genau gleich hiess.» Das Wirken des Sohns fasste Jäger so zusammen: «Huldrych Zwingli stiess die Reformation an, Heinrich Bullinger verteidigte sie. Denn nachdem die Zürcher die Schlacht bei Kappel verloren hatten, stand die Reformation auf der Kippe.»
Bestvernetzter Eidgenosse seiner Zeit
Als Nachfolger Zwinglis und Vorsteher der Zürcher Kirche wählte der Stadtrat den damals 27-jährigen Heinrich Bullinger. «Sie dachten wohl, dass sie ihn besser würden beeinflussen können als einen möglichen Gegenkandidaten», schmunzelte Jäger während des Vortrags. Bullinger habe auf Diplomatie gesetzt und Bedingungen gestellt. So habe die Politik Vorrang, rede aber der Kirche nicht rein. Bullinger wollte aber an den Stadtrat Forderungen stellen dürfen, entscheiden solle aber der Rat.
Bullinger blieb bis zu seinem Tod im Jahr 1575 in seinem Amt. Er starb im damals hohen Alter von 71 Jahren und amtete 44 Jahre in der Stadt Zürich. «Er ging selten auf Reisen. Zu gefährlich wären diese für ihn als Reformator gewesen. Trotzdem gehörte er zu den bestinformierten Eidgenossen seiner Zeit», stellte Reto Jäger fest und erklärte warum: «Neben rund 130 Schriften, wie zum Beispiel eine Anleitung für eine gute Ehe, schrieb Heinrich Bullinger sehr viele Briefe – die wichtigsten kopierte er. 2000 sind erhalten, plus 10 000 Antworten. Man kann davon ausgehen, dass vor jeder Antwort ein Brief von Bullinger stand.» Jäger zeigte auf einer Europakarte, wohin diese Kontakte überall reichten. Neben dem heutigen Grossbritannien, Deutschland und Italien tauchten da auch osteuropäische Länder wie zum Beispiel Lettland auf. «Heinrich Bullinger unterrichtete viele Studenten aus England. Viele wohnten bei ihm und seiner Frau. Reisten sie zurück, gab er ihnen seine Briefe mit. Aber auch den regelmässigen Besuchern und Ausstellern der Frankfurter Buchmesse gab er seine Briefe mit.»
Der Reformator hielt rund 7000 Predigten im Grossmünster. «Das war eine seiner Hauptaufgaben», unterstrich Jäger. «Seine wichtigsten Predigten wurden gedruckt, übersetzt und gelangten bis nach Amerika und Ostasien.» Wie stark Heinrich Bullinger noch heute verehrt wird, stellte Jäger fest, als er eine Gruppe Osteuropäer vor dem Bullinger-Denkmal beim Zürcher Grossmünster antraf und diese über den Reformator sehr viel wussten. «Zu seinen wichtigsten Taten gehörte sein Schulterschluss mit dem Genfer Reformator Johannes Calvin 1549, als sie bezüglich Abendmahl einig wurden», so Jäger.
Rebellischer Vater
Als Bremgarter Stadtführer beleuchtete Reto Jäger auch die Zeit Bullingers vor seinem Wirken in Zürich. «Sein Vater wirkte als Stadtpfarrer in Bremgarten und lebte im Konkubinat. Da der Vater seiner Mutter mit dieser Liaison nicht einverstanden war und seine zwei Söhne beauftragte, Bullinger zu töten, floh das Paar in die Ostschweiz und kam erst zwei Jahre später zurück. Dies, nachdem die beiden Brüder in fremden Kriegsdiensten gefallen waren.» Bereits Bullingers Vater rebellierte gegen die katholische Kirche, indem er den Ablasshandel kritisierte und dem entsprechenden Vertreter den Zugang zur Stadtkirche verwehrte. Das gab Ärger, aber Bullinger habe gewonnen.
Sein Sohn besuchte die Lateinschule in Bremgarten. Mit zwölf Jahren schickte ihn sein Vater ins deutsche Emmerich an den Niederrhein. «Später wechselte Heinrich Bullinger nach Köln, wo er in Kontakt mit Schriften von Martin Luther kam. Als er mit 18 Jahren nach Bremgarten zurückkehrte, war er Anhänger der neuen Lehre und steckte damit seinen Vater an», so Jäger. Der Junge wurde Lehrer im Kloster von Kappel, ohne dabei als Mönch einzutreten. Für ein halbes Jahr wurde er nach Zürich geschickt zur Pfarrerausbildung. «Dort lernte er Zwingli kennen. Sie verstanden sich sehr gut.» Das war um 1524. Vier Jahre später bekannte sich Bullingers Vater als Stadtpfarrer von Bremgarten zum neuen Glauben. «Der Stadtrat schickte ihn deshalb weg. Im selben Jahr kippte die Stimmung im Städtchen und sein Sohn wurde als Stadtpfarrer eingesetzt. Er blieb bis nach Zwinglis Tod zwei Jahre lang», wusste Reto Jäger. Die Bedeutung von Bremgarten und der Beziehung zwischen Heinrich Bullinger und Huldrych Zwingli für die damalige Zeit unterstrich der Stadtführer mit der Erwähnung, dass sich Zwingli heimlich mit Berner Abgesandten in Bremgarten vor der Schlacht in Kappel traf. «Die Berner kamen dann aber zu spät.»
Hart zu den Täufern
Reto Jäger beleuchtete auch die Schattenseiten von Heinrich Bullinger. «Er war sicher kein Heiliger. Zu seinen grössten Schatten aus heutiger Sicht gehörte sein Umgang mit der Täuferbewegung. Die Täufer galten zwar als Anhänger von Zwingli, lehnten aber die Taufe von Kindern ab und befürworteten die Erwachsenentaufe. Und sie verweigerten den Eid auf die Regierung.» Mit Letzterem fanden sie grossen Zuspruch auf dem Land, das von den Städten dominiert wurde. «Die Täufer wollten die Gesellschaftsordnung ändern, die Reformation nicht. Damit wurden sie für die Regierung gefährlich und entsprechend verfolgt», so Jäger. Heinrich Bulligen verfasste das entscheidende Gutachten gegen die Täufer. Die Todesurteile wurden aber nicht von ihm, sondern durch den Stadtrat gefällt. «Bullinger war hart gegenüber den Anführern und mild zu den Mitläufern, damit diese wieder zurückkommen. Die zum Tode Verurteilten ersäufte man als Spektakel und Warnung in der Limmat.»
Gekauft und in einem Schrank deponiert
Als Stadtführer von Bremgarten kennt Reto Jäger die Orte, wo man heute noch im Reussstädtchen auf Heinrich Bullinger trifft. «Bullingers Büste steht seit 1954 bei der reformierten Kirche. Sie wurde einst durch den Stadtrat gekauft und in einem Schrank deponiert», so der Stadtführer. Er wies darauf hin, dass es in der Marktgasse beim Bullingerhaus eine Inschrift gibt. «Geboren wurde er aber wohl in der Unterstadt. Im Parterre des Bullingerhauses kann man heute in der Pizzeria ‹Dolce Vita› speisen. Heinrich Bullinger führte aber garantiert kein ‹süsses Leben›.»