Der «Stadtkeller» wird indisch
24.03.2023 BremgartenAbschied von Thomas Schaufelbühl nach 35 Jahren
Mit der Pension des bisherigen Wirtes endet in Bremgarten auch eine lange Gastrofamiliendynastie. Das Restaurant gegenüber des Rathauses wird jedoch von langjährigen Mitarbeitern des 65-Jährigen ...
Abschied von Thomas Schaufelbühl nach 35 Jahren
Mit der Pension des bisherigen Wirtes endet in Bremgarten auch eine lange Gastrofamiliendynastie. Das Restaurant gegenüber des Rathauses wird jedoch von langjährigen Mitarbeitern des 65-Jährigen weiterbetrieben. Sie wollen dem Traditionshaus indischen Charme verleihen.
Marco Huwyler
Lange Jahre war der «Stadtkeller» in Bremgarten ein Mekka für Fischliebhaber. Einst holte der Familienbetrieb die auf dem Rathausplatz angebotenen Spezialitäten am Morgen selbst frisch aus der Reuss. Später wurden die Fische von lokalen Fischereien lebendig an den «Stadtkeller» geliefert, wo sich der Gast die Hechte oder Forellen noch selbst im Aquarium des Restaurants aussuchen konnte, bevor sie in der Küche verarbeitet wurden.
Exotisch geworden
Auch in den letzten Jahren unter Thomas Schaufelbühl blieben die Fischmenüs auf der Speisekarte ein Renner. Doch unter dem Urenkel des Gründers entwickelte sich das Restaurant in den letzten drei Jahrzehnten zu einem vielseitigen Gasthaus, das sich mit vielen kreativen Menüs mit exotischem Einschlag und Fokus auf Bio- und Vollkornprodukte einen Namen machte. «Beeinflusst wurde ich dabei durch meine Reisen in jungen Jahren in Ländern wie Marokko, Nepal oder Indien», sagt der scheidende Wirt.
Von letzterem Land stammt auch Keetheswaran Sinnathamby ursprünglich. Der mittlerweile 54-Jährige war aus Sri Lanka Anfang der 90er-Jahre in die Schweiz ausgewandert und fand in Bremgarten bei Thomas Schaufelbühl Arbeit. Seit über 30 Jahren arbeitete er im «Stadtkeller» und stieg dort bald vom Küchengehilfen zum Koch auf.
Nun ist Sinnathamby Teil des Teams, das nach der 126-jährigen Familiendynastie auf die Schaufelbühls folgt. Gemeinsam mit seiner 25-jährigen Tochter Aarthy Keetheswaran und deren 39-jährigem Ehemann Athavan Arulanantham, der ebenfalls Koch ist, wird er künftig das Team des «Stadtkellers» bilden und sich dabei auf die Küche aus Indien konzentrieren.
«Es war Zeit loszulassen»
Thomas Schaufelbühl übergibt seinen «Stadtkeller»
Seit 126 Jahren und über vier Generationen hinweg hatten die Schaufelbühls im «Stadtkeller» gewirtet. Nun übergibt Thomas Schaufelbühl an seine langjährigen Angestellten. Das Konzept des Altstadt-Restaurants ändert sich – künftig wird ausschliesslich indisch gewirtet.
Marco Huwyler
Ein wenig Wehmut ist bei Thomas Schaufelbühl schon dabei. Nicht unbedingt deshalb, weil sein Restaurant künftig nicht mehr von einem «Schaufelbühl» betrieben wird. Das findet er nicht schlimm. «Denn, dass wir den ‹Stadtkeller› verpachten, gab es ja in der langen Historie bereits (siehe Artikel unten). Ausserdem bleibt das Haus in Familienbesitz – und die neuen Betreiber, die sind schon so lange dabei – die gehören auch zur Familie.»
Was Schaufelbühl aber ein wenig nahegeht, ist die Abkehr von seinem Konzept, das seit 1988 lautete «Bio und Vollkorn». «Für mich war das immer etwas, das meiner inneren Überzeugung entsprach und ich deshalb mit Herzblut vertrat – auch wenn es sich nicht immer rentierte.»
Die neuen Verantwortlichen Aarthy Keetheswaran, Athavan Arulanantham und Keetheswaran Sinnathamby werden «Bio und Vollkorn» nicht weiterverfolgen und mit Produkten aus konventioneller Herstellung arbeiten. «Ich verstehe dies ein Stück weit. Vollkorn ist aus der Mode gekommen, ‹in› ist heute in den ernährungsbewussten Kreisen die ‹vegane Küche›, die sich kaum darum schert. Und ‹Bio› ist bei dem, was die drei vorhaben, schlicht nicht gefragt und wäre deshalb hinderlich, weil teurer.»
Indische Grossfeste versorgen
Die neuen Betreiber werden den «Stadtkeller» in ein rein indisches Restaurant verwandeln. Und als zweites Standbein einen indischen Partyservice lancieren. Keetheswaran, die gemeinsam mit Ehemann Arulanantham künftig den Betrieb leiten wird, erklärt, weshalb sich dies für sie lohnen dürfte. «Das Bremgarter Casino wird regelmässig von der indischen Community in der Gegend für Feierlichkeiten gebucht.» Rund zwei Mal pro Monat sei dies der Fall. «Und wenn wir feiern – Hochzeiten, Geburtstage, Jubiläen oder Sonstiges – ist das in der Regel eine grosse Sache», lacht die 25-Jährige.
Die Nachfrage nach einem indischen Caterer in der Gegend, der die Verpflegung für die jeweils bis zu mehreren hundert Gästen abdeckt, sei deshalb auch entsprechend gross. «Im Raum Aargau/Zürich gibt es bislang nur zwei, die das machen und die sind ständig ausgebucht.» Wenn in Bremgarten, so nahe bei der «indischen Festhütte» Casino, ein weiteres Angebot eröffnet wird, dürfte sich dies mehr als lohnen. «Diese Gewissheit gibt uns auch eine Sicherheit, die uns guten Mutes in das Abenteuer ‹Stadtkeller› lässt», lächelt Keetheswaran.
Die junge neue Pächterin ist mit dem Altstadt-Restaurant aufgewachsen. Als sie 1997 geboren wurde, da arbeitete ihr Vater bereits seit fünf Jahren als Koch unter Thomas Schaufelbühl. «Sinnathamby hat das Restaurant in den letzten drei Jahrzehnten mitgeprägt», sagt dieser. «Deshalb ist es schön, dass er dem ‹Stadtkeller› erhalten bleibt, wenn ich schon aufhöre.»
Die srilankesische Familie mit indischen Wurzeln wusste sofort, dass sie sich für eine Nachfolgelösung einsetzen und sich daran beteiligen wollte, als sie die Nachricht von dem bevorstehenden Rückzug Schaufelbühls hörte. «Für mich war es ein kleiner Schock, als er uns darüber informierte», sagt Keetheswaran. «Das Restaurant gehörte immer zu meinem Leben. Dass es dereinst nicht mehr existierte, konnte ich mir gar nicht vorstellen.» Als sich das Familienkollektiv Schaufelbühl – neben Thomas und Benny, der sich weiterhin um seine Panetteria kümmern wird, gehört das historische Bremgarter Gebäude weiteren Geschwistern – dafür entschied, dass man die Gastronomie auch nach dem Ausscheiden weiterführen und dem indischen Team in Pacht anvertrauen wird, waren die drei glücklich. «Ich bin überzeugt, dass es funktionieren wird», sagt Keetheswaran. «Ich habe Bremgarten und die Region Freiamt immer als sehr affin für die indische Küche erlebt.»
Schwierige Jahre
Schaufelbühl wünscht sich, dass seine Nachfolgerin mit ihrem Optimismus richtig liegt. Die Voraussetzungen dafür, dass sich das neue indische Restaurant schnell etabliert, sieht er durchaus als günstig. Denn in letzter Zeit rentierte der Stadthof. «Wir hatten vor der Schliessung nach meinem Rückzug eigentlich so viele Gäste wie nie zuvor.» Der 65-Jährige weiss, dass dies nicht selbstverständlich ist. «Wir haben auch schwierige Zeiten durchgemacht.» In den Jahren vor Corona sei die Kundschaft bescheiden gewesen. Den Grund dafür sieht er hauptsächlich in der Lage. «Der Stadtkeller im ruhigen Teil der Altstadt generiert halt nicht so viel Laufkundschaft.» Dass es mittlerweile gebessert habe, liege sicher auch daran, dass die Konkurrenz im Städtli weniger geworden sei. «Wer keine Pizza essen will, musste mittlerweile fast zu uns kommen», lacht er. Dass seine Nachfolger wieder eröffnen, bevor dies andere Projekte in Bremgarten tun, könnte ein Vorteil sein. «Das gibt ihnen sicherlich die Möglichkeit, sich rasch zu etablieren.»
Künftig auch Meerfisch
Bis es so weit ist, erfährt der «Stadtkeller» einige Änderungen. Während der Name bleibt, werden Einrichtung und Dekoration leicht angepasst. Die Speisekarte wird gründlich überarbeitet. Die Fischtradition wird zwar beibehalten, aber anders als unter den Schaufelbühls ist es den neuen Pächtern mit dem indischen Angebot, das ihnen vorschwebt, nicht möglich, rein auf lokale Süsswasserfische zu setzen. Künftig gibt es deshalb auch Menüs, die mit Meerfischen zubereitet werden. Neu wird auch das Angebot eines Buffets im Restaurant sein, dass dereinst allenfalls auch einmal zu einem Take-away-Angebot ausgebaut werden könnte.
Wiedereröffnung am 14. April
Anlässlich des Ostermarktes erhalten die Bremgarterinnen und Bremgarter erstmals die Möglichkeit eines Vorgeschmacks auf die neue Speisekarte. Am Ostermontag wird, wie dies im «Stadtkeller» schon lange Usus ist, eine reduzierte Marktkarte angeboten. Offiziell eröffnet wird der neue indische «Stadtkeller» dann am 14. April.
Thomas Schaufelbühl derweil wird es bestimmt nicht langweilig. Der Neo-Pensionär will seine neu gewonnene Zeit geniessen. Und um seiner Passion fürs Essen weiterhin nachzugehen, sucht er eine Teilzeitstelle als Koch. Nicht in Bremgarten allerdings und schon gar nicht beim «Stadtkeller». «Hier war es nach all diesen Jahren höchste Zeit für mich loszulassen. Es ist schon gut, dass nun etwas Neues kommt.»
Ein Stück Bremgarter Gastrogeschichte
Rückblick auf 126 Jahre «Stadtkeller»
1897 hat Thomas Schaufelbühls Urgrossvater, Josef «Heiri» Schaufelbühl, das damalige Hotel Krone beim Bremgarter Rathausplatz erworben. Das dazugehörige Herbergepatent verkaufte er aus Geldnot aber gleich weiter an das Restaurant Garibaldi, das daraufhin seinerseits zum neuen Hotel Krone wurde (später wurde dieses beim Obertorplatz leicht versetzt neu gebaut).
Das Haus beim Rathausplatz, das seit 1641 zu Bremgarten gehört, hiess fortan «Stadtkeller» und wurde in den ersten Jahren als Restaurant mit Bäckerei, Tanzlokal und Kegelbahn betrieben.
Fischenz als Gamechanger
Der «Stadtkeller» machte sich bald einen Namen als ausgezeichnetes Fischrestaurant, wobei der Wirt lange um ein Grossnetzfischereipatent an der Reuss kämpfen musste und dieses erst 1914 erwerben konnte. Damit war der Grundstein für einen jahrzehntelang florierenden Betrieb gelegt. 1925 übernahmen mit Karl und Heinrich Schaufelbühl die beiden Söhne des Gründers, wobei Karl den Betrieb bald allein führte. Unter ihm zügelte das Restaurant auf Kosten des Tanzlokals vom ersten Stock in das Parterre. Auf ihn folgte 1968 schliesslich Bruno, der Vater von Thomas. Unter ihm wurde der «Stadtkeller» komplett renoviert.
Obwohl Bruno Schaufelbühl abgesehen von einem siebenjährigen Intermezzo von 1980 bis 1887 – währenddessen der «Stadtkeller» an die Wirtefamilie Hösli verpachtet wurde – bis 2004 involviert blieb, wurde die Verantwortung nach dem Entscheid, im «Stadtkeller» wieder selbst zu wirten, ab 1988 auf mehrere Schultern verteilt. Das damals aufgegleiste sechsköpfige Familienkollektiv, bestehend aus Bruno und fünf seiner Kinder, legte den Grundstein für die heutige Unterteilung und getrennte Führung des «Stadtkellers» in Bäckerei und Restaurant. Seit 1991 war Thomas Schaufelbühl allein verantwortlich für die Gastronomie, während dessen Bruder Bernhard «Ben» Schaufelbühl bis heute die Bäckerei – mittlerweile Benny’s Bio Panetteria – betreibt. --huy